Die Symbole für das männliche und weibliche Geschlecht
Das Selbstbestimmungsgesetz soll es für Menschen leichter machen, ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Bildrechte: picture alliance / Friso Gentsch/dpa | Friso Gentsch

Selbstbestimmungsgesetz Geschlechtseintrag von Jugendlichen kann zum Streit um Sorgerecht werden

17. September 2023, 05:00 Uhr

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz soll es möglich werden, bei Ämtern und Behörden ein anderes Geschlecht und einen anderen Vornamen eintragen zu lassen. In einem Jahr soll das Gesetz in Kraft treten. Auch Minderjährige zwischen 14 und 17 sollen ihr Geschlecht dann amtlich ändern dürfen, brauchen aber die Zustimmung der Eltern. Doch was, wenn sich Eltern nicht einigen können? Im Extremfall könnte dann das Sorgerecht auf dem Spiel stehen.

Nehmen wir an, der 16-jährige Paul hat sich entschieden, eine Frau sein zu wollen. Er hat gründlich überlegt und sich beraten lassen. Nun ist Paul sicher, er möchte Paula heißen. Und in seinem Pass soll "weiblich" stehen. Mit etwas Bürokratie kann er die Änderungen dem Selbstbestimmungsgesetz zufolge bei den Behörden eintragen lassen. Einziges Problem: Paul ist minderjährig. Er braucht die Zustimmung der Eltern. Pauls Mutter ist dafür, doch sein Vater strikt gegen den Geschlechtswechsel. Was soll Paul also tun?

Was passiert, wenn die Eltern sich nicht einigen können

Der Dresdner Familienrechtsanwalt Boris Kühne rät, die Hilfe eines Familiengerichts in Anspruch zu nehmen. Das Gesetz sieht das genau so vor: "Weil das Familiengericht sich nämlich über die Zustimmung der Sorgeberechtigten hinwegsetzen kann. Das heißt, das Familiengericht ersetzt dann die Zustimmung der Eltern, wenn es der Ansicht ist, dass die Geschlechtsänderung dem Kindeswohl entspricht."

Was genau vor Gericht bei solchen Streitigkeiten passiert, welche Rechte die Eltern, welche das Kind hat – das regelt nun aber nicht mehr das Selbstbestimmungsgesetz. Sondern das ist seit Jahren im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, also nichts Neues. Das Familiengericht wird in der Verhandlung nicht nur Paul anhören und eventuell einen Gutachter – auch die Eltern selbst dürfen zu Wort kommen.

Gericht kann Entscheidungs- oder Sorgerecht entziehen

Können die sich partout nicht einigen, gibt es zwei Möglichkeiten: Bei zusammenlebenden Eltern kann das Gericht entscheiden, dass nur einer die Entscheidung fällt, also entweder Mutter oder Vater. Bei getrennt lebenden Eltern erlaubt das BGB wie bei allen wichtigen Entscheidungen für das Kind sogar noch mehr: Es kann einem Elternteil das Sorgerecht ganz oder teilweise entziehen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Können sich getrennt lebende Eltern bei wichtigen Kindesfragen wie zum Beispiel Geschlechtswechsel nicht einigen, könne einer das Sorgerecht verlieren, erklärt Anwalt Boris Kühne. "Dass sich Eltern streiten, liegt in der Natur der Menschen. Schule, Aufenthalt, Gesundheit – wenn sich Eltern in diesen Bereichen nicht einig sind, dann war es immer so und wird es auch in diesem Fall so sein, dass Teile dieser elterlichen Sorge auf den anderen Sorgeberechtigten übertragen werden bzw. dem einen die Sorge entzogen wird."

Bundesverband Trans will ganz auf Zustimmung der Eltern verzichten

Übrigens, nicht nur der transkritische Elternteil kann dann das Sorgerecht verlieren. Das Gericht kann es genauso gut dem Elternteil entziehen, das dem Geschlechtswechsel des Kindes zustimmt. Das Gericht hat nach dem Kindeswohl zu entscheiden. Die Sache ist also kompliziert, müsste es aber nicht sein, sagt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans: "Wir sehen noch Handlungsbedarf. Aus Perspektive des Bundesverbandes Trans ist es wichtig, dass Jugendliche ab 14 Jahren selbstbestimmt den Geschlechtseintrag ändern können, das heißt, auch unabhängig von der Zustimmung der Sorgeberechtigten. Damit erübrigt sich die Frage, was passiert, wenn die Eltern sich nicht einig sind."

Oft wird es zu solchen Fällen aber nicht kommen, sagt Anwalt Boris Kühne. Er sei seit 18 Jahren Anwalt, so Kühne, und schon jetzt sei der Geschlechtswechsel nach dem Transsexuellengesetz möglich. Doch damit habe er sich noch kein einziges Mal befassen müssen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 17. September 2023 | 06:00 Uhr

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