Mann mit Transgender-Fahne
Im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass das Transsexuellengesetz nach 40 Jahren vom Selbstbestimmungsgesetz abgelöst wird. Nur wann? Bildrechte: imago images/NurPhoto

Diversität Warten auf das Selbstbestimmungsgesetz

09. Juli 2023, 08:15 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat das Transsexuellengesetz schon vor 40 Jahren als teilweise verfassungswidrig beurteilt. Die aktuelle Bundesregierung will deshalb ein neues Selbsbestimmungsgesetz erlassen. Dabei gibt es Kritik von Betroffenen, das Gesetz verbessere zwar die Namensänderung, räume aber transfeindlichen Diskursen zu viel Raum ein. Auch einen Zeitplan für das Gesetz gibt es noch nicht.

Nastassja von der Weiden
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Bis zur parlamentarischen Sommerpause wollte die Bundesregierung eigentlich den fertigen Entwurf für das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) verabschieden. Doch noch gibt es keine Einigung über den Text. Über den Entwurf wird nach der Sommerpause weiter beraten. Für die Betroffenen geht die Hängepartie um eine deutliche Verbesserung ihrer Rechte damit weiter.

Selbstbestimmungsgesetz Das Selbstbestimmungsgesetz soll es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen sowie nichtbinären Menschen ermöglichen, ihren korrekten Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt zu erhalten – ohne psychiatrische Gutachten und langwierige Gerichtsverfahren.

Um das Geschlecht auf dem Ausweis zu ändern, muss man bislang beim örtlichen Amtsgericht einen Antrag stellen. Dem Gericht müssen dann zwei psychiatrische Gutachten vorgelegt werden.

Selbstbestimmung statt ärztliche Gutachten

Längst überfällig sei die Verbesserung für die Menschenrechte von trans, inter und nonbinären Personen in Deutschland, schreibt der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LVSD) zum Selbstbestimmungsgesetz.

Eine wesentliche Veränderung, die im Gesetzentwurf zu lesen ist: Die Abschaffung der Vorlagepflichten von Gutachten und ärztlichen Attesten zum Ändern des Namens und Geschlechtseintrags. Die Änderung im Ausweis wird somit zum Verwaltungsakt beim Standesamt statt zum Verfahren beim Amtsgericht.

Die bisherige Regelung, bei denen Gutachten vorzubringen sind, wird vom LVSD als entwürdigend bezeichnet. Entwürdigend deshalb, weil ein psychologisches Gutachten bereits unterstellt, die betroffene Person sei "krank". Und weil in jenen Fragebögen und Begutachtungen intime Details erfragt und bewertet werden.

trans, inter, non-binär = TIN trans, trans*, transgender oder transident sind Selbstbezeichnungen von Menschen, deren Geschlecht nicht oder nur teilweise dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Trans Personen können eine weibliche, männliche oder jede andere Geschlechtsidentität haben. Transsexuell und intersexuell sind Begriffe, die kritisiert werden, weil sie pathologisierend verwendet werden und die Endung „-sexuell“ irreführend ist, da es um Geschlecht und nicht um sexuelle Orientierung geht.
Manche Personen verwenden die Begriffe aber als Selbstbezeichnung.

Transfeindliche Stimmung

Für Mine Pleasure Bouvar ist der Entwurf jedoch trotz dieser Verbesserung, dem Wegfall von Gutachten und Kosten, eine vertane Chance für Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Bouvar ist Bildungsreferent*in und Autor*in mit den Schwerpunkten Transfeindlichkeit und Transmisogynie und beobachtet die Entwicklungen um das SBGG seit Anbeginn.

Bouvar kritisiert die Verlangsamung des Gesetzgebungsverfahrens: "Dass es nicht vorangeht, bedeutet, dass transfeindliche Stimmungsmache freies Spiel bekommt. Der menschenfeindliche Diskurs wird damit sagbarer und normalisiert."

Und: Die Einlassung der Politik auf eben diese Diskurse seien im Entwurf lesbar, sagt Bouvar. Auch Sarah Ponti vom LSVD schreibt auf eine Anfrage von MDR AKTUELL: "Leider wird im Referentinnenentwurf gezielt TIN-feindlich mobilisierten Ängsten unverhältnismäßig viel Raum gegeben. Ihnen wird dadurch eine scheinbare Legitimität verliehen."

Privat- und Hausrecht

Gemeint sind damit zum Beispiel die Regelungen zu "geschützten Räumen", also Frauenhäuser, aber auch Frauensaunen. Hier soll nicht der Geschlechtseintrag, sondern das Hausrecht entscheiden.

Der Verweis auf eben jenes Hausrecht im Gesetz "löst bei den Betroffenen massive Ängste vor neuen Ausschlüssen aus, gerade angesichts transfeindlicher Entwicklungen überall auf der Welt. Wenn Teile des Gesetzentwurfs Angst bei denen auslöst, die er schützen soll, dann müssen sie verändert werden", schreibt Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung.

Dieses Vorgehen kritisiert auch Mine Pleasure Bouvar: "Aus juristischer Sicht sind solche Paragrafen, die nichts anderes sagen, außer dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Hausrecht gelten, unnötig."

Dass diese Regeln trotzdem im Gesetzentwurf verankert wurden, gehe zu Lasten von Transfrauen, die dadurch angreifbar gemacht werden würden: "Transfeindlichkeit ist eine beliebte Strategie erzkonservativer und rechtsextremer Kräfte. In diesem Zusammenhang ist es bedenklich, dass das Justizministerium solche Zugeständnisse macht."

Diskussion um Frauenhäuser

Transfrauen würde unterstellt, sie würden sich verkleiden und ihren Geschlechtseintrag ändern, um andere zu täuschen. Um in Räume vorzudringen, die Frauen Schutz vor Männern bieten sollen, erklärt Bouvar.

Der Verein Frauenhauskoordinierung schreibt, dass "die Szenarien für Frauenschutzräume durch den selbstbestimmten Geschlechtseintrag unbegründet" sind. Denn Transfrauen finden schon seit vielen Jahren immer wieder Schutz in Frauenhäusern. Auch sei nicht der Geschlechtseintrag entscheidend, wer Zugang zu den Häusern bekäme.

"Das Problem der Frauenhäuser sind nicht Transfrauen, sondern die große Unterfinanzierung und die wenige staatliche Unterstützung", sagt Mine Pleasure Bouvar.

Finale Abstimmung

"2023 muss das Jahr werden, in dem wir das Selbstbestimmungsgesetz endlich beschließen", schreibt der Queer-Beauftragte Sven Lehmann in einem Blogeintrag auf seiner Website. Aktuell bittet sein Büro um Verständnis, dass Lehmann keine Auskunft über den Zeitplan des Gesetzes geben könne. Der Gesetzentwurf sei in der finalen Abstimmung. Anfang Mai dieses Jahres wurde er in die Länder- und Verbändeabstimmung eingebracht. Seitdem wurden 54 Stellungnahmen eingereicht.

Ob das Ziel "2023" realistisch ist, bleibt also vorerst unklar. Und auch, ob die Kritik von Betroffenen, Experten und Expertinnen im Gesetzestext aufgenommen wurde. Justizminister Marco Buschmann sagte Mitte Juni, er lehne weitreichende Änderungen am Gesetzentwurf ab.

Transsexuellengesetz Das Transsexuellengesetz, kurz TSG, regelt bis heute, ob und wie und wann Menschen ihren Namen und ihr Geschlecht im Ausweis ändern können. In Teilen ist es verfassungswidrig, urteilte das Bundesverfassungsgericht (unter anderem im Jahr 2011: 1 BvR 3295/07).

Die Kosten für ein solches Verfahren müssen die Betroffenen bis dato selbst tragen. Eine Namensänderung kann mehrere Tausend Euro kosten.

An die Stelle des TSG soll das Selbstbestimmungsgesetz treten. Eigentlich sollte das schon viel früher passieren, von 2022 war die Rede – denn das TSG abzuschaffen ist Teil des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Grüne und FDP.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 24. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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