Eine Person hält eine transgender pride Flagge hoch.
Die Selbstbestimmung über den eigenen Namen und Geschlechtseintrag von trans, inter und non-binären Menschen ist lange überfällig – kommentiert unsere Autorin. Bildrechte: colourbox - MDR/Markus Geuther

Kommentar Transfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit

08. Juli 2023, 10:36 Uhr

Frauenräume wären nicht mehr ausreichend geschützt, wenn Männer sich beliebig zu Frauen erklären könnten – mit solchen Argumenten wird Stimmung gegen Transfrauen und Selbstbestimmung gemacht. Transfeindlichkeit boomt. Warum das nicht unwidersprochen bleiben darf, kommentiert MDR-AKTUELL-Redakteurin Nastassja von der Weiden.

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) soll die Änderung des Namens- und des Geschlechtseintrags im Ausweis erleichtern. Keine pathologisierenden, übergriffigen, demütigenden Befragungen mehr, keine hohen Kosten, kein Gang zum Amtsgericht, wie es das gerade geltende (und teilweise verfassungswidrige) Transsexuellengesetz regelt – sondern nur noch ein Verwaltungsakt beim Standesamt. Endlich.

Solidarität zeigen

Ein paar Menschen, die sehr laut sind, machen jedoch Stimmung gegen das Selbstbestimmungsgesetz, online und offline; nicht wenige unter ihnen beleidigen dabei und verbreiten dabei Falschinformationen. Beatrix von Storch, Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sind prominente Beispiele, die sich gegen das Selbstbestimmungsgesetz und damit gegen trans, inter und non-binäre Menschen stellen.

Es sind natürlich nicht nur diese drei Frauen, das Internet ist voll von Menschen, die sich transfeindlich äußern. Schon bei kleineren Auseinandersetzungen: Als ich kürzlich eine meiner Lieblingsstylistinnen, die non-binäre Avi Jacobs, unter einem Instagram-Posting bewunderte, geriet auch ich ins Visier derjenigen, die sie immer wieder beleidigen.

Ich fühle mich ein Stückweit verantwortlich, trans- und queerfeindliche, sexistische oder rassistische Beleidigungen nicht unwidersprochen zu lassen. Um denjenigen, die vielleicht betroffen sind und mitlesen, zu zeigen, dass sie nicht "falsch" sind. Das nämlich können solche Diskussionen bewirken.

Selbstbestimmungsgesetz Das Selbstbestimmungsgesetz soll es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen ermöglichen, ihren korrekten Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt zu erhalten – ohne psychiatrische Gutachten und langwierige Gerichtsverfahren.

Um das Geschlecht auf dem Ausweis zu ändern, muss man bislang beim örtlichen Amtsgericht einen Antrag stellen. Dem Gericht müssen dann zwei psychiatrische Gutachten vorgelegt werden.

Der Entwurf zum SBGG, wenn er beschlossen wird, ist ein Gesetzestext, der Auswirkungen auf Menschen in Deutschland haben wird. Zu diesem Text gibt es viele Meinungen und die darf es geben, natürlich. Aber Transfeindlichkeit ist keine Meinung, sie ist Menschenfeindlichkeit.

Debatte um Frauenhäuser

Ein bekanntes Beispiel aus der öffentlichen Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz ist die "Angst", Männer könnten unter Berufung, sich "als Frau zu fühlen", "echte" Frauen in Frauenhäusern bedrängen. Denn sie seien ja eigentlich Männer, blieben immer Männer, egal was im Ausweis steht. Auf dieses groteske Argument geht die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf tatsächlich ein, sie gibt ihm Raum und befeuert damit die transfeindliche Diskussion.

Die Frauenhauskoordinierung hat wiederholt klargestellt, dass die Schreckensszenarien für Frauenschutzräume durch den selbstbestimmten Geschlechtseintrag unbegründet sind. Niemand bekommt allein wegen des Geschlechtseintrags einfach so Zugang zu einem Frauenhaus. Und auch Transfrauen finden schon seit vielen Jahren immer wieder Schutz in Frauenhäusern. Die Diskussion um dieses Argument unterstreicht in besonderer Weise, wie im Ringen um das Selbstbestimmungsgesetz Frauenrechte gegen Transrechte ausgespielt werden.

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Worauf es ankommt, ist die Fähigkeit der Verantwortlichen in Frauenhäusern, Notlagen erkennen und von unlauteren Absichten unterscheiden zu können: "Auf das Urteilsvermögen der erfahrenen Fachkräfte zu vertrauen, ist nicht zuletzt eine Frage des Respekts vor der professionellen Arbeit, die Frauenhäuser seit Jahrzehnten für den Schutz von Frauen leisten", schreibt die Frauenhauskoordinierung dazu in einer Pressemitteilung.

Angriffe auf Queers sind real

Während Kritiker des SBGG also mit Schreckensszenarien argumentieren, die von Verbänden immer wieder entkräftet werden, steigen die tatsächlichen, offen trans- und queerfeindlichen Angriffe seit Jahren.

Zu den Zahlen des Bundeskriminalamts: Im Feld "geschlechtsbezogene Diversität" wurden 2022 417 Straftaten gezählt. Im Gegensatz dazu gab es 206 "frauenfeindliche" Delikte. Dass die Behörde "geschlechtsbezogene Diversität" und "frauenfeindlich" unterscheidet, ist seit dem vergangenen Jahr neu – um die Phänomene besser erfassen zu können.

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Vorher hieß das übergreifende Feld, in dem beides gezählt wurde "Geschlecht/Sexuelle Identität" (2021: 340 Straftaten). Die Polizei geht davon aus, dass die Dunkelziffer bei solchen Straftaten hoch ist. Aber schon die vorliegenden Zahlen zeigen: Übergriffe, Attacken und Angriffe gegen queere Personen nehmen zu.

Ende der Bevormundung

Schutz für Frauen heißt oder sollte heißen: Schutz für alle Frauen. Unabhängig vom Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Transfrauen sind Frauen. Letztlich geht es um nicht weniger als die Anerkennung der Menschenrechte von trans, inter und non-binären Menschen; um das Ende von demütigenden Befragungen und Bevormundung.

Es geht um ihre Würde, um ihren Schutz und um ihre Entfaltung. Und genau das fängt beim Namen und dem Geschlechtseintrag an.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 16. Mai 2023 | 17:15 Uhr

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