Auen und Hochwasserschutz Ökologe: "Oft erreicht das Wasser die Auen gar nicht"
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06. Juni 2024, 05:00 Uhr
Auen haben eine wichtige Funktion beim Hochwasserschutz. Allerdings sind sie in Mitteldeutschland stark bedroht, sagt der Ökologe Mathias Scholz vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Doch es gibt auch positive Neuigkeiten.
MDR AKTUELL: Herr Scholz, wie geht es den größeren Flüssen in Mitteldeutschland?
Mathias Scholz: Das kommt ganz auf den jeweiligen Fluss an: Elbe, Saale, Mulde, Weiße und Schwarze Elster oder Havel haben alle ihre spezifischen Probleme aus der Vergangenheit. Saale und Elbe sind sehr stark als Wasserstraßen genutzt und dafür ausgebaut worden. Die Saale selber ist in weiten Teilen in ihrem Unterlauf staugeregelt, nur noch die letzten 20 Flusskilometer sind frei fließend, aber auch hier eben als Wasserstraße festgelegt und ausgebaut.
So richtig dynamisch ist die Vereinigte Mulde in verschiedenen Teilen in Nordsachsen und Anhalt, allerdings auch stark belastet durch Bergbauaktivitäten und Industrie im Einzugsgebiet – auch im Mitteldeutschen Revier. Gerade im Bitterfelder Raum ist sie sehr stark durch den Tagebau geprägt, beziehungsweise ihr Flussbett wurde komplett weggegraben. Zwischen Wolfen und Dessau wiederum kann die Mulde ihre ganze Kraft und Vielfalt als naturnaher Fluss zeigen – und bietet vielen Tieren wie Bibern oder seltenen Vogelarten einen Lebensraum.
Und wie geht es den Flussauen?
An den meisten Flüssen in Deutschland haben wir nach Angaben aus dem aktuellen Auenzustandsbericht des Bundesamtes für Naturschutz zwischen 70 und 90 Prozent Auenverlust. Das heißt, nur noch ein Drittel bis zehn Prozent der ehemaligen Auen stehen aktuell als Überflutungsaue zu Verfügung. Und selbst diese verbliebenen Auen weisen häufig einen deutlich bis sehr stark veränderten Zustand auf. Dies gilt auch für die Flüsse in Mitteldeutschland.
Allerdings haben wir hier mit die größten Auenwälder in Deutschland, geprägt durch Hartholz-Auenwälder. Sie gehören laut EU zu den besten Wäldern überhaupt. Doch sie sind sehr stark gefährdet. Zum Beispiel der Leipziger Auwald, aber auch die Auenwälder bei Dessau im UNESCO-Biosphärenreservat Mittelelbe beziehungsweise Flusslandschaft Elbe, weil diese Wälder zum Teil durch den Flussausbau und zu tief liegende Flusssohlen nicht mehr vom Hochwasser erreicht werden. Ein Auenwald ist nicht dauernass, sondern steht nur zeitweise unter Wasser. Das heißt, hier treten Entwicklungen ein, die die Auenwälder zu Durchschnittswäldern machen, weil diese nicht mehr auf wechselnde nasse Verhältnisse angepasst sind.
In anderen Gegenden Deutschlands sind diese Wälder komplett verschwunden.
Auch durch die trockenen Jahre, die wir seit 2018 hatten, sind viele Veränderungen eingetreten. Die Wälder haben große Probleme, insbesondere was die Baumvitalität angeht. So sind die Ulmen bereits seit Jahrzenten aus dem Kronendach fast verschwunden, da sie durch das Ulmensterben ab einer gewissen Größe meist absterben. Eschen werden seit rund zehn Jahren durch das Eschentriebsterben dezimiert, der Bergahorn ist von der Rußrindenkrankeit betroffen und die Vitalität der Eichen wurde in den letzten Jahren stark durch den Eichenprozessionsspinner beeinträchtigt.
Die Wälder selbst sind aber sehr wichtig für die Biodiversität und den Naturschutz. Gerade diese von Eichen, Eschen und Ulmen geprägten Hartholz-Auenwälder gehören mit zu den artenreichsten Waldökosystemen, die wir hier in Mitteleuropa finden können. Das heißt also, wir haben eine sehr hohe Verantwortung. In anderen Gegenden Deutschlands sind diese Wälder komplett verschwunden, die Standorte wurden eben für den Tagebau oder für Ackerbau genutzt oder sind komplett in der Siedlungsentwicklung aufgegangen. Wo noch Wälder vorhanden sind, wurden sie durch schnellwachsende Pappel-Plantagen ersetzt, vor allem am Rhein oder an der Donau.
Gerade wird viel über Hochwasserschutz gesprochen – welche Funktion haben die Auenwälder bei Hochwasser?
Naturnahe Auen haben eine Schwammfunktion, sie können das Wasser länger zurückhalten. Sie sorgen dafür, dass das Wasser besser in den Boden sickert und nach einer Hochwasserwelle wieder in die Landschaft abgegeben werden kann. Die Aue funktioniert wie ein Schwamm, der das Wasser zurückhält, wenn es da ist und später, wenn es trockener ist, der Landschaft zur Verfügung stellt.
Allerdings erreicht das Wasser die Auen oft gar nicht. Bei der Elbe zwischen Torgau und Magdeburg etwa haben wir das Problem, dass die Elbe in den vergangenen hundert Jahren durch die Sohlerosion rund ein bis zwei Meter tiefer liegt. Das kommt davon, dass der Fluss Sedimente mitreißt. Das Ufer ist zu stark befestigt, da kann der Fluss keine Sedimente mitreißen. Und in Tschechien und im Erzgebirge, an den Oberläufen der Elbe, sind die Flüsse viel zu sehr ausgebaut, Sedimente bleiben in zahlreichen Stauflächen zurück, so dass ein Geschiebedefizit entsteht. Durch die tiefliegende Sohle der Elbe hinter Mühlberg kann das Wasser wiederum nur schwer in die Auen vordringen. Nach dem Jahrhunderthochwasser 2013 hat das Wasser dann erst wieder zum Hochwasser im vergangenen Winter die Auen erreicht. Gerade die Dürrejahre mit extremen Niedrigwasserphasen haben schon dramatische Auswirkungen für die Auen.
Die Konkurrenz um Wasser steigt, vor allem in Trockenzeiten. Wird künftig noch genug Wasser für die Auen übrigbleiben?
Wenn Hochwasser ist oder wir genügend Niederschläge haben – Extremniederschläge sollen ja zunehmen – ist es wichtig, dass das Wasser auch in die Auen kommt und nicht daran vorbei geleitet wird. So können wir diese Schwammfunktion durch Wiederherstellung von Auengebieten wieder aktivieren. Haben wir Niedrigwasserjahre, kann es auch zu einer Wasserknappheit führen. Wasserknappheit gehört auch zu einem Auensystem, allerdings muss – wenn Wasser verfügbar ist – es auch in die Auen fließen, um die Schwammfunktion zu aktivieren und gerade solche trockenen Jahre überbrücken zu können.
Wir haben gerade durch Felduntersuchungen und Experimente im Leipziger Auensystem beobachtet, dass – wenn Wasser durch bessere Verbundenheit von Fluss und Auen in die Auen geführt wird – dadurch mehrere Wochen oder auch mehrere Monate die Feuchtigkeitsverhältnisse im Boden verbessert werden können, und damit auch die Standortbedingungen für Pflanzen und die Lebensbedingungen für die angepassten Tiere. Doch Auen sind auch für Menschen wichtig – etwa im urbanen Raum. An heißen Sommertagen ist es in den Leipziger Auenwäldern bis zu zehn Grad kühler als in den umgebenden Stadtgebieten.
Naturnahe Auen sind deshalb unbedingt zu erhalten. Und es gibt Potentiale, die mit naturbasierten Lösungen zurückzugewinnen sind. Immerhin hat es zwischen 1983 und 2020 deutschlandweit entlang der untersuchten Flüsse laut Bundesumweltministerium und Bundesamt für Naturschutz etwa 220 größere Renaturierungsprojekte gegeben. Durch die Rückverlegung, den Rückbau und die Schlitzung von Deichen konnten alleine in Mitteldeutschland wieder mehr als 2.000 Hektar zeitweise überflutet werden, 3.500 Hektar sind in Planung. Angesichts von etlichen Zehntausend Hektar, die theoretisch für solche Maßnahmen deutschlandweit infrage kämen, ist da aber noch deutlich Luft nach oben. Es gilt, den Flüssen bundesweit mehr Raum zu geben und weitere Auen naturnah umzugestalten, um diese für den Klimaschutz so wichtige Schwammfunktion von Flussauen zu fördern.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 06. Juni 2024 | 06:50 Uhr