Baustoffe der Zukunft Mit Popcorn dämmen und aus Pilzen Häuser bauen
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24. Januar 2025, 05:00 Uhr
Innovative Baustoffe sollen eine umweltfreundlichere Alternative zu herkömmlichen Materialien wie Styropor, Beton oder Stahl sein. Aufgeplopptes Maisgranulat – also im Prinzip Popcorn – und Pilzmyzel sind zwei mögliche neue Baustoffe. Wir zeigen, wie sie verarbeitet und genutzt werden können.
Herkömmliche Baustoffe bringen Probleme mit sich: Gips wird langsam knapp und Stahl beziehungsweise Beton sind nicht ressourcenschonend. Zudem landet später viel davon als Bauschutt auf dem Müll. Innovative Baustoffe könnten eine Lösung für diese Probleme sein wie das Verbrauchermagazin Umschau berichtet, darunter Popcorn und Pilzmyzel.
Vom geploppten Mais zur fertigen Dämmplatte
Den Grundbestandteil für einen dieser modernen Baustoffe kennen die meisten vor allem aus dem Kino: Popcorn. Das könnte, wenn es entsprechend verarbeitet wird, ein Ersatz für Styropor sein. Letzteres wird in Millionen Häusern in Deutschland zum Dämmen verwendet.
Alireza Kharazipour, Professor für technische Mykologie an der Universität Göttingen, bemerkte, dass Popcorn als Produkt Styroporperlen ähnelt. "Als ich es angefasst habe, habe ich überlegt, ob man aus diesem Popcorn bestimmte Verbundwerkstoffe herstellen kann", erzählt er. Er stellte fest, dass zerschredderte Maiskörner – Maisgranulat – genauso aufploppen wie ganze Körner.
Nach dem Erhitzen ist jedes Maisgranulat-Korn 15- bis 20-Mal so groß wie vorher. Anfangs wurde das Granulat noch mit Holzspänen zu einer Dämmplatte verpresst, mittlerweile geht es auch ohne Holz. Die Platten werden mit einem natürlichen Bindemittel wie Eiweiß gepresst und sind leichter als herkömmliche Dämmplatten. Dadurch könnten auch schwere Spanplatten ersetzt werden.
Sie können die Teile auf den Kompost tun und nach sechs Wochen, sind sie vollständig verschwunden.
Mit Hinblick auf die Nachhaltigkeit bringt die Popcorn-Platte einen Vorteil mit sich: Sie ist kompostierbar. "Sie können die Teile auf den Kompost tun und nach sechs Wochen, sind sie vollständig verschwunden", sagt Alireza Kharazipour. Ein weiterer Pluspunkt der Popcorn-Platte: Sie besteht aus Futtermais, der bis zu zweimal im Jahr geerntet werden kann und somit ein schnell nachwachsender Rohstoff ist.
Pilotproduktion für Sommer 2025 geplant
Beim Unternehmen "smarter Habitat" in Ramstein (Rheinland-Pfalz) soll im Sommer 2025 eine Pilotproduktion starten. Beginnen soll die Popcorn-Produktion mit Teilen einer Trockenbauwand, die nur noch zusammengesteckt werden muss. "Das heißt, man hat Paneele, die dann in Schienen eingesetzt und eingeschoben werden können und dadurch eine relativ schnelle Bauweise erlauben", sagt Klaus-Jürgen Lauth, Mitarbeiter bei smarter Habitat im MDR-Verbrauchermagazin "Umschau". Zu einem Öko-Paneel für Trockenbauwände wird der Popcornkern aber erst, wenn er mit einer Art Vlies verklebt wird. Dafür eignen sich Naturfasern wie Hanf, Kokos oder auch Flachs.
Als Serienprodukt wird das Maisgranulat in einer Maschine aufgeploppt. Wichtig bei der Weiterentwicklung der Popcorn-Platte in Ramstein: Sie muss wasserdicht sein. Denn die Körner in der Platte dürfen weder selbst Wasser aufnehmen, noch darf es einen Kapillareffekt geben, wie Klaus-Jürgen Lauth erläutert: "Wasser darf also nicht die Wand hochziehen, sonst haben sie das Problem zehn Zentimeter höher." Die einzige Lösung dafür: Die Körner müssen komplett mit dem Kleber umhüllt sein. "Das heißt, jedes Korn ist für sich schon mal wasserdicht", sagt Lauth. Und somit auch die ganze Platte.
Ein Haus aus Pilzmyzel
In den USA produziert die Firma "ecovative" Bauziegel aus Pilzmyzel in großem Stil. Dafür werden Flachs- oder Hanfreste, mit einem Biokleber gemischt und einem Myzel-Substrat versetzt. Nach circa zwei Wochen entsteht daraus eine feste Pilzstruktur. Rund 4.500 Tonnen Faserreste werden bei dem Unternehmen so jedes Jahr zu Myzel-Produkten verarbeitet, darunter auch Dämmplatten und Verpackungsmaterial.
In Deutschland träumen Forscher der Technischen Universität Berlin davon, ein ganzes Haus aus Myzel zu bauen. Ein erstes Modell steht in der Berlinischen Galerie: Es besteht aus dem Myzel des Zunderschwamms – einem Baumpilz, der an Birken und Buchen wächst.
Die Vorteile solcher Pilz-Baustoffe: Sie absorbieren Schall sehr gut, sind leicht und feuerfester als Styropor. Robust werden sie, weil in Verbindung mit holzigen Faserstrukturen das Myzel die Rolle des Klebers übernimmt. "Wenn das dann durchwachsen ist, etwa nach zwei Wochen, kann man es Verbundstoff nennen", erläutert Lisa Stelzer, Biochemikerin an der TU Berlin. Dieser Verbundstoff kann dann in jede beliebige Form gepresst werden und reift einfach weiter bis der jeweilige Baustoff sein Aussehen erreicht hat – egal ob Ziegel oder Dämmplatte. Myzel sorgt so nicht nur für Formenvielfalt, sondern ist auch schnell nachwachsend und vollständig kompostierbar. "Das hauptsächliche Ziel ist, erdölbasierte Materialien mit diesem Verbundwerkstoff zu ersetzen, der ressourcenschonend und relativ kostengünstig produziert werden kann", erklärt die Biochemikerin in der Umschau.
Das hauptsächliche Ziel ist, erdölbasierte Materialien mit diesem Verbundwerkstoff zu ersetzen.
In Namibia steht bereits ein Haus gebaut aus Pilzblöcken. Für feuchtere Gefilde wie Deutschland wäre es aber eher ungeeignet, denn andere Organismen – so auch der Schimmelpilz – könnten die Bau-Pilz-Platten befallen. Eine Beschichtung mit Harz oder Lehm wäre also zwingend. "Die erste Vision, die wir haben, ist es, ein Haus mit Kooperationspartnern zu bauen, die uns beispielsweise die komplette Dämmung aus Myzel-Kompositen, vielleicht noch ein gewisses Interieur und dann eine Außendämmung bauen lassen. Das ist das Haus, das wir uns wünschen: aus Holz, Pilzen und Lehm im Idealfall", sagt Lisa Stelzer.
Weitere kreative Ideen für moderne Baustoffe
Wie die Umschau berichtet, gibt es in der niederländischen Stadt Almere bereits eine Fußgänger- und Fahrradbrücke, die nicht etwa aus Beton, sondern hauptsächlich aus Flachs und Bio-Harzstoffen besteht. Entwickelt wurden die Grundstoffe für diese Brücke an der Universität Stuttgart. Der Hauptbestandteil ist eine Biomatte aus Naturfasern wie Hanf, Stroh oder Flachs kombiniert mit einem Bindemittel. Die Uni greift dabei auf Verfahren aus der Textilbranche und dem Flugzeugbau zurück. Durch 3-D-Druck und Stickverfahren erhalten die Fasern ihre Form. Danach wird die Matte noch mit Bioharzen verklebt und vakuumiert. So entstehen Bio-Baustoffe, die herkömmliches Baumaterial ersetzen sollen.
Und auch in Chemnitz setzt man auf nachhaltigere Lösungen. Beim Unternehmen "Richter & Hess Verpackungen", einem Spezialbetrieb für Papphüllen, findet sich eine Biofassade aus widerstandsfähiger Wellpappe. Sie wurde zusammen mit der Technischen Universität Chemnitz entwickelt und soll nicht nur Gebäude aufwerten, sondern den Bau auch ressourcenschonender machen.
MDR (jvo)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 21. Januar 2025 | 20:15 Uhr