Sachverständigenrat des Bundes Flucht vor Klimaextremen: Experten wollen drei Migrationswege nach Deutschland

09. Mai 2023, 16:14 Uhr

Millionen Menschen weltweit sind wegen der Folgen des Klimawandels auf der Flucht. Es fehlt eine globale Strategie. Der Sachverständigenrat des Bundes empfiehlt verschiedene Hilfsmaßnahmen – vor Ort und in Zielländern. Deutschland soll dabei Taktgeber sein. Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel in Berlin werden drei Migrationsoptionen vorgeschlagen: Klima-Pass, Klima-Card und Klima-Arbeitsvisum.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Der Sachverständigenrat des Bundes für Integration und Migration (SVR) hat in seinem neuen Bericht Handlungsoptionen bei klimawandelbedingter Migration vorgeschlagen. Da es noch ein weiter Weg zu international verbindlichen Abkommen sei, aber die Zeit dränge, sieht der SVR besonders nationale Regierungen gefordert.

Das Gremium empfiehlt, dass "Deutschland als Pionier die internationale Kooperation innerhalb der EU und in globalen Foren vorantreibt und darüber hinaus in enger Abstimmung mit den betroffenen Ländern neue Lösungsansätze entwickelt". Demnach ist umweltbedingte Migration vielschichtig und erfordert unterschiedliche migrationspolitische Maßnahmen. Dabei betont der Bericht die besondere Verantwortung von Staaten, die mit hohem CO2-Ausstoß hauptverantwortlich für die Erderwärmung seien.

Deutschland könnte globaler Taktgeber sein

Besonders über den Flüchtlingsschutz und Abkommen zu Personenfreizügigkeit kann dem Bericht zufolge eine würdevolle und geregelte Migration ermöglicht werden. Die EU sollte bestehende asyl- und migrationspolitische Instrumente auf klimawandelinduzierte Migration ausweiten. Zugleich sollte in vom Klimawandel betroffenen Ländern die Anpassung an die Klimaveränderung gefördert und Staaten mit starker Binnenmigration unterstützt werden. Solche Initiativen können in einer "Koalition der Willigen" mit anderen Staaten abgestimmt eine Signalwirkung entfalten.

Bundesregierung soll Klima-Pass, Klima-Card und Klima-Arbeitsvisum einführen

Der Sachverständigenrat schlägt der Politik in Deutschland eine Kombination aus drei Instrumenten vor: einen Klima-Pass mit dauerhaften Aufenthaltsrecht, eine befristete Klima-Card sowie ein Arbeitsvisum.

Der Klima-Pass ist demnach für einen eng definierten Personenkreis vorgesehen: Staatsangehörige von Ländern, die direkt vom Klimawandel betroffen sind und durch diesen ihr gesamtes Territorium verlieren (zum Beispiel untergehende Pazifikinseln). Sie sollen ein humanitäres Daueraufenthaltsrecht in Deutschland erhalten können.

Die Klima-Card soll Menschen einen zunächst befristeten Aufenthalt in Deutschland ermöglichen, die vom Klimawandel stark betroffen sind, aber nicht existenziell. Das betrifft deutlich mehr Menschen als beim Klima-Pass. Die Card erfordert demnach länderspezifische Kontingente, um Zuwanderung planbar zu gestalten. Welchen Ländern mit klimawandelbedingter Notlage geholfen wird, sollen die EU-Länder festlegen. Die Klima-Card sollte mit Hilfen in den jeweiligen Herkunftsländern kombiniert werden, um gegebenfalls eine Rückkehr zu ermöglichen.

Das Klima-Arbeitsvisum richtet sich an Menschen aus Ländern mit nicht ganz so starken Negativfolgen des Klimawandels. Die Erwerbsmigration soll Staatsangehörigen bestimmter Länder den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern, um neue Einkommensquellen zu ermöglichen und am Ende auch neue Perspektiven im Heimatland zu eröffnen. Der Aufenthaltstitel ist an einen Arbeitsvertrag gekoppelt. Bestimmte Qualifikationen oder Sprachkenntnisse müssen dafür nicht nachgewiesen werden.

Zentrale Aufgabe bleibt CO2-Reduzierung

Der Bericht sieht Maßnahmen der Migrationspolitik jedoch nur als kleinen Teil der globalen Herausforderungen. Es fehle eine internationale Gesamtstrategie für den politischen Umgang mit den Folgen des Klimawandels, heißt es darin. Zentrale Aufgabe blieben die Eindämmung der globalen Erwärmung sowie ein globales Risikomanagement. Benötigt würden zudem entwicklungspolitische Ansätze vor Ort und eine faire Verteilung der Kosten für Anpassung, Katastrophenhilfe, Wiederaufbau, nachhaltige Entwicklung und Dekarbonisierung der Wirtschaft. Der Sachverständigenrat formuliert dazu folgende Kernaussagen:

• Klimawandel erhöht Migrationsdruck
Einzelne Umweltkatastrophen sind nicht immer eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen. Doch der Forschungsstand zeigt, dass klimawandelinduzierte Umweltveränderungen und Extremwetter bestehende soziale, ökonomische oder politische Problemlagen verschärfen – und den Migrationsdruck erhöhen. Diese Zusammenhänge müssen besser erforscht werden, damit die Politik darauf reagieren kann.

• Klimamigration findet meist innerstaatlich statt
Klimawandelbedingte Migration findet vor allem innerhalb der Länder und zwischen benachbarten Ländern statt. Migration über den Kontinent hinaus, zum Beispiel von Afrika nach Europa, ist die Ausnahme. Nach Schätzungen der Beobachtungsstelle für Binnenvertreibung (IDMC) gingen im Jahr 2021 von insgesamt rund 38 Millionen internen Vertreibungen 22,3 Millionen auf Extremwetterereignisse zurück. Doch auch langsame klimawandelbedingte Umweltveränderungen führen in der Regel zu Fluchtbewegungen.

• Länder des globalen Südens leiden besonders unter dem Klimawandel
Vor allem südliche Länder leiden wegen ihrer geografischen Lage und geringen Finanzkraft unter den Folgen des Klimawandels. Ihnen fehlen oft Frühwarnsysteme, Katastrophenschutz, Wiederaufbau- und Ausgleichsmaßnahmen. Ärmere Länder, die historisch weniger für den Klimawandel verantwortlich sind, sind stärker betroffen als die Hauptverursacher. Der SVR fordert daher faire Lösungen.

• Binnenmigration als Anpassungsstrategie stärken
Wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen haben nur begrenzt Möglichkeiten, sich klimawandelbedingter Migration anzupassen. Ihnen fehlen meist das Geld, die Bildung bzw. beruflicher Qualifikation oder Kontakte, um nachhaltig an einem anderen Ort neu anzufangen. So geraten sie in der Migation oftmals in prekäre Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse.

Daher rät das Gremium auch zu proaktiven Anpassungsstrategien, damit Menschen unter veränderten Klimabedingungen in ihrer Heimat weiterleben oder dorthin zurückkehren können. Eine Rolle spielen dabei Finanzhilfen von Migrantinnen und Migranten an Angehörige im Herkunftsland.

• Migration nimmt zu und wird gern instrumentalisiert
Das Ausmaß klimawandelbedingter Migration ist nicht im Detail vorhersehbar, doch vorliegende Szenarien sagen mit fortschreitendem Klimawandel auch mehr weltweite Migration voraus. Der zweite Groundswell-Bericht von 2021 geht von 40 bis weit über 200 Millionen Klima-Vertriebenen aus. Solche Schätzungen können jedoch auch leicht aus dem Kontext gerissen und instrumentalisiert werden. Daher mahnt der SVR Medien und politische Akteure, mit Daten und Prognosen zu klimawandelbedingter Migration verantwortungsbewusst und sensibel umzugehen.

Quelle: Jahresbericht des Sachverständigenrats für Migration und Integration (SVR)

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) wurde 2008 von acht Stiftungen als unabhängiges und wissenschaftliches Gremium gegründet, um Fragen der Integration und Migration zu erforschen. Sein Sitz ist in Berlin. Seit 2020 fördern allein der Bund und die Länder die SVR-Arbeit. Der SVR wird von Hans Vorländer und Birgit Leyendecker geleitet, daneben sind aktuell sieben weitere Wissenschaftler mit Schwerpunkt Integrations- und Migrationsforschung vertreten. Unterstützt werden sie von externen Experten und Expertinnen. Seit 2010 legt der SVR jährlich einen Bericht vor.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. Mai 2023 | 13:00 Uhr

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