Pflege in der Krise Fachkräftemangel in Pflegeheimen und Belastungen durch steigende Eigenanteile

19. Januar 2025, 05:00 Uhr

Wegen fehlender Fachkräfte bieten mittlerweile Pflegeheime statt vollstationärer Pflege ein Betreutes Wohnen an. Dort gibt es keine feste Fachkraftquote und die Betreiber können mehr Leistungen bei den Versicherungen abrechnen. Dem Pflegewissenschaftler Prof. Heinz Rothgang zufolge wird sich der Mangel an Pflegekräften in den ostdeutschen Bundesländern noch verstärken. Es fehle hier insbesondere auch an ausländischen Fachkräften.

Christoph Kießling ist froh, dass er seit Juni in einem Heim der Diakonie in Werdau einen Platz bekommen hat. Sein altes Pflegeheim des Deutschen Roten Kreuzes musste schließen und alle 24 Bewohner ausziehen.

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Christoph Kießling musste sich um einen neuen Heimplatz kümmern, da sein altes Pflegeheim aus schließen musste. Bildrechte: Screenshots aus der MDR Exakt Fernsehsendung vom 15.Januar 2025.

"Acht Wochen vorher kam ein Schreiben von der Geschäftsleitung, dass das Haus auf zwei Stationen weitergeführt werden soll, und man hat uns in den Glauben gelassen, dass es wirklich weitergeht", erzählt Kießling. "Und wir hatten uns schon gefreut. Umso größer war das Entsetzen, als wir Ende Mai die Kündigung erhalten haben."

Heimschließung wegen fehlender Pflegekräfte

Der 74-Jährige lebte viele Jahre in dem Heim des DRK. Er kennt es seit den 90ern, als sein Vater dort einzog. Er kritisiert, wie die Schließung den Heimbewohnern und Angehörigen kommuniziert wurde. "Man hätte uns auch informieren müssen. Ich war jahrelang Mitglied im Heimbeirat, die letzten zehn Jahre als Vorsitzender aktiv, und man hat es wirklich verpasst, uns die wahren Gründe zu sagen."

Der Betreiber des geschlossenen Heims lehnt ein Interview mit MDR Investigativ ab. Schriftlich nennt der DRK Zweckverband Zwickauer Land als Grund für die Schließung: Personalnot. Demnach konnte "ein finanziell ausgewogener sowie qualitätsgerechter Betrieb perspektivisch nicht mehr gewährleistet werden".

Wenn Heime die ausgehandelten Personalschlüssel nicht erfüllen, dürfen nicht mehr alle Betten belegt werden. Heime werden nicht mehr wirtschaftlich betrieben und damit drohen Insolvenzen – nicht nur in Werdau. Im vergangenen Jahr haben in Mitteldeutschland 20 Pflegeheime geschlossen. Mindestens sieben von ihnen stellen auf ein ambulantes Angebot um: Betreutes Wohnen mit Pflegedienst.

In Krauschwitz in der Oberlausitz ist Geschäftsführerin Rita Hebenstreit diesen Weg schon 2017 gegangen. Sie meldete ihr Heim ab und betreibt es seitdem als Betreutes Wohnen mit pflegerischer Versorgung. Der Grund war auch in diesem Fall das fehlende Personal. Die für Pflegeheime geltende Fachkraftquote konnte sie immer mal wieder nicht einhalten.

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Rita Hebenstreit hat ihr Pflegeheim abgemeldet und bietet nun eine ambulante pflegerische Betreuung an. Bildrechte: Screenshots aus der MDR Exakt Fernsehsendung vom 15.Januar 2025.

Das Problem hat Hebenstreit zufolge darin bestanden, dass ein Personalschlüssel mit der Heimaufsicht und der Pflegekasse ausgehandelt wurde. Habe man dann kurzzeitig die Quote nicht erreicht, musste eine Meldung an die Heimaufsicht geschickt werden. "Das war schon mal unangenehm", erklärt Hebenstreit. "Man musste also ganz schnell wieder auf den Markt gucken, dass man eine neue Pflegefachkraft bekommt."

Fachkräfte gibt es immer noch im Betreuten Wohnen von Rita Hebenstreit, nur nicht mehr dauerhaft über 24 Stunden. Medizinische Leistungen übernehmen mitunter qualifizierte Hilfskräfte.

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Rita Hebenstreit kann sich durch die Umstellung auf eine ambulante Pflege mehr Personal einstellen. Bildrechte: Screenshots aus der MDR Exakt Fernsehsendung vom 15.Januar 2025.

In Sachsen wurde die Fachkraftquote für Heime zwar mittlerweile aufgehoben, aber dennoch muss ein Personalschlüssel eingehalten werden. Das gilt für die ambulante Pflege nicht. Es gibt einen weiteren Unterschied zum Pflegeheim. Die ambulante Pflege kann mehr mit den Versicherungen abrechnen. "Als wir noch Pflegeheim waren, hätte ich mir keine zwei Beschäftigungsdamen leisten können", erklärt die Geschäftsführerin.

Ambulante Pflegeanbieter können also mehr Geld aus den Pflegeversicherungen nehmen, haben aber weniger Vorgaben und keine staatlichen Regelkontrollen mehr. Denn Betreutes Wohnen mit ambulanter Pflege unterliegt nicht mehr der Heimaufsicht.

Die ambulante Pflege ist zunehmend von der Politik finanziell gestärkt worden – ambulant vor stationär. Auch das ist ein Grund für den Trend der Ambulantisierung.

"Das ist eindeutig eine Fehlentwicklung", meint Hebenstreit. "Es gibt eigentlich keinen Anspruch auf eine 24/7-Vollversorgung. Es gibt keinen Anspruch darauf, dass in der Nacht jemand da ist, also die Leistungsversprechungen sind geringer." Manche Betreiber bieten das trotzdem an. "Da muss man jetzt wirklich in die Verträge gucken." Hebenstreit erklärt, grundsätzlich habe der Betreiber von Betreutem Wohnen mit ambulantem Pflegedienst viel weniger Verantwortung.

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Prof Heinz Rothgang sieht in der Ambulantisierung der Pflege eine Fehlentwicklung. Bildrechte: Screenshots aus der MDR Exakt Fernsehsendung vom 15.Januar 2025.

Deswegen fordert der Pflegewissenschaftler von der Universität Bremen, Prof. Heinz Rothgang, eine einheitliche Versorgung mit gleichen Regeln und Finanzierung. In der Politik gebe es durchaus Sympathie dafür. "Aber alle sehen natürlich, dass das ein dickes Brett zu bohren ist, das wahrscheinlich in einer Legislaturperiode gar nicht geschafft werden kann." Das Problem sei zudem, dass die Politik sehr stark in Legislaturperioden denke. "Und alles, was nicht innerhalb einer Legislaturperiode machbar ist, wird dann auf die lange Bank geschoben", sagt Rothgang.

Rita Hebenstreit müsste in der ambulanten Pflege auch keine 24-Stunden Versorgung anbieten, aber sie tut es aus eigenem Ermessen. "Wir haben ja hier von Pflegegrad zwei bis fünf alles. Und ich könnte nicht damit leben zu sagen: 'ab 18 Uhr wird die Türe zugemacht' und dann ist dort keiner mehr."

Ich könnte nicht damit leben zu sagen: "ab 18 Uhr wird die Türe zugemacht" und dann ist dort keiner mehr.

Rita Hebenstreit, Leiterin einer ambulanten Pflegeeinrichtung

Ob ambulante Pflege oder Heim, für alle gilt: Für Pflegebedürftige wird es immer teurer. 2024 zahlten Heimbewohner in Sachsen nach Abzug des Versicherungsanteils für das erste Jahr im Heim über 2.381 Euro im Monat – bundesweit lag der Schnitt nach Angaben des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) bei 2.576 Euro. Immer weniger Pflegebedürftige können die Pflege noch allein zahlen und müssen Sozialhilfe beantragen. Die vor 30 Jahren eingeführte Pflegeversicherung sollte das eigentlich verhindern und als finanzielle Absicherung für Pflegebedürftige fungieren.

In Werdau im Haus der Diakonie bezahlen die Heimbewohner durchschnittlich im ersten Jahr 2.610 Euro pro Monat. Auch Christoph Kießling kann den Pflegeheimplatz nicht mehr selbst zahlen. So geht es hier 21,5 Prozent der Heimbewohner.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach versprach 2024 noch die große Reform, um Pflegebedürftige nicht weiter zu belasten. Durch das Ende der Ampelkoalition wird dies nun zu einem Wahlkampfthema für die anstehende Bundestagswahl.

Die Bilanz der ablaufenden Legislatur bezüglich der Altenpflege ist enttäuschend. Nicht einmal wesentliche Inhalte aus dem Koalitionsvertrag zur finanziellen Entlastung von Pflegebedürftigen wurden umgesetzt. So etwa auch die Ausbildungsumlage in Pflegeheimen, die aus Steuern finanziert werden sollte. Sie wird aber nach wie vor von den Heimbewohnern bezahlt. Das kostet die Bewohner jeweils im Durchschnitt etwa 112 Euro im Monat.

In Mitteldeutschland fehlt es an ausländischen Pflegekräften

Ein Hauptgrund, warum die Kosten für Heimbewohner immer weiter steigen: Die Pflegekräfte verdienen mehr Geld, aber die Versicherungen zahlen das nicht komplett. Die gestiegenen Personalkosten bleiben somit bei den Bewohnern hängen.

Hinzu kommt, dass der Pflegekräftemangel in Deutschland hoch ist: 2023 dauerte es nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarktforschung im Schnitt 252 Tage bis eine Stelle einer Altenpflegefachkraft nachbesetzt wurde. Die generelle durchschnittliche Nachbesetzung einer Stelle betrug 152 Tage.

Dabei sind ausländische Pflegekräfte eine wichtige Säule in der Altenpflege. Ein regionaler Vergleich zeigt jedoch, dass der Anteil ausländischer Pflegekräfte im Bundesdurchschnitt wesentlich höher ist als in Mitteldeutschland, wo diese kaum eine Rolle spielen – in Sachsen liegt der Anteil bei acht Prozent, in Thüringen bei 6,3 Prozent und in Sachsen-Anhalt bei nur vier Prozent .

Noch fangen das hier die deutschen Pflegekräfte ab. Doch die meisten von ihnen sind älter und gehen in den nächsten Jahren in Rente. Dann werden die ausländischen Pflegekräfte auch hier besonders fehlen.

Die mitteldeutsche Region sei nicht das "beliebteste Zielgebiet" für Fachkräfte aus dem Ausland, so der Pflegewissenschaftler Rothgang. "Ich erwarte da auch in Zukunft, dass wir in Ostdeutschland in Bezug auf Pflegekräfte mehr Probleme haben werden als in Westdeutschland."

Ich erwarte da auch in Zukunft, dass wir in Ostdeutschland in Bezug auf Pflegekräfte mehr Probleme haben werden als in Westdeutschland.

Prof. Heinz Rothgang, Pflegewissenschaftler Universität Bremen

Für Pflegekräfte sind das keine guten Aussichten. Sie sind ohnehin schon am Limit. Kathleen Oehmig ist sogar schon mal aus der Pflege ausgestiegen. Sie entschied sich aber dafür, zurückzukommen. An sich sei es ein "wirklich ein schöner Beruf", erzählt Oehmig. Die Menschen seien sehr dankbar. "Das ist es, was es eben auch leicht macht, diesem Beruf nachzugehen."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt | 15. Januar 2025 | 21:15 Uhr

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