"Ost*West*Frau*" Sachbuch: Wie Frauenbilder aus DDR und BRD fortleben
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05. März 2025, 04:10 Uhr
Debatten über den Osten und die Frage nach der ostdeutschen Identität werden nach wie vor mit großem Eifer geführt. Dabei rücken zunehmend die Frauen in den Fokus. Was bedeutet etwa eine Herkunft aus der ehemaligen DDR oder BRD für die feministische Selbstverortung? Das fragt die Anthologie "Ost*West*Frau", die mit Franziska Hauser und Maren Wurster eine ost- und eine westdeutsche Schriftstellerin gemeinsam herausgegeben haben.
- Die Anthologie "Ost*West*Frau*" zeigt in Beiträgen aus Ost- und Westdeutschland, wie weibliche Rollenbilder bis heute nachwirken.
- Eine besondere Rolle spielt dabei die Rückbesinnung auf ostdeutsche Identität, die ambivalent beschrieben wird.
- Einigkeit besteht darin, dass das Rollenbild der Frauen auf beiden Seiten politisch war – und bleibt.
Maren Wurster, Mitte der 70er-Jahre in der Nähe von Stuttgart geboren, lebt inzwischen im Wendland und damit im ehemaligen Zonenrandgebiet. Wenn sie die Elbe überquert, dann stellt Maren Wurster fest, dass sich die Landschaft um sie herum verändert: Kleine Felder, die von Wiesen und Bäumen umgrenzt werden, weichen großen Flächen.
Ost oder West? Die innere politische Landschaft
Die Kollektivierung der Landwirtschaft, so fällt ihr auf, ist auch dreieinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der DDR noch deutlich erkennbar. Dass auch die inneren Landschaften von den politischen Entscheidungen der Vergangenheit beeinflusst werden, ist die Prämisse der von ihr zusammen mit Franziska Hauser herausgegebenen Anthologie.
Während ich also die ostdeutsche mit der westdeutschen Seite der Elbe vergleiche, überlege ich, wie meine Seelenlandschaft durch eine politische Landschaft beeinflusst worden ist.
Wurster Schreibt: "Was ich wahrnehme, ist also eine Prägung, so könnte ich sagen. Hier wie dort. Eine spezifische Koordination, die angelegt wurde und nun fortwirkt, obwohl äußere Faktoren nicht mehr vorhanden sind. Während ich also die ostdeutsche mit der westdeutschen Seite der Elbe vergleiche, überlege ich, wie meine Seelenlandschaft durch eine politische Landschaft beeinflusst worden ist."
Anthologie zeigt, wie alte Rollenbilder fortwirken
Zu Wort kommen in der Anthologie zahlreiche Autorinnen – und mit Florian Werner und Thomas Brussig auch zwei Autoren. In ihren Texten zeigt sich, wie Rollenbilder fortwirken: Sei es, weil sie nachgelebt werden oder weil die jüngere Generation gegen diese rebelliert. Die westdeutsche Hausfrau kommt dabei ebenso vor wie die taffe Ost-Frau, die Arbeit und Kind unter einen Hut bekommt. Und doch fächert sich in den Texten der Anthologie ein Panorama an Lebenserfahrungen auf, das diese Klischees hinter sich lässt.
So lässt Kerstin Hensel den Alltag ihrer Ahnfrauen lebendig werden, die aus dem Erzgebirge kommen und deren Leben geprägt ist von der jeweiligen Zeit, den Männern und der Maloche. Ihre Mutter absolviert in Dresden eine Ausbildung zur Säuglingsschwester, der Vater ist zunächst Volkspolizist und arbeitet schließlich in einem Motorenwerk. Auch Hensel erlebt in ihrer Erinnerung tradierte Rollenbilder.
Hänsel hält fest: "Gemeinsam halten VaterMutterKind die Wohnung sauber. Bin ich mit Staubwischen dran, fährt Mutter danach prüfend mit den Fingern über die Möbel. Siehste den Dreck?, fragt sie und weiß genau, was meine Strafe sein wird: Bei der Schluderei kriegste nie einen Mann! – Die Familie kriegt Nachwuchs: einen Fernseher, eine Schrankwand, einen Trabant. Die Trinität der Zufriedenheit."
Ambivalenz der ostdeutschen Identität
Während die in Ost-Berlin geborene Mitherausgeberin Franziska Hauser beklagt, dass das fortschrittliche Selbstverständnis der Frauen in der DDR in Vergessenheit gerät, sieht Charlotte Gneuß im Osten eine Rückbesinnung auf die eigene Identität. Gneuß verweist auf Diskussionen um ostdeutsche Freundschaft und ostdeutschen Sex oder auf Ost-Produkte, die in den sozialen Netzwerken viral gehen. Gleichzeitig wehrt sie sich gegen Verallgemeinerungen in Bezug auf den Osten. Dabei lässt sie eine gewisse Müdigkeit anklingen, dass noch immer um eine differenzierte Sicht gerungen werden muss.
"Klar will man benennen, dass der Osten weiß und braun ist", beschreibt Gneuß im Buch ihren Zwiespalt, "gleichzeitig will man Stereotype und Vorurteile abbauen und betonen, dass der Osten auch bunt, queer und migrantisch ist. Diese ständige (De)Konstruktion einer homogenen ostdeutschen Gruppe kostet Zeit und Kraft. Zeit und Kraft, die wir dringend bräuchten. Zum Beispiel für antirassistische Arbeit, für die Aufarbeitung der Coronapandemie, für die Lösung sozialer Fragen."
Klar will man benennen, dass der Osten weiß und braun ist, gleichzeitig will man Stereotype und Vorurteile abbauen.
Rolle der Frauen bleibt politisch
Gerade weil der Band eine Vielzahl von Ost- und Westerfahrungen versammelt, zeigt er, dass sich ein differenzierter Blick auf die eigene Herkunft lohnt. Drängende soziale Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie klingen dabei stets an. Denn der Band macht auch deutlich: Die Rolle der Frau im jeweiligen Staat war politisch gewollt – und die Politik wurde und wird zum großen Teil von Männern bestimmt.
Die Anthologie von Franziska Hauser und Maren Wurster ist somit eine vielstimmige und äußerst lesenswerte Momentaufnahme der aktuellen feministischen Debatte.
Angaben zum Buch (zum Ausklappen)
Franziska Hauser, Maren Wurster (Hrsg.): "Ost*West*Frau*"
Mit Beiträgen von Thomas Brussig, Kenah Cusanit, Daniela Dahn, Asal Dardan, Charlotte Gneuß, Kerstin Hensel, Ruth Herzberg, Olga Hohmann, Katja Kullmann, Nadège Kusanika, Mechthild Lanfermann, Sabine Peters, Sabine Rennefanz, Florian Werner, Julia Wolf
Frankfurter Verlangsanstalt, 2025
ISBN: 978-3-627-00329-6
256 Seiten, 22 Euro
Redaktionelle Bearbeitung: lm
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 05. März 2025 | 07:10 Uhr