Eine Frau aus unterschiedlichen Zeiten. 1 min
Im Dokumentarfilm "Stolz & Eigensinn" blicken Frauen aus DDR-Betrieben – wie Geräteführerin Silke Butzlaff aus der Lausitz – zurück auf ihre Arbeit und Unabhängigkeit – und auf Archivaufnahmen von 1994. Ben Hänchen berichtet. Bildrechte: realistfilm

Berlinale Doku über "Stolz & Eigensinn" ehemaliger DDR-Arbeiterinnen

19. Februar 2025, 10:11 Uhr

Für seinen neuen Film "Stolz & Eigensinn" hat der Regisseur Gerd Kroske einen Schatz im Archiv entdeckt: Auf alten Aufnahmen aus der Zeit kurz nach dem Ende der DDR erzählen Industriearbeiterinnen von Unabhängigkeit und Zukunftssorgen. In aktuellen Interviews konfrontiert Kroske die Frauen mit den Archivaufnahmen. Diese Kombination zeichnet ein spannendes Bild der DDR-Arbeiterinnen. Am Dienstag hat der Film Premiere auf der Berlinale gefeiert. Der Kinostart ist dieses Jahr im Herbst geplant.

In seiner neuen Dokumentation "Stolz & Eigensinn" widmet sich der Regisseur Gerd Kroske den Frauen in der DDR. In dem Film sind Archivaufnahmen zu sehen, in denen sie kurz nach dem Ende der DDR von ihrer Arbeit in den ehemaligen Industrie-Großbetrieben der DDR und ihre dadurch erlangte Unabhängigkeit erzählen. Damals sind laut Kroske 100.000 Industriearbeitsplätze von Frauen verschwunden. Geschickt kombiniert der Regisseur die dreißig Jahre alten Aussagen und Aufnahmen mit heutigen Interviews.

Eine Frau kann genauso ihre Arbeit machen, wie ein Mann. Da gibt es keine Ausnahmen.

Monika Schurmann, Zugführerin in der DDR Doku "Stolz & Eigensinn"

Der Film soll zeigen, dass die Frauen sich ihren Stolz und ihren Eigensinn auch Jahrzehnte nach ihrer Zeit als DDR-Arbeiterinnen erhalten haben. Der Filmtitel "Stolz & Eigensinn" ist aber auch eine Zusammensetzung aus dem Liebesroman "Stolz und Vorurteil" von Jane Austen sowie dem dreibändigen Buch "Geschichte und Eigensinn" von Oskar Negt und Alexanders Kluge.

MDR KULTUR-Filmkritiker Knut Elstermann beschreibt die Doku aus einen sehr faszinierenden Film, "weil es geht um die Rolle der Frau damals in der DDR-Gesellschaft." Es gehe aber auch um die Rolle von Arbeit als kollektiver Erfahrung und enorme Umbrüche.

Silke Butzlaff, eine ältere Frau mit roter Brille und weißem Helm steht an einer Tagebaukante. 2 min
Bildrechte: Realistfilm
2 min

Der Film "Stolz & Eigensinn" ist für den Knut Elstermann auch deshalb so stark, weil er nicht nostalgisch sei, sondern weil er auch Probleme aufzeige. Die Doku zeige die Rolle von Arbeit als kollektiver Erfahrung.

MDR KULTUR - Das Radio Mi 19.02.2025 09:01Uhr 01:48 min

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Zufallsfund im Archiv

In einem Interview erzählt Kroske, die Filmaufnahmen von 1994 seien ein Zufallsfund gewesen. Es sind Interviews des damaligen Leipziger Piratensenders "Kanal X". Arbeiterinnen, beispielsweise aus dem Tagebau Welzow-Süd oder Chemikerinnen aus Leuna, erzählen vom Verlust ihrer Jobs und damit ihrer Unabhängigkeit. Sie äußern ihr Erstaunen darüber, dass plötzlich nur noch Männer ihre Arbeit machen sollen. So erzählt die ehemalige Chemikerin Christel Bradler aus Leuna im Film, wie sie in den Neunzigern eigentlich zur Firma Total wechseln wollte: "Da hieß es, Total nimmt keine Frauen."

Cornelia Patzwald, eine ältere Frau mit rötlichen kurzen Haaren und grünem Oberteil sitzt vor einem Fernseher und zeigt darauf. Auf dem Bildschirm ist sie selbst 30 Jahre zuvor an einem Telefon einer Industrieanlage zu sehen.
Cornelia Patzwald arbeitete in der DDR und bis 1996 als Chemie­anlagenfahrerin in Leuna. Bildrechte: Realistfilm

Für "Stolz & Eigensinn" hat Kroske die Frauen von damals wiedergefunden, mit dem Archivmaterial konfrontiert und erneut befragt. "An den Fragestellungen hat mich die zu erzählende Lücke gereizt", so Kroske. Zwischen den Aufnahmen seien dreißig Jahre vergangen und damit eine Menge passiert.

Ich wollte eigentlich zu Total rüber und da hieß es, Total nimmt keine Frauen.

Christel Bradler, ehemalige Chemikerin in Leuna Doku "Stolz & Eigensinn"

Kroske sagt, ihn habe für das Filmprojekt interessiert, was die arbeitenden Frauen einst für sich gewonnen hatten und was für sie verloren gegangen war. Monika Schurmann arbeitete in der DDR als Zugführerin und gibt 1994 voller Selbstbewusstsein im Film zu Protokoll: "Eine Frau kann genauso ihre Arbeit machen, wie ein Mann. Da gibt es keine Ausnahmen."

Der Film ist für Filmkritiker Elstermann auch deshalb so stark, weil er nicht nostalgisch oder "osttümelnd" sei, sondern weil er auch Probleme aufzeige: "Er zeigt, an einer bestimmten Stelle war Schluss, da saßen dann die Männer oben," so Elstermann.

Blick von Heute auf das Ende der DDR

Von Anfang an habe es die Idee gegeben, das alte und das neue Material auch im Split-Screen zu zeigen, erzählt Kroske im Interview. Dafür hat er die Aussagen von damals und heute nebeneinander montiert. Dazu kommen auch Aufnahmen aus dem Arbeitsalltag in längst verschwundenen Industriegebäuden.

Zwei Poträts von Monika Schurmann sind nebeneinander zu sehen, links als Frau mittleren Alters mit Lockenfrisur und gestreiftem Hemd, rechts als ältere Frau mit kurzen grauen Haaren und dunkelblauem Oberteil.
Monika Schurmann arbeitete in der DDR als Zugführerin im Tagebau Welzow-Süd und lebt noch heute im Spreewald. Bildrechte: Realistfilm

Kroske habe überrascht, wie präzise die Erinnerungen der Frauen gewesen seien. "Zuweilen kommentieren sich die Frauen beim Schauen der Aufnahmen von früher selbst. Über diese Momente habe ich mich sehr gefreut", erzählt Kroske. "Ich konnte mir ja nicht sicher sein, dass meine filmische Idee tatsächlich aufgehen würde. Ist sie aber zum Glück."

Ich finde den Film deshalb so stark, weil er nicht nostalgisch oder 'osttümelnd' ist, wie man so schön sagt, sondern weil er auch die Probleme aufzeigt.

Knut Elstermann MDR KULTUR-Filmkritiker

Die Dokumentation erkläre auch viel an Befindlichkeit im Osten, argumentiert Filmkritiker Elstermann, er zeige, wie tief die Einschnitte nach dem Ende der DDR gewesen seien, wie schlimm es für die Frauen gewesen sei, die Arbeit damals als Erste zu verlieren und damit auch ihr soziales Umfeld.

Regisseur aus Dessau

Gerd Kroske wurde 1958 in Dessau geboren, wuchs dann in Leipzig und Berlin in der DDR auf. Über Umwege studierte er Regie in Babelsberg und arbeitete für das DEFA-Dokumentarfilmstudio. 1989 produzierte er seinen ersten eigenen Film über die Montagsdemos der Friedlichen Revolution "Leipzig im Herbst".

Gerd Kroske
Der Filmemacher Gerd Kroske zeigt sich durch seine Filme als genauer Beobachter. Bildrechte: picture alliance / Robert Newald / picturedesk.com | Robert Newald

Seit der Wiedervereinigung ist Kroske als freischaffender Autor und Regisseur tätig. Bekannt geworden ist insbesondere seine "Kehraus"-Trilogie, für die er Straßenkehrer nach dem Ende der DDR über mehrere Jahre hinweg begleitete. Heute ist er einer der erfolgreichsten deutschen Dokumentarfilmer und vielfach ausgezeichnet.

Weitere Informationen

"Stolz & Eigensinn"
ein Film von Gerd Kroske
Deutschland 2025, 113 Minuten
deutsche Originalfassung mit englischen Untertiteln

Premiere auf der Berlinale:
Dienstag, 18. Februar 2025, 15 Uhr
Delphi Filmpalast, Berlin

Weitere Vorführungen zur Berlinale:
Freitag, 21. Februar 2025, 19 Uhr, Zoo Palast 2, Berlin
Sonntag, 23. Februar 2025, 16:30 Uhr, Kino Betonhalle@Silent Green, Berlin

Quellen: Realistfilm, Berlinale, Salzgeber
Redaktionelle Bearbeitung: hro, gw, bh

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. Februar 2025 | 07:10 Uhr

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