Influencer, Pflege, Familienbetriebe Kinderarbeit passiert in Deutschland vor allem innerhalb der Familie
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12. Juni 2024, 11:47 Uhr
Kinder arbeiten dem Hilfswerk "Terre des hommes" zufolge in Deutschland häufiger unter schädlichen Bedingungen als Behörden bekannt ist. Das betreffe vor allem den familiären Raum, etwa wenn Kinder im Familienbetrieb aushelfen oder Angehörige pflegen. Eine "neue Form der Kinderarbeit" seien auch Familieninfluencer auf Social Media.
- Kinderarbeit bzw. Arbeitsbedingungen für Kinder werden nicht ausreichend kontrolliert, was zu einer hohen Dunkelziffer an Verstößen führen kann.
- Kinderarbeit in Deutschland findet vor allem innerhalb der Familie und in Familienbetrieben statt.
- "Terre des hommes" sieht Familieninfluencer als neue Art der Kinderarbeit.
In Deutschland arbeiten nach Einschätzung der Kinder-Hilfsorganisation "Terre des hommes" mehr Kinder und Jugendliche unter schädlichen Bedingungen als bisher bekannt. Im letzten Jahr seien den zuständigen Behörden zwar nur 60 Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz bekannt geworden – angesichts von über 14 Millionen Minderjährigen in Deutschland sei diese Zahl aber so verschwindend gering, dass man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen müsse, sagte Vorstandssprecher Joshua Hofert.
"Wichtige Akteure wie Schulen, Kinderärztinnen oder Jugendämter erkennen die Risiken für Kinder nicht. Die Jugendhilfe und die Gewerbeaufsichtsämter arbeiten nicht systematisch zusammen", erklärte Hofert.
Auch das Bundeskriminalamt (BKA) geht im Bereich der Arbeitsausbeutung von Minderjährigen von einer hohen Dunkelziffer aus. Es handele sich dabei um ein Problem, das erst durch Kontrollen auffalle, schrieb das BKA im Bundeslagebild 2022.
Kinderarbeit in Deutschland findet vor allem innerhalb von Familien statt
"Terre des hommes" hat selbst für eine nicht repräsentative Studie 37 Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren befragt. 14 dieser Kinder hatten demnach schon Arbeiten ausgeübt, die gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz verstoßen.
Die meisten dieser Verstöße fanden der Studie zufolge innerhalb der Familie oder in Familienbetrieben statt: zu Hause, in Gaststätten, landwirtschaftlichen Betrieben, auf dem Bau und bei der Gebäudereinigung.
Dazu zählten verbotene Arbeiten wie Türstehen oder der Ausschank von Alkohol, zu lange Arbeitszeiten, Nachtarbeit oder der Umgang mit gefährlichen Werkzeugen wie etwa großen Landmaschinen. In vielen Fällen wurde dabei das Mindestalter von 13 Jahren unterschritten. Keine dieser Tätigkeiten sei einem Jugendamt oder der Gewerbeaufsicht bekannt gewesen, schreiben die Studienmacher.
Das Bundesfamilienministerium schätzt zudem, dass rund 480.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland Angehörige pflegen, die chronisch körperlich oder psychisch krank sind oder eine Behinderung haben. Dabei nehmen sie sich einer Studie der Universität Witten-Herdecke zufolge oft selbst nicht als pflegende Angehörige wahr. Sie kümmerten sich wie selbstverständlich um ihre kranken Familienmitglieder, seien damit aber häufig überfordert. Und das könne negative Folgen für Psyche und soziales und schulisches Leben haben.
Familieninfluencerinnen: Milliardengeschäft mit Kindern
Eine neue Form der Kinderarbeit innerhalb der Familie ist "Terre des hommes" zufolge die Mitwirkung von Kindern in digitalen Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencerinnen. Marketing mit Influencern sei ein Milliardengeschäft, bei dem Familien vor den Augen von oftmals Millionen Followerinnen ihre Kinder einbezögen, um Geld zu verdienen.
Wir sehen auch Unternehmen in der Pflicht, keine Werbung in Kanälen zu schalten, in denen Kinder solchen Risiken ausgesetzt sind.
Die Kinder würden dabei jedoch hohen Risiken ausgesetzt: Ihr Zuhause sei öffentlich sichtbar, Privatsphäre existiere nicht, das Familienleben sei weitgehend inszeniert. Nicht nur die persönliche Sicherheit, sondern auch die Gesundheit der Kinder sei daher gefährdet, es besteht die Gefahr von Bindungs- und Entwicklungsstörungen, erklärt Terre des hommes.
"Terre des hommes" appelliert daher an die zuständigen Behörden, die Einbeziehung von Babys und Kleinkindern in digitalen Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencerinnen und -influencer umgehend zu stoppen. "Wir sehen auch Unternehmen in der Pflicht, keine Werbung in Kanälen zu schalten, in denen Kinder solchen Risiken ausgesetzt sind", sagt Joshua Hofert.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 12. Juni 2024 | 08:00 Uhr