Alte Frau steht an einer Haustür auf einem ländlichen Hof
Barbara Thamm verabschiedet ihren Sohn und den Pflegedienst an der Tür. Die 89-Jährige ist auf Unterstützung im Alltag angewiesen. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Fürsorge Pflege von Angehörigen: Vor diesen Herausforderungen stehen Familien

04. Juni 2024, 10:16 Uhr

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Ein Großteil der älteren Menschen wird von Familie, Freunden und Pflegefachkräften zu Hause umsorgt. Beinahe täglich leisten die Angehörigen einen Spagat zwischen Beruf und Pflege. Auf dem Land fehlt es vor allem an Tages- und Kurzzeitpflegeplätzen. Zum Start der "Thüringer Woche der pflegenden Angehörigen" haben wir eine Familie aus dem Ilm-Kreis im Pflegealltag begleitet.

Drei Generationen wohnen und leben auf dem Hof der Familie Thamm in dem kleinen Örtchen Rippersroda im Ilm-Kreis unter einem Dach. Seit mehreren Jahren ist das älteste Familienmitglied im Alltag auf eine intensive Unterstützung und Pflege angewiesen. Zu stemmen ist diese tägliche Aufgabe nur gemeinsam und mit Hilfe des ambulanten Pflegedienstes. Besonders die Bürokratie, das fehlende Pflegeangebot auf dem Land sowie der tägliche Balanceakt zwischen Beruf und Fürsorge sind herausfordernd.

In Thüringen pflegen etwa 300.000 Menschen ihre Angehörigen. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird aufgrund des demografischen Wandels weiter ansteigen - und die Situation wird sich wohl auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels besonders auf dem Land weiter verschärfen.

Ältere Menschen auf Pflege angewiesen

Um 6 Uhr klingelt täglich der Wecker von Jörg Thamm. Danach gilt es, die Tabletten und das Frühstück für seine fast 90-jährige Mutter vorzubereiten. Seit etwa drei Jahren ist Barbara Thamm nach mehreren Operationen am Fuß auf intensive Unterstützung im Alltag und Pflege angewiesen. Aufstehen, waschen, anziehen - bei vielen Bewegungsabläufen braucht es helfende Hände. Neben der Familie kümmert sich ein ambulanter Pflegedienst um die Pflege der Seniorin.

"Ohne Familie im Rücken würde das nicht funktionieren"

Die Pflegerinnen kommen zweimal täglich und übernehmen die Hygiene sowie die Mittagsversorgung. "Da wir berufstätig und tagsüber nicht da sind, muss das Mittag gereicht werden", beschreibt Thamm die Situation. "Wir gucken dann nochmal zur Kaffeezeit rein. Wir sind ja ständig im Haus, die Kinder kommen dann auch rein und schauen nach ihr, machen die Tür auf und gucken, ob alles in Ordnung ist."

Ohne Familie im Rücken würde das nicht funktionieren.

Jörg Thamm pflegender Angehöriger

Nach dem Abendbrot stehe die letzte Runde dann immer um 22 Uhr an: "Das heißt: Stützstrümpfe ausziehen, das bekommt sie ja nicht alleine hin, weil die so stramm sind, dann wird die letzte Tablette nochmal gereicht."

Notrufknopf am Arm einer alten Frau
Die 90-Jährige hat nur noch wenig Kraft in den Händen. Den mobilen Notrufknopf trägt die Seniorin außer nachts immer am Arm. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Drei Generationen wohnen bei Familie Thamm aus Rippersroda unter einem Dach. Die Pflege der Mutter sei nur dank der Unterstützung von Frau und Kindern möglich, sagt der 58-Jährige: "Ohne Familie im Rücken würde das nicht funktionieren." Dass die pflegebedürftige Mutter gemeinsam mit der Familie auf dem Hof lebt, mache die Sache einfacher: "Hätten wir die zu pflegende Person nicht im Haus, sehe es schwieriger aus." Den Pflegedienst hat die Familie von Anfang an einbezogen, denn alleine sei die Pflege nicht zu schaffen.

Tägliche Mehrbelastung für pflegende Angehörige

Neben der täglichen Fürsorge und der Zubereitung der Mahlzeiten geht jede Menge Zeit für die Arbeiten im Haushalt drauf. Wäsche waschen, aufräumen, saubermachen - neben den eigenen vier Wänden muss sich auch um den Haushalt gekümmert werden. Zahlreiche Arztbesuche fallen zudem an: "Ob das zum Diabetikerarzt ist, ob das zum Hausarzt ist, zum Optiker oder zum Augenarzt, das ist ja nicht einfach. Ich muss den Rollator einpacken, die Mutter richtig einpacken und ins Auto hieven", sagt der gelernte Gärtner. Damit die Familie die Termine absichern kann, muss oftmals die berufliche Arbeit unterbrochen, müssen Dienste geschoben oder extra Urlaub genommen werden.

Portraitfoto Jörg Thamm
Zu den schönsten Momenten gehören laut Thamm die gemeinsamen Spaziergänge: "Wenn wir mit dem Rollstuhl unterwegs sind und sie erfreut sich an den Dingen, wo sie ja alleine nicht mehr hinkäme." Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Bürokratische Hürden

Von der Einstufung des Pflegegrades, über die Abrechnung der Verhinderungspflege, bis zur Besorgung der Pflegemittel - es ist kompliziert, zeitaufwendig und zu Beginn sind pflegende Angehörige mit den vielen Formularen oftmals überfordert. "Jetzt funktioniert das schon, aber man muss am Anfang natürlich ganz schön aufpassen, sich ganz schön dransetzen, um diese ganzen Hürden zu nehmen", sagt Thamm. Die ganze Bürokratie, die mit der Pflege verbunden ist, sei anspruchsvoll und sollte laut Thamm vereinfacht werden.

Pflegedienst: Schwierigkeiten auf dem Land

Die fast 90-Jährige wird vom ambulanten Pflegedienst des DRK-Kreisverbandes Arnstadt betreut. Die Pflegefachkräfte kümmern sich noch um vier weitere Seniorinnen aus dem Dorf. Vor wenigen Monaten wurde deren Pflege vollständig vom DRK übernommen. Denn ein weiterer Anbieter habe sich aufgrund des fehlenden Personals aus der Region zurückgezogen, sagt die stellvertretende Pflegedienstleiterin Ellen Plumeier.

Alles, was dörflich weiter raus geht, da wird's schwierig. Es wird auch in Zukunft nicht besser werden mit der Versorgung.

Ellen Plumeier stellvertretende Pflegedienstleiterin

Glücklicherweise sei es möglich gewesen, alle Pflegebedürftigen zu übernehmen. Mit Pflegediensten auf dem Land sehe es zunehmend schwieriger aus: "Alles, was dörflich weiter raus geht, da wird's schwierig. Es wird auch in Zukunft nicht besser werden mit der Versorgung." In einigen Ecken im Kreis fehle schon jetzt das Angebot. "Da stehen die Angehörigen eigentlich alleine da. Auch, was die Tagespflege betrifft. Und dann muss ja auch noch ein Platz frei sein. Das Angebot müsste mehr werden", so die 39-jährige Pflegefachkraft.

Tagespflege ist auf dem Dorf keine Option

Eine Tagespflege, in der die Betroffenen für mehrere Stunden am Tag in einer Einrichtung betreut werden, entlastet oftmals die pflegenden Angehörigen und bringt Abwechslung in den Alltag der pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren. Doch in Rippersroda fehle das Angebot. "Es ist schwer zu organisieren. Ich habe in Arnstadt angefragt, habe Gräfenroda und Geraberg angefragt.

Es war keine Option, eine Tagespflege zu generieren, die sagt: Ja, wir fahren nach Rippersroda und holen sie ab. Das ist leider so", sagt Thamm. Für die Tagespflege sei der Weg in das Dorf zu weit." Die Kostenentschädigung für den Transport der zu pflegenden Personen ist einfach durch das Land, durch den Bund zu gering. Das ist der Grund, warum man, je weiter man weg wohnt, schlechtere Chancen hat, die Tagespflege zu besuchen", sagt Thamm, der diese Erfahrung auch als Kommunalpolitiker von Mitmenschen gespiegelt bekommen habe.

Teaserbild zu exactly mit der Aufschrift: "Ich war überfordert und verloren" 30 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Angehörige erbringen logistische Meisterleistung"

Gerade im ländlichen Raum stünden pflegende Angehörige auch aufgrund der längeren Fahrtwege vor großen Herausforderungen, sagt Christiane Herrmann vom kommunalen Senioren- und Pflegeinformationszentrum des Ilm-Kreises. Fehlende Tagespflegen sind ein Problem, bestätigt sie: "Ich kann auch die Tagespflegeeinrichtungen ein Stück weit verstehen, es ist einfach nicht ausfinanziert. Die Wegpauschalen decken nicht im Geringsten das ab, was eigentlich an Leistungen erbracht wird. Somit fällt das ganz einfach im Leistungskatalog weg für die Angehörigen, beziehungsweise für die Senioren." Das stehe zusätzlich noch den Kosten gegenüber.

Mit einem Pflegegrad zwei könnten sich Betroffene etwa für zwei Tage eine Tagespflege ohne Zuzahlung leisten, obwohl der Bedarf vielleicht größer wäre. Zudem gebe es in der Region auch viel zu wenig Angebote für Kurzzeitpflege. Die einzelnen Problemlagen seien komplex. Die Angehörigen erbrächten täglich eine logistische Meisterleistung, um die Pflege zu stemmen. Für Christiane Herrmann steht fest: Es fehlt an Unterstützung für pflegende Angehörige.

Das Land Thüringen entwickelt derzeit in Zusammenarbeit mit Akteuren des Pflege- und Gesundheitswesens in einer Dialogwerkstatt Lösungsansätze für die vielfältigen Herausforderungen in der Pflege. Unter anderem soll ein Thüringer Pflegenetzwerk etabliert werden, um Pflegebedürftige und pflegende Angehörige gezielt zu unterstützen. Die Ergebnisse sollen zudem im Thüringer Pflegeentwicklungsplan einfließen, der laut Gesundheitsministerium im kommenden Jahr fertiggestellt werden soll.

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MDR (wdy/sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 03. Juni 2024 | 18:25 Uhr

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