Vorbild Australien Social-Media-Verbot für U-16-Jährige auch in Deutschland?
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23. Januar 2025, 14:11 Uhr
Australien hat ein Gesetz verabschiedet, das Kindern und Jugendlichen die Nutzung von Sozialen Medien erst ab 16 Jahren erlaubt. Die Entwicklung dort bringt das Thema Altersbeschränkung für Social Media auch hierzulande auf die Agenda. Mittlerweile fordern manche Politiker ein ähnliches Modell auch für Deutschland. Ist eine strikte Altersbeschränkung der richtige Weg, um Kinder vor den Risiken von Social Media zu schützen?
Umfragen unter der australischen Bevölkerung zeigen, dass die Mehrheit das Verbot für richtig hält, berichtet ARD-Korrespondent Florian Bahrdt: "Weil sie sehen, dass Social Media mehr Risiken als Chancen für Kinder birgt und durch die gesetzliche Regelung wird den Eltern eine Menge Verantwortung abgenommen."
Unter anderem Thüringens Bildungsminister Christian Tischner will nun auch in Deutschland Social Media ab 16 zur Diskussion stellen. Er sieht Gefahren durch Cybermobbing, exzessive Nutzungszeiten und negative Folgen für den Lernerfolg.
Sind diese Bedenken berechtigt? Wie sinnvoll ist eine Altersbeschränkung für Social Media und was spricht dafür und was dagegen?
Gibt es bei Sozialen Medien bereits eine Altersbeschränkung?
Auch wenn das nicht allen bekannt ist, haben Soziale Medien eine Altersgrenze. Diese liegt bei den meisten Social-Media-Apps bei 13 Jahren. Unter 16 ist außerdem die Zustimmung der Eltern für die Nutzung nötig. Allerdings handelt es sich um eine selbst gesetzte Altersgrenze, ein gesetzliches Mindestalter für die Social-Media-Nutzung gibt es in Deutschland nicht.
Die Apps geben die Altersbegrenzung häufig in ihren AGB an. Der Grund für die Altersgrenze von 13 Jahren liegt in mehreren Gesetzen:
Die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schreibt vor, dass persönliche Daten von Kindern unter 16 Jahren nur mit der Zustimmung der Erziehungsberechtigten verarbeitet werden dürfen. In den USA ist es aufgrund des Children's Online Privacy Protection Act (COPPA) ähnlich, wobei die Altersgrenze mit 13 Jahren deutlich niedriger ist.
Für viele Soziale Netzwerke gehört das Sammeln von Daten aber zum Geschäftsmodell und eine valide Überprüfung des Alters ist aufwendig und teuer. Deshalb gehen Instagram, TikTok & Co. Den pragmatischen Weg und geben ein Mindestalter in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) an. Dadurch schieben die Plattformen die Verantwortung von sich. Die Argumentation: Jüngere Kinder dürfen gar nicht auf den Plattformen sein, weil sie sonst gegen die AGB verstoßen würden.
Dass das Grundschüler nicht aufhält, zeigt die KIM-Befragung aus dem Jahr 2022: Ein Drittel der 6- bis 13-Jährigen gab dort an, Instagram zu nutzen, bei TikTok war es die Hälfte und bei WhatsApp sogar dreiviertel. Dagegen hilft auch die Abfrage des Geburtsdatums bei der Registrierung nichts, die mit Rechenfähigkeiten aus der Grundschule leicht überlistet werden kann.
Ab welchem Alter sind Soziale Medien empfohlen?
Auf die Frage, ab welchem Alter Kindern die Nutzung von Social-Media-Plattformen bedenkenlos erlaubt werden kann, gibt es keine pauschale Empfehlung. Viele Experten sind sich einig: Es kommt auf den individuellen Entwicklungsstand an und darauf, inwieweit die Nutzung durch die Eltern begleitet, Risiken besprochen und die Nutzungszeit begrenzt wird.
Die Seite klicksafe.de weist auf verschiedene Punkte hin, auf die Eltern achten können, wenn sie ihrem Kind den Zugang zu Sozialen Medien erlauben:
- Gemeinsame Einrichtung des Accounts mit besonderem Augenmerk auf Sicherheits- und Privatspähreeinstellungen.
- Aufstellung von klaren Regeln für die Nutzung (Was darf angeschaut und gepostet werden? Wie hoch ist die maximale Nutzungsdauer?).
- Regelmäßiger Austausch darüber, was das Kind im Internet macht und erlebt.
- Das Kind mit Hilfsangeboten für Probleme vertraut machen, über die es mit seinen Eltern nicht sprechen möchte (z. B. JUUUUPORT).
Was spricht für Social Media ab 16?
Die australische Regierung begründet das Verbot damit, Kinder vor den negativen Auswirkungen der Nutzung schützen zu wollen, berichtet ARD-Korrespondent Florian Bahrdt. Dazu würden zum Beispiel Mobbing, Fake News, Gewaltvideos oder der Darstellung eines falschen Körperbildes gehören.
Nach Auffassung der Befürworter des Verbots haben unter-16-Jährige noch nicht die Lebenserfahrung, um damit gut und richtig umgehen zu können.
Sind diese Befürchtungen begründet? Der Kommunikationswissenschaftler Adrian Meier beschrieb in einem Expertengespräch des Science Media Centers verschiedene Facetten von Sozialen Medien, deren negative Auswirkungen bereits durch Studien belegt wurden:
- Sozialer Vergleich: Wenn sich junge Nutzerinnen und Nutzer mit unrealistischen Körperdarstellungen vergleichen, kann sich dies negativ auf das eigene Selbstwertgefühl auswirken.
- Sozialer Ausschluss: Durch Ausgrenzungserlebnisse, wie Cybermobbing oder dem Ausschluss aus der WhatsApp-Gruppe der Schulklasse können Jugendliche sehr negative Erfahrungen in Sozialen Medien machen.
- Selbstkontrolle und Prokrastination: Eine unkontrollierte Nutzung von Sozialen Medien kann sich negativ auf Verpflichtungen in der realen Welt auswirken, wie zum Beispiel das Erledigen von Hausaufgaben.
- Schlafdefizit: Es gibt zunehmend Belege dafür, dass die Nutzung kurz vor dem Einschlafen zu Grübeleien führen und dem "zur Ruhe kommen" im Weg stehen kann.
Auch die Psychologin Isabel Brandhorst, Leiterin der Forschungsgruppe Internetnutzungsstörungen am Universitätsklinikum Tübingen, sieht potenzielle Risiken bei verzerrten Körperbildern durch Social Media oder Cybermobbing. Zwar komme es auf den Einzelnen an, welche Folgen die Nutzung von Sozialen Medien auf die mentale Gesundheit habe, aber gerade Jugendliche in der Pubertät seien besonders gefährdet:
Sie befinden sich einfach in einer relativ labilen Phase, in der Soziale Netzwerke dann vielleicht anfängliche Symptome von psychischen Erkrankungen unter Umständen befeuern können.
Was spricht gegen ein Social-Media-Verbot bis 16 Jahren?
Soziale Medien stellen für Kinder und Jugendliche nicht nur eine Bedrohung dar, sie können auch durchaus positive Effekte haben, die durch ein Verbot ebenfalls verhindert werden würden.
Das sehen auch die Kritiker der neuen Regelung in Australien so, sagt ARD-Korrespondent Florian Bahrdt: "(Sie) befürchten, das generelle Verbot könnte Jugendlichen den Zugang zu positiven Onlineinhalten erschweren, z. B. zu Bildungscontent. Und viele nutzen die Plattformen (…) einfach auch zum Kommunizieren, für Verabredungen oder als Nachrichtenquelle."
Auch der Kommunikationswissenschaftler Adrian Meier sieht positive Effekte der Social-Media-Nutzung für Jugendliche:
- Social Media kann tatsächlich sozial sein: Nutzerinnen und Nutzer haben das Gefühl, dass ihnen mehr soziale Unterstützung zur Verfügung steht, etwa durch die Verbundenheit zu Freunden oder auch durch emotionalen Beistand über Messenger. Insbesondere für Minderheiten (z. B. die LGBTQ-Community) können Soziale Medien ein "sicherer Heimathafen" sein.
- Unterhaltung und Erholung: Social Media wird natürlich auch wie jedes andere Unterhaltungsmedium genutzt. So können kleine "Medienpausen" einen positiven Effekt auf die Stimmung haben.
- Inspiration und Motivation: Inhalte auf den Plattformen können motivierende Effekte haben. Von Reisen über Sport und Bewegung bis hin zum politischen Aktivismus.
Einem generellen Verbot steht auch das Recht von Kindern auf Teilhabe an Medien entgegen, zu denen auch Soziale Medien gehören. Für den Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz Sebastian Gutknecht ist deshalb ein Verbot für unter-16-Jährige zu weitreichend:
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf digitale Teilhabe und darauf, digitale Lebensräume sicher zu erkunden. Die Anbieter haben in Europa die gesetzliche Pflicht, ihre Plattformen für junge Menschen mit strukturellen Vorsorgemaßnahmen möglichst sicher zu gestalten.
Ein Verbot für Kinder könnte Social-Media-Plattformen sogar für alle anderen Nutzerinnen und Nutzer unsicherer machen. Wenn sich (offiziell) nur noch ältere Jugendliche und Erwachsene auf den Plattformen bewegen, könnte der Anreiz für die Tech-Unternehmen schrumpfen, Sicherheitsmaßnahmen – wie das Löschen unangemessener Inhalte und Meldefunktionen – weiterzuentwickeln und einzusetzen, von denen letztlich auch alle anderen Nutzerinnen und Nutzer profitieren.
Wie kann das Alter auf Social-Media-Plattformen überprüft werden?
Das Hauptproblem bei der Umsetzung eines Social-Media-Verbots für Kinder ist nach wie vor die technische Umsetzung. Wie kann das Alter einer Person, die sich auf der Plattform registrieren will, zweifelsfrei festgestellt werden? Und das, ohne Beeinträchtigung der Privatsphäre.
In Australien haben die Plattformbetreiber bis Dezember 2025 Zeit, eine sichere Alterssperre einzurichten. Derzeit werden verschiedene Ideen für die technische Umsetzung diskutiert, berichtet Florian Bahrdt:
- Beim Altersnachweis per Personalausweis oder Reisepass gibt es viele datenschutzrechtliche Bedenken. Außerdem könnten findige Kinder einfach den Ausweis ihrer Eltern hochladen.
- Bei der Gesichtserkennung befürchten Kritiker, dass Kinder und Jugendliche die Technik durch Make-Up überlisten könnten.
- Neu ist der Ansatz, das Alter mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu bestimmen. Beispielsweise soll eine KI in der Lage sein, anhand von in die Kamera gezeigten Handgesten wie dem Peace-Zeichen oder einer Faust zu erkennen, wie alt eine Person ist.
Auch beim deutschen Bundesfamilienministerium liegt bereits ein Konzept für den digitalen Altersnachweis vor. Demnach könnten unabhängige Drittinstanzen (z. B. Behörden, Banken oder Krankenkassen) einen Abgleich mit ohnehin vorhandenen Daten durchführen könnten. Sie melden dann nur an die Plattformen, ob die Altersgrenze erreicht ist oder nicht. Wichtig sei, dass keine zusätzlichen Daten erhoben werden müssen.
Die Antwort auf die Frage, welche Methode sich als bester Kompromiss zwischen Funktionalität und Datensparsamkeit erweist, wird wohl noch auf sich warten lassen.