Über dem Handybildschirm einer Frau schweben mehrere Emojis. 8 min
Wegen ihres Potenzials zur Doppeldeutigkeit eignen sich gerade Emojis als Code in digitalen Räumen. Bildrechte: MEDIEN360G | Panthermedia

Digitale Codes Versteckte Botschaften auf Social Media

12. November 2024, 16:36 Uhr

Wir alle verwenden Codes in unserem Alltag. Meist unbewusst, manchmal aber auch gezielt. Sei es im Beruf in Form von Fachbegriffen oder im familiären Kontext mit speziellen Wörtern oder Insiderwitzen. Besonders im Internet gibt es Ausdrücke, Abkürzungen und vor allem Emojis, die nur von bestimmten Personen verstanden werden (sollen). Diese Codes können sowohl kriminelle, monetäre oder auch politische Hintergründe haben.

Vor wenigen Tagen hat der Langenscheidt-Verlag wieder das Jugendwort des Jahres gekürt. Zu dieser Tradition gehören auch immer wieder Reaktionen, die das Unverständnis von Nicht-Jugendlichen gegenüber der Auswahl an Wörtern offenlegen. Denn diese Wörter werden nur von denjenigen so verstanden, wie sie gemeint sind, die die Jugendwörter wie "Aura", "Yurr" oder "Schere" in ihrem aktuellen Kontext entschlüsseln können.

Was sind Codes auf Social Media und warum werden sie genutzt?

Dass sich in bestimmten Gruppen eine eigene Sprache entwickelt, hat es schon immer gegeben, erklärt der Medienwissenschaftler Dr. Jan Claas van Treeck. Genau wie für gesellschaftliche Gruppen, gelte das auch für Communities im Internet: "Menschen, die sich im Internet bewegen, in bestimmten Communities, entwickeln, wie auch jede Community außerhalb des Internets ihre eigene Sprache. Aber weil es im Internet ist, verbreitet sich diese schneller."

Bei der Kommunikation in der digitalen Welt findet sich kodierte Sprache an jeder Ecke: Memes, die als Insiderwitze des Internets nur von Personen mit bestimmten Hintergrundwissen verstanden werden. Hashtags auf TikTok und Instagram, wie #TBT (Throwback Thursday) oder #OOTD (Outfit of the day), die Inhalte zu einem bestimmten Thema kategorisieren. Plattformspezifische Begriffe wie RT (Retweet) auf Ex-Twitter X oder DM (Direct Message, Nachricht im privaten Chat) auf Instagram. Das Auberginen-Emoji (🍆) als Symbol für das männliche Geschlechtsteil.

Gerade Emojis, die aus der Kommunikation in Sozialen Medien und Chats kaum noch wegzudenken sind, eignen sich aufgrund ihres Potenzials zur Doppeldeutigkeit besonders gut für verschlüsselte Botschaften. Das Schneeflocken-Emoji (❄️) kann in der einen Ecke des Internets für Schnee und Winter, in einer anderen für eine hypersensible Person und in einer dritten für Kokain stehen.

Wer sich im Internet bewegt, stößt also mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich auf verschlüsselte Inhalte, oft ohne sie als solche zu erkennen. Die Motive für die Verwendung solcher Codes können dabei ganz unterschiedlich sein: für eine effizientere Kommunikation, ein Gemeinschaftsgefühl durch die Verwendung einer Sprache oder auch, um diskret zu kommunizieren.

Codes für Drogen und kriminelle Aktivitäten

Dass in viele Emojis mehr als eine Bedeutung interpretiert werden kann, machen sich auch Kriminelle zunutze – zum Beispiel im Drogenhandel. Eine von der US-amerikanische Drogenbehörde DEA veröffentlichte Liste zeigt, welche Emojis in Chats und Sozialen Medien für Rauschmittel benutzt werden. Demnach soll in den Chats der Drogenszene das Diamant-Emoji (💎) als Deckname für Crystal Meth verwendet werden und ein grüner Drache (🐉) für Heroin stehen.

Vor Strafverfolgung schützt die Nutzung von den vermeintlich diskreten Smileys aber nicht. In einer Gerichtsverhandlung in Trier wurden einem Angeklagten, der mit Drogen handelte, eine Schneeflocke (❄️) und ein Kleeblatt (☘️/🍀) zum Verhängnis, die in seinen Chats stellvertretend für Kokain und Cannabis benutzt wurden.

Wenn nur Sender und Empfänger die Codes verstehen sollen, Strafverfolgungsbehörden aber nicht, ist eine zu offensichtliche Verschlüsselung daher nicht geeignet. In den USA wurden beispielsweise zwei Männer verhaftet, aufgrund einer nur aus drei Emojis bestehenden Nachricht: 👊👉🚑. Für die Behörden war das eine klare Drohung, das Opfer krankenhausreif zu prügeln.

Rechtsextreme und antisemitische Codes

Was hat ein Holztür-Emoji mit Holocaustleugnung zu tun? In manchen Kontexten ziemlich viel, sagt Susanne Siegert, die einen TikTok-Kanal rund um rechtsextreme Kommunikationstrategien betreibt.

Das Emoji (🚪) sieht harmlos aus, transportiere aber in bestimmten Kreisen eine klare Botschaft: "Dass es in Auschwitz angeblich nur ganz windige Türen bei den Gaskammern gegeben hätte, das sieht man auf manchen Fotos. Aber da werden immer Fotos gezeigt, auf denen gar keine Holztüren von Gaskammern zu sehen sind, sondern irgendwelche andere Türen. Und deswegen kann es gar keine Gaskammern gegeben haben, denn diese Tür hätte niemals einer Vergasung standgehalten". So die Verschwörungserzählung.

Den Holocaust zu leugnen, ist in Deutschland strafbar, das Emoji als solches sei das erst mal nicht, so Siegert: "Keine Meldung bei TikTok, keine Anzeige bei der Polizei würde auf diese Kombination in diesem Code anspringen". Das sei laut Susanne Siegert einer der Gründe, weshalb rechtsextreme oder antisemitische Aussagen gerne in die harmlos oder niedlich wirkende Bildersprache übersetzt werden.

Welche Emoji-Codes gibt es?

Achtung: Da der Pool an Emojis, die auch für rechtsextreme, verschwörungstheoretische oder antisemitische Zwecke genutzt werden, sehr dynamisch ist und sich ständig verändert, ist diese Liste nicht unbedingt aktuell und schon gar nicht vollständig. Außerdem: Die Bedeutung ist immer vom Kontext abhängig!

  • ⚡⚡ soll die "SS-Rune" darstellen
  • 🙋‍♂️/🙋 kann für den Hitlergruß stehen
  • 👌 kann für "White Power" stehen
  • ⚫⚪🔴 soll die Flagge des deutschen Reichs symbolisieren
  • 🧕✈️ wird für "Abschiebung" verwendet
  • 🐑 kann in verschwörungstheoretischen Kreisen für die Bezeichnung anderer als "Schlafschafe" stehen
  • 🧛 kann für das antisemitische Bild "Blutsauger" stehen
  • 🖊️ kann für die Verschwörungstheorie und Holocaustleugnung stehen, dass die Anne-Frank-Tagebücher gefälscht seien

Nicht nur die manchmal uneindeutigen Emojis werden für diesen Effekt genutzt, auch mit absichtlich verfremdeten Wörtern wird versucht, automatischen Filtern zu entgehen: "'Jews’, die Juden, wird dann ganz schnell als 'Juice', der Saft, geschrieben. Ja, warum? Weil man weiß, dass simplere Formen von Erkennungssystemen dann nicht mehr anspringen. [...] Leute, die das lesen, verstehen natürlich ganz genau durch das bloße Aussprechen, dass damit Jüdinnen und Juden gemeint sein", wie Benjamin Fischer von der Alfred-Landecker-Stiftung, die sich gegen Hass und Antisemitismus im Netz engagiert, in einem Interview bei Deutschlandfunk Kultur erklärte.

Wie soll man aber als Nutzer mit solchen Codes umgehen? Muss ich diese Emojis von nun an aus meiner Chatsprache verbannen? Nein, meint Susanne Siegert, entscheidend sei der Kontext: "Ein gutes Beispiel ist dieses winkende Emoji (🙋‍♂️), das von rechts gern als Referenz zum Hitlergruß genutzt wird. Natürlich kann ich trotzdem meiner Mutter schreiben: 'Hey Mama, schönes Wochenende' und das winkende Emoji verwenden."

Ohnehin ist es fast unmöglich, den Überblick zu behalten, welche Emojis gerade in welchem Kontext wie verwendet werden, denn der Katalog der Emoji-Codes ist riesig und ändert sich ständig.

Algospeak als Reaktion auf Social-Media-Regeln

Soziale Medien wie Instagram oder TikTok haben Plattformrichtlinien, die festlegen, welche Inhalte auf der jeweiligen Plattform erlaubt und welche verboten sind. In den Instagram-Richtlinien sind beispielsweise unter anderem das Posten von Hassrede, Nacktheit oder der Verherrlichung von Selbstverletzung als verbotene Inhalte aufgeführt. Um diese Verbote auf der Plattform durchzusetzen, werden häufig Filter eingesetzt, die automatisch anhand von bestimmten Begriffen entsprechende Posts erkennen und entfernen oder die Reichweite einschränken, sodass sie weniger Nutzenden angezeigt wird.

Um das zu umgehen, hat sich der sogenannte Algospeak entwickelt, zusammengesetzt aus den Wörtern für Algorithmus und Sprechen. So wird aus Sex "SeGGs", aus Porno "Corn" (auch 🌽) oder "P0rn0" und Emojis wie 🔪, ✂️ und 🪒 symbolisieren selbstverletzendes Verhalten. Das soll, in der Theorie, eigentlich verbotene Inhalte, vor der Begrenzung der Reichweite oder der Löschung schützen. Wie effektiv der Algospeak gegen Plattformeinschränkungen ist, ist jedoch unklar, da die Social-Media-Plattformen nicht veröffentlichen, wie die automatischen Filter genau arbeiten.

Verschlüsselte Nachrichten als Schutz vor Zensur

In Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit können kodierte Botschaften im Internet auch zu einem Mittel freiheitlicher Bestrebungen werden.

Am 24. Februar 2022, dem Tag, an dem Russland die Invasion der Ukraine begann, verbreitete sich laut einem Bericht der BBC ein Bild in den sozialen Medien. Darauf zu sehen: Ein Bild des russischen Dichters Puschkin und die Zahl 7, umrahmt von zahlreichen Emojis eines laufenden Menschen (🚶). Für diejenigen, die den Code verstehen, ist die Botschaft klar: Es wird zu einer Demonstration auf dem Puschkin-Platz in Moskau aufgerufen. Das Emoji 🚶 sei schon vor Jahren zum Symbol für die Teilnahme an einer Protestveranstaltung geworden und mittlerweile auch den russischen Behörden bekannt, so dass es kaum noch als Geheimcode angesehen werden könne.

Als 2020 das Corona-Virus in China ausbrach, sorgte ein Interview mit der Ärztin Ai Fen, der Leiterin der Notaufnahme des Zentralkrankenhauses von Wuhan, für Aufsehen. Das Interview warf die Frage auf: "Wenn die Behörden so früh wussten, dass das Virus unter Menschen ansteckend ist, warum handelte dann niemand?"

Das Interview wurde aufgrund seiner Brisanz bald aus dem chinesischen Internet entfernt. Daraufhin wurde es immer wieder von Nutzerinnen und Nutzern verfremdet und erneut hochgeladen, um es vor der Zensur zu schützen. Unter anderem wurde es so in verschiedene Sprachen übersetzt, sowie in Blindenschrift, Morsezeichen, Strichcodes und Emojis.

Ebenfalls in Russland nutzten Aktivisten aus dem Umfeld von Alexei Nawalny verschlüsselte Botschaften. Ende 2023 ließen sie in mehreren russischen Städten Plakate mit der harmlosen Botschaft "Frohes Neues Jahr" aufhängen. Ein Link sowie ein QR-Code auf dem Plakat führten jedoch zu einer Website, die mit den unpolitischen Neujahrswünschen nicht mehr viel zu tun hatte. Dort wurden die Wähler aufgefordert, bei den nächsten Wahlen nicht für Putin zu stimmen und auch andere Menschen davon zu überzeugen. Nach zwei Tagen seien die Plakate wieder entfernt worden.

Sicher in der digitalen Welt

Ein Politiker steht vor Mikrofonen, lächelt in die Kamera und reckt beide Daumen nach oben. Das Foto hat mehrere digitale Bildfehler.
Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen meint, Desinformation gefährde die Demokratie. Manche Experten halten die Angst vor Fake News für übertrieben. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Kinder arbeiten im Unterricht auf ihren Tablets.
Ab dem nächsten Schuljahr werden Schulkinder in Thüringen im neuen Fach Medienbildung und Informatik unterrichtet. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services
Ein Mann und eine Frau posieren mit ihrem Säugling für ein Selfie.
Bevor Kinder fünf Jahre alt sind, sind bereits durchschnittlich 1500 Bilder von ihnen im Netz, so eine Studie. Und einmal online, haben die Eltern keine Kontrolle mehr darüber, wie die Bilder verwendet werden. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Zwei Kleinkinder sitzen nebeneinander und haben ein Smartphone und ein Tablet in der Hand.
Der Medienkonsum von Kindern kann mittels verschiedener Apps besser von den Eltern kontrolliert werden. Bildrechte: Panthermedia | MDR MEDIEN360G

Medien im Fokus

Ein Mann ist in drei Situationen abgebildet: in nachdenkender Pose, mit einem Tablet in der Hand, mit einer Kamera in der Hand. Im Hintergrund ist eine Fernsehregie zu sehen.
Reporter wie Olaf Nenninger arbeiten oft unter Zeitdruck, damit ein Nachrichtenbeitrag noch am selben Tag gesendet werden kann. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Foto: Daniela Dufft
Eine Person hat ein Smartphone in den Händen. An den Handgelenken ist die Person mit einer Kette gefesselt.
Ob Bahnticket oder Arzt- und Behördentermin – ohne Smartphone und Internet geht fast nichts mehr. Wer sich dem verweigert, läuft Gefahr, abgehängt zu werden. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia
Ein Mann im Rollstuhl spricht in eine Kamera auf einem Stativ.
Aus dem digitalen Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen mit einer Krankheit machen, können Betroffene Hoffnung und Mut schöpfen. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia

Rundfunk, Presse und Politik

Im Hintergrund sitzt eine Person. Sie ist nicht erkennbar. Im Vordergrund ist ein Mikrofon zu sehen.
Lokaljournalisten, die in Dörfern und Kleinstädten arbeiten, laufen Gefahr, dass sich ihr Berufsleben auch auf ihr Privatleben auswirkt. Sie haben Sorge vor Übergriffen, weil nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Wohnorte oder Autos häufig bekannt sind. Bildrechte: MDR MEDIEN360G
Stilisierte Grafik zur ARD-Reform mit dem ARD-Logo am Haken eines Krans und einem grafisch dargestellten Baugerüst mit einem Bauarbeiter sowie Geldscheinen im Bildhintergrund. mit Video
Was soll der Öffentlich-Rechtliche leisten? Was soll er kosten? Darüber wird derzeit viel diskutiert. Dass es Reformbedarf gibt, das ist weitgehend Konsens. Nicht nur in der Politik, auch in den Rundfunkanstalten selbst. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G