Ein Politiker steht vor Mikrofonen, lächelt in die Kamera und reckt beide Daumen nach oben. Das Foto hat mehrere digitale Bildfehler. 7 min
Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen meint, Desinformation gefährde die Demokratie. Manche Experten halten die Angst vor Fake News für übertrieben. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia

Gesellschaftlicher Zusammenhalt Fake News - Eine überschätzte Gefahr?

25. Juli 2024, 15:01 Uhr

Fake News und Desinformation sind seit Jahren in aller Munde, wenn es um die Gefahren des Internets geht. Doch wie groß ist die Bedrohung wirklich? Sind wir alle gefährdet durch falsche Informationen im Internet? In letzter Zeit gibt es immer wieder Stimmen, die dem widersprechen, zum Beispiel Christian P. Hoffmann von der Universität Leipzig. Im MEDIEN360G-Interview sagt er, dass der Alarmismus vor den sogenannten Fake News auch zur Gefahr für unsere Gesellschaft werden kann.

In einer Befragung der Bertelsmann Stiftung gaben 84 Prozent der Deutschen an, dass sie Desinformation für ein großes oder sehr großes Problem für die Gesellschaft halten. Fast genau so viele sehen in Desinformation eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Christian P. Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig sieht das anders. Er sagt sogar, dass die breite Bevölkerung kaum mit Fake News in Kontakt kommt. Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären?

Viele wissen nicht, was Fake News und Desinformation sind

Ein Grund dafür sei die Wahrnehmung: Viele Menschen würden glauben, Fake News und Desinformation zu erkennen, obwohl es sich in Wirklichkeit nicht um Falschnachrichten handelt. Hoffmann erklärt, dass ein weites und ungenaues Verständnis des Begriffs "Fake News" dazu führe, dass sie überall vermutet werden. Oft würden unbequeme oder irritierende Meinungen und Meldungen fälschlicherweise als Desinformation eingestuft. Aus diesem Grund hält er, wie auch andere Experten, Befragungen, in denen nach der wahrgenommenen Häufigkeit von Desinformation gefragt wird, für wenig aussagekräftig.

Porträt von Christian P. Hoffmann.
"Die Vorstellung, dass Bürger unbescholten im Internet rumsurfen, eine Falschmeldung sehen und dann in ihrem politischen Weltbild erschüttert werden, ist unplausibel", sagt Christian P. Hoffmann. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Universität Leipzig Tobias Tanzyma

Auch der Begriff "Fake News" an sich und dessen Verwendung in den Medien ist nicht unumstritten, da er missverständlich sei. Auch in der Wissenschaft werde er gar nicht mehr verwendet, da er zu politisch aufgeladen sei, so Christian P. Hoffmann. Stattdessen spreche man von Misinformation und Desinformation:

  • Desinformation: Die bewusste Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen mit Täuschungsabsicht und dem Wissen, dass es sich um Unwahrheiten handelt.
  • Misinformation: Die Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen unabhängig von der Absicht, mit der sie verbreitet werden.

Die Wenigsten sehen Fake News in ihrem Alltag

Trotz der verbreiteten Wahrnehmung, dass Fake News, Desinformation und Misinformation eine Bedrohung darstellen, ist Christian P. Hoffmann überzeugt, dass die meisten Menschen nur selten damit in Kontakt kommen:

"Je mehr man sich nur aus dem Internet informiert, desto höher ist dieser Prozentsatz. Aber selbst bei jungen Menschen, die sich sehr viel über Social Media informieren, sprechen wir vielleicht von einem Prozent."

Wenn es um die Auswirkungen von Fake News geht, dürfe man nicht vergessen, dass sich die meisten Menschen nach wie vor über Fernsehen, Radio und Zeitungen informieren, so Hoffmann. Und auch im Internet würden die meisten ihre Nachrichten aus seriösen Quellen beziehen. Eine US-Studie aus dem Jahr 2020 kam zu dem Ergebnis, dass nur 0,15 Prozent der täglich genutzten Inhalte Des- oder Misinformationen enthielten.

Inwieweit Menschen in Deutschland aktuell mit Desinformation in Kontakt kommen, lässt sich nach Ansicht mehrerer Experten nicht mit konkreten Zahlen belegen, auch aufgrund der bereits erwähnten Problematik von Befragungen. Hoffmann schätzt die Zahlen für Deutschland aber sogar als noch geringer ein, da die US-Bevölkerung anfälliger für Falschnachrichten sei als die deutsche.

Außerdem würden nicht alle gleich viel Des- und Misinformationen sehen, so Christian P. Hoffmann. Die breite Bevölkerung konsumiere so gut wie keine Fake News und einige wenige würden dafür mit vielen Falschnachrichten konfrontiert. Dies hänge aber mit dem persönlichen Suchverhalten zusammen:

Wir haben eine kleine Minderheit von Bürgern, die sehr intensiv so etwas wie Fake News konsumiert, weil sie es wollen. Weil sie eine Weltsicht haben, die nicht in den Medien abgebildet wird und dann suchen die nach Alternativen und landen bei qualitativ fragwürdigen Quellen.

Christian P. Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement

Der Politikberater und Dozent für politische Kommunikation Martin Fuchs teilt im MEDIEN360G-Interview diese Ansicht, sieht aber ein Problem, wenn Fake News nicht bei der kleinen Minderheit bleiben, sondern in den öffentlichen Diskurs gelangen und dort reproduziert werden:

"Ich erinnere mich an eine Aussage von Friedrich Merz in einem Interview mit Bild, wo er als erster Spitzenpolitiker den Begriff 'Sozialtourismus' in die Debatte eingeführt hat. Das war ein Desinformationsnarrativ, dass ukrainische Flüchtlinge […] nur hierher kommen, um das Bürgergeld abzukassieren."

Das zeige, so Fuchs, dass Desinformation nicht nur durch direkte Beeinflussung funktionieren können, sondern dass die Narrative Teil von Debatten werden können und dann auch "eine ganz andere Wirkmächtigkeit" entfalten.

Die Angst vor Desinformation kann gefährlich werden

Die Vorstellung, dass Bürger nichtsahnend durch das Internet surfen, eine Falschmeldung sehen und dann in ihrem politischen Weltbild erschüttert werden, hält Christian P. Hoffmann für wenig plausibel. Da die Einstellung eines Menschen schwer zu beeinflussen sei, sei die Wahrscheinlichkeit auch sehr gering, dass sie sich allein durch das Stolpern über eine Fake News ändert.

Porträt von Christian P. Hoffmann
Christian P. Hoffmann ist Professor für Kommunikationsmanagement am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Die Zahlen aus der Bertelsmann-Studie zeigten, dass der Alarmismus vor Fake News in der Bevölkerung angekommen sei, so der Professor für Kommunikationsmanagement. Obwohl man in der Wissenschaft schon länger wisse, dass die Medienwirkungen relativ klein sind, suggeriere die Fake-News-Debatte, dass Menschen "ein Fähnchen im Wind" sind. Die Erkenntnisse, dass Fake News nicht besonders verbreitet und Überzeugungseffekte schwer zu erreichen sind, würde nach Hoffmanns Meinung nicht in den öffentlichen Diskurs durchdringen.

Daran trage nicht nur die Darstellung in den Medien bei, sondern auch der Umgang durch Politikerinnen und Politiker. Wenn das Narrativ "Überall sind Fake News und Desinformation" verbreitet werde, löse das nicht nur Angst bei der Bevölkerung aus, sondern könne auch zu einer Delegitimierung der Politik führen:

"Wenn Bürgerinnen und Bürger glauben, dass wir von Fake News umgeben sind und davon beeinflusst werden, führt das recht schnell dazu, dass ich Wahlergebnisse nicht mehr akzeptiere, weil ich sage: 'Die Wähler dieser Partei sind Opfer von Fake News geworden.'"

Die allzu ängstliche Diskussion führe so seiner Meinung nach zur Schwächung des Vertrauens in die Politik, die Institutionen und die Medien.

Wie Fake News erkannt werden können

  • Ist das plausibel?: Gerade weil es durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz immer schwieriger wird, gefälschte Bilder und Videos zu erkennen, reiche es nicht aus, sich auf das eigene Auge zu verlassen, sagt der Medienwissenschaftler Christian P. Hoffmann. Umso wichtiger sei der Kontext. Man kann sich zum Beispiel fragen: Ist das plausibel? Traue ich der gezeigten Person das zu?
  • Kritisch hinterfragen: "Immer wenn ich etwas sehe, dass mein Weltbild positiv triggert, werde ich ganz vorsichtig", so Politikberater Martin Fuchs. Auch er rät, immer zu hinterfragen, ob das Dargestellte überhaupt sein kann.
  • Quelle: Gibt es eine Quellenangabe, mit der man den Inhalt überprüfen kann? Gibt es das Medium, das über das Ereignis berichtet hat? Hier hilft genaues Hinsehen: Fake-Seiten können auf den ersten Blick wie Zeit-Online oder spiegel.de aussehen.
  • Faktencheck-Dienste: Auf den Seiten von Angeboten wie Correctiv, Mimikama oder Faktenfuchs (BR) kann man nachschauen, ob die Meldung dort bereits stattfindet und eingeordnet ist, um Klarheit zu bekommen, rät Martin Fuchs.

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