Wie abhängig bist Du? Social-Media-Sucht
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28. März 2025, 00:01 Uhr
Wie viel ist zu viel? Diese Frage stellen sich viele Eltern, wenn es um die Mediennutzung ihrer Kinder geht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass "zu viel" auf das eigene Kind zutrifft, ist in den letzten fünf Jahren deutlich gestiegen. Das zeigt eine aktuelle Studie. Doch woran lässt sich eine Abhängigkeit erkennen und was wird dagegen unternommen?
- Nora sagt, sie sei süchtig nach Medien. Ihre Abhängigkeit wirkt sich negativ auf ihren Alltag aus.
- Es gibt mehrere Anzeichen für eine Abhängigkeit von Social Media.
- Ab dem 1. April wird bei den Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche auch die Mediennutzung untersucht.
Seit 2019 hat sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit problematischer Social-Media-Nutzung mehr als verdoppelt. Das zeigt die kürzlich veröffentlichte DAK-Mediensucht-Studie, für die mehr als 1.000 Kinder und Jugendliche sowie jeweils ein Elternteil über einen längeren Zeitraum befragt wurden.
Wann ist die Social-Media-Nutzung "problematisch"?
Von problematischer Nutzung wird in der Wissenschaft häufig gesprochen, wenn jemand Soziale Medien so lange und intensiv nutzt, dass es ihm oder ihr schadet. Betroffene können ihre Nutzung nur schwer kontrollieren und vernachlässigen andere Verpflichtungen oder persönliche Kontakte.
Unter dem Oberbegriff "problematische Nutzung" wird wiederum zwischen Nutzerinnen und Nutzern unterschieden, bei denen das Risiko besteht, dass sich ernsthafte Probleme entwickeln ("riskante Nutzung") oder diese bereits bekommen haben ("pathologische Nutzung").
Um herauszufinden, ob die Kinder und Jugendlichen Soziale Medien in einer problematischen Weise nutzen, wurde in der DAK-Studie ein Fragebogen mit 10 Fragen zur individuellen Mediennutzung in den letzten 12 Monaten verwendet. Fragen, wie: "Ich verfolge oft keine Interessen außerhalb der digitalen Welt, weil ich lieber in sozialen Medien unterwegs sein möchte" wurden auf einer Skala von "stimme völlig zu" bis "stimme überhaupt nicht zu" beantwortet.
Der Fragebogen basiert dabei auf einem 2021 entwickelten Messinstrument, das sich wiederum an den Kriterien für die Computerspielstörung orientiert, die 2022 in das Internationale Klassifikationssystem für Krankheiten (ICD) aufgenommen wurde. Denn Social-Media-Sucht ist keine anerkannte Krankheit.
Während vor fünf Jahren ca. 11 Prozent der 10- bis 17-Jährigen Soziale Medien in einer problematischen Weise nutzten, sind es jetzt mehr als ein Viertel. Fast 5 Prozent gelten als abhängig, Jungen beinahe doppelt so häufig wie Mädchen.
Es ist mir beim Duschen passiert, dass ich eine Stunde zum Duschen gebraucht habe, weil ich 30 Minuten damit verbracht habe, das Video auszusuchen, was ich mir beim Duschen anschauen oder anhören möchte.
Auch bei Nora (Name von der Redaktion geändert) ging es früh los. Mit 10, 11 Jahren war sie von Pokémon gefesselt, später folgten YouTube, Reddit, X, Twitch. Heute bezeichnet sich die 24-Jährige als mediensüchtig. Sie verbringt kaum eine Sekunde, ohne auf ihr Handy zu schauen oder Musik, Podcasts oder YouTube-Videos im Hintergrund laufen zu haben.
Der Zwang, ständig von Medien beschallt zu werden, schränkt sie dabei auch in ihrem Alltag ein: "Es ist mir beim Duschen passiert, dass ich eine Stunde zum Duschen gebraucht habe, weil ich 30 Minuten damit verbracht habe, das Video auszusuchen, was ich mir beim Duschen anschauen oder anhören möchte."
Wann ist man Social-Media-süchtig?
Eine anerkannte Krankheit ist die Social-Media-Sucht nicht, erklärt die Psychologin Dr. Elisa Wegmann von der Universität Duisburg-Essen. Anders als die Computerspielabhängigkeit habe es die Social-Media-Sucht noch nicht in die gängigen Klassifikationssysteme geschafft.
Doch die Dringlichkeit besteht, erklärt die Psychologin: "Es gibt zunehmend Personen, die von einem Leidensdruck aufgrund der Nutzung berichten. Und auch Forscherinnen und Forscher setzen sich dafür ein, dass dies als anerkanntes Störungsbild Eingang in die Klassifikationssysteme erhält."
Laut Elisa Wegmann gibt es mehrere Anzeichen, die auf eine Abhängigkeit von sozialen Medien hindeuten:
- Das Interesse an anderen Aktivitäten geht verloren
- Schlafstörungen durch die Nutzung
- Verschlechterung der psychischen Verfassung
- Vernachlässigung des normalen Alltags (Schule oder Berufsleben) und sozialer Kontakte
Selbsteinschätzung: Wie problematisch ist meine Social-Media-Nutzung? Der Online-Fragebogen auf der Seite des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters gibt nach zehn beantworteten Fragen eine Einschätzung und Tipps zum eigenen Umgang mit Sozialen Medien.
Prävention in der Schule und im Elternhaus
Damit es gar nicht so weit kommt, gibt es am Gymnasium St. Joseph im thüringischen Dingelstädt die Medienscouts. Die Schülerinnen Ida, Jaqueline und Emily wurden ein Jahr lang ausgebildet, um mit ihren jüngeren Mitschülern über Handynutzung und deren Gefahren zu sprechen.
Auch hier ist die Abhängigkeit von Sozialen Medien ein Thema. "Kinder sind sich, glaube ich, ganz oft nicht bewusst, dass sie einen Punkt erreicht haben, wo sie süchtig sind", meint Ida. Als Medienscouts wollen sie auf das Thema aufmerksam machen: "Wir wollten das erstmal angesprochen haben, damit die einfach mal einen kleinen Schubser bekommen und vielleicht einfach mal drüber nachdenken: Bin ich vielleicht selber sogar schon süchtig."
Franziska Herz, Lehrerin am Gymnasium St. Joseph, glaubt, dass es gerade die Jugendlichen selbst sind, die bei ihren Mitschülern etwas bewirken können: "Die Medienscouts sind deshalb so toll, weil es auf Augenhöhe eine Schüler-zu-Schüler-Sicht ist. Und es ist deshalb so wichtig, weil uns Präventionsarbeit zu leisten wichtiger ist, als erst dann zu handeln, wenn es zu spät ist."
Aber nicht nur Maßnahmen in der Schule, sondern auch die Eltern sind gefragt, erklärt Elisa Wegmann. Vor allem, wenn es darum geht, auch die eigene Mediennutzung im Familienleben zu hinterfragen und sich als Vorbild für einen gesunden Umgang mit Medien zu sehen, an dem sich die Kinder orientieren können.
Mediensucht wird bei Kinderärzten abgefragt
Bald wird Medienabhängigkeit auch in den Arztpraxen eine Rolle spielen. Ab dem 1. April 2025 wird die Mediennutzung bei einigen Kinderärzten Teil der standardmäßigen Jugenduntersuchungen (J1 und J2). Mit Fragebögen soll so bei 12- bis 14-Jährigen und 16- bis 17-Jährigen mögliche Risiken oder eine Mediensucht identifiziert werden.
Bei auffälligen Ergebnissen würden dann weiterführende Beratungen oder therapeutische Maßnahmen angeboten werden, erklärt die Thüringer Landesstelle für Suchtfragen auf MDR-Anfrage.
Wenn es Anzeichen für eine Sucht gibt, helfen Gespräche oder man kann sich professionelle Hilfe suchen, so die Psychologin Elisa Wegmann. Das will auch Nora in Zukunft in Anspruch nehmen.