Vernetzung und Austausch Wie Social Media als Selbsthilfegruppe genutzt wird
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24. Mai 2024, 00:01 Uhr
Immer mehr Menschen mit gesundheitlichen Problemen suchen im Netz nach Beratung, Austausch oder gar Tipps für eine schnelle Heilung. Welche Möglichkeiten bietet die digitale Selbsthilfe und welche Risiken birgt sie?
Längst gehört es für uns zur Normalität, viele wichtige Dinge digital zu erledigen und auf TiKTok, Facebook und Instagram sensible Informationen zu teilen. Schließlich findet ein Großteil unseres sozialen Lebens in den diesen Netzwerken statt. So verwundert es auch nicht, dass immer mehr Menschen mit gesundheitlichen Problemen und ihre Angehörigen auf Informationen im Internet vertrauen, wenn es um Fragen rund um die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden geht.
Soziale Medien sind Ort für den Austausch über Krankheiten
Im virtuellen Raum lassen sich anonym Sorgen mit anderen Betroffenen teilen und mitunter sogar Auswege finden. Hier kann man sich über seine Schwierigkeiten im Alltag austauschen, sich gegenseitig Mut machen, einander helfen, mit seiner Lebenssituation besser zurechtzukommen oder die dortigen "Gespräche" auch einfach nur mitverfolgen.
Wer sucht, wird also fündig: Neben Gesundheitsverbänden, Vereinigungen und Gesundheits-Foren, die sich auf ihren Plattformen oft zu einem bestimmten Thema oder auf eine Erkrankung spezialisiert haben, bieten mittlerweile auch zahlreiche Betroffene selbst auf ihren eigenen Kanälen Einblicke in ihr Leben mit gesundheitlichen Problemen.
Seit einigen Jahren ist hier auch Kevin Hoffmann als "Kevin Kämpferherz" aktiv, um über seine Erkrankung an Multiple Sklerose zu sprechen:
"Ich wollte einfach mal mit jemanden über meine Sorgen und Ängste sprechen: Kann ich eine Familie gründen? Kann ich überhaupt eine Partnerin finden, die mich damit liebt? Kann ich heiraten? Kann ich mit vielleicht mal irgendwann ein kleines Häuschen kaufen oder nicht? Und ich glaube, das ist heute bei Vielen die Frage: Wo finde ich Menschen, die ähnliche Lebenssituation haben wie ich, damit ich mit denen einen Austausch finden kann und vielleicht auch Hoffnung und Mut schöpfe."
Doch Kevin wollte sich nicht nur informieren, sondern selbst auch aufklären und in einen aktiven Austausch kommen:
"Irgendwann ist bei mir so ein Knoten geplatzt und ich habe angefangen, all meine Sorgen und Ängste in die Kamera zu sprechen. Hab das nach einiger Überlegung veröffentlicht und zum ersten Mal ist was Wundervolles passiert. Ich habe Gleichgesinnte getroffen, die ich so lange gesucht habe", berichtet Kevin rückblickend.
Auf TikTok entstehen Communities mit Betroffenen
Hat man früher insgesamt vielleicht sogar weniger offen über gesundheitliche Sorgen gesprochen und zudem oftmals nur die Möglichkeit gehabt, in einer Selbsthilfegruppe auf Gleichgesinnte zu treffen, um dort über vielleicht eine neue Lebenssituation zu sprechen, scheint im digitalen Raum die Schwelle gesunken zu sein. Gerade für seltene Erkrankungen gibt es im World Wide Web Foren und Communities.
Inzwischen stehen im Internet und in den sozialen Medien zahlreiche "Angebote" rund um die Gesundheit zur Verfügung – oft mit speziellen Markierungen gekennzeichnet wie beispielsweise #mentalhealth – für emotionales, körperliches und soziales Wohlbefinden sowie für spezifische Erkrankungen, etwa mit #copd (Abkürzung für eine chronische Lungenerkrankung) #cancer (für Krebserkrankungen) oder #MS beziehungsweise #MultipleSklerose (eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems).
Pro und Contra von Health Content
Dass durch Health und Mental Health Content Beschwerden normalisiert und entstigmatisiert werden und dadurch vor allem auch psychischen Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit bekommen, zeichnet die positive Seite des "Gesundheitstrends" in den sozialen Medien.
Jedoch stehen dieser auch Probleme gegenüber: Beispielsweise können die hier ausgesendeten Botschaften nicht nur dazu führen, gesunden Menschen eine Krankheit zu suggerieren, sondern auch eine mögliche Verharmlosung einer Erkrankung erzeugen.
So gibt es beispielsweise Memes und Clips mit der Frage: "Was glaubst du, wer MS hat?", die auf Reaktionen warten; Videobeiträge, die zum Vergleich einladen, indem sie fragen: "Leidest du an Depressionen?" oder "Treffen diese sechs Eigenschaften auf dich zu?". Mitunter wird einem damit suggeriert, dass man vielleicht ein gewisses Krankheitsbild haben könnte.
Zudem vermitteln viele Laien ihren Followern, wie man sich bei bestimmten Krankheiten richtig ernährt oder geben weitere vermeintliche Tipps für ein lebenswertes und gesundes Leben.
Vorsicht bei Gesundheitstipps in Sozialen Medien
Nicht in jedem Fall ist dieser Gesundheitscontent also wirklich hilfreich oder gar seriös, weiß auch Dr. Freya Sukalla, die sich als Akademische Assistentin an der Universität Leipzig mit empirischer Kommunikations- und Medienforschung beschäftigt. Sie erläutert:
"Im Kontext von Gesundheit und sozialen Medien suchen Menschen vor allem die Öffentlichkeit, um über Krankheiten aufzuklären, zu informieren, um aber auch zum Beispiel Aufmerksamkeit für bestimmte Themen zu erregen, zu sensibilisieren, um bestimmte Stigmatisierungen aufzuheben. Natürlich gibt es auch Personen, die das Ganze tun, um damit Geld zu verdienen als ein Motiv, oder aber auch zum Spaß, weil sie Interesse am Thema haben."
Deshalb sei auch in den sozialen Netzwerken besondere Vorsicht geboten und sollte hinterfragt werden: Wem kann man Vertrauen zwischen sogenannten Health Influencern, die mit medizinischen Produktempfehlungen Geld verdienen, und tatsächlich Betroffenen? Hierzu verdeutlicht Freya Sukalla: "Ein Problem, was häufig da ist, dass natürlich Informationen vermittelt werden, die aber wissenschaftlich gar nicht gesichert sind. Und diese Unsicherheit wird nicht kommuniziert und so kann es dann auch schon zu falschen Interpretationen und negativen gesundheitlichen Wirkungen kommen. Im schlimmsten Fall."
"Es ist wie bei einem Arztbericht", beschreibt es Kevin aus seiner Sicht und meint: "Man sollte sich immer eine Zweitmeinung einholen. Und das gilt auch für Content-Creatoren und -Creatorinnen. Wenn ich von jemandem Infos aufnehme, sollte ich das noch mal prüfen. Ich sollte niemals blindlings einem Menschen alles sofort glauben."
Social Media ist kein Ersatz für Arzt-Besuch
So gibt es im Internet ganz klare Grenzen der medizinischen Beratung, derer man sich als User selbst bewusst sein sollte, beschreibt Freya Sukalla und unterstreicht:
"Eine ganz klare Grenze bei gesundheitlichen Beratungen und gesundheitlichen Informationen im Internet ist natürlich die, dass diese Information nicht den Arzt oder das Gespräch bei den Ärzten ersetzen können. Wichtig ist natürlich auch, dass gesponserte Produkte gekennzeichnet werden. Misstrauen ist angebracht, wenn zu reißerische Sprache verwendet wird, zu große Versprechungen gemacht werden – also Wirkungen versprochen werden, ohne dass es große Nebenwirkungen gibt. Genauso wenn davon abgeraten wird, zum Arzt zu gehen; das sei nicht notwendig."
Health Content kann also lösungsorientiert wirken, jedoch keine Therapie oder einen Arztbesuch ersetzen. Und auch wenn es vielleicht so scheint: Da in den Videos alle in der Community angesprochen werden, darf man hier weder eine Diagnose für sich selbst noch einen persönliche Therapieplan erwarten.
Eine gewisse Skepsis ist also angebracht, wenn man sich im Internet bewegt. Und doch kann ein Austausch unter Gleichgesinnten auch positive Effekte haben, wie Kevin aus eigener Erfahrung weiß:
"Diese Resonanz, die ich von den Menschen bekommen habe, hat mich wirklich gerettet. Erst durch die Gespräche mit den anderen Menschen habe ich mich nicht mehr alleine gefühlt. Und wenn ich heute für diese Menschen da bin, dass die das nicht auch durchmachen müssen, gibt mir das jedes Mal sehr viel Kraft."