Jahresrückblick Urteile Streitfälle 2024: Zum Kopfschütteln, Schmunzeln und Zweifeln
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25. Dezember 2024, 03:00 Uhr
Urteile des Jahres 2024: Gerichte beschäftigten sich mit Schnapspralinen bei Autofahrern, unfreiwillige Bierduschen von Schiedsrichtern und Operationen am falschen Hundebein. Mehr dazu und weitere Urteile gibt es hier.
Inhalt des Artikels:
- Fahruntüchtigkeit durch Schnapspralinen eher unwahrscheinlich
- Keinen Behandlungsfehler bei Hunde-OP am rechten statt am linken Hinterbein
- Dauerhaft rote Ampel darf wegen Defekt überquert werden
- Boykottaufruf an Parkschranke ist unzulässiger Eingriff
- Falscher Psychotherapeut muss Honorar zurückzahlen
- Mehrfaches "Verklicken" bei Reisebuchung ist kein Versehen
- Wegnehmen des gegnerischen Fanschals ist kein räuberischer Diebstahl
- Schiedsrichter erhält nach unfreiwilliger Bierdusche Schmerzensgeld
Fahruntüchtigkeit durch Schnapspralinen eher unwahrscheinlich
Asmus Asbach* wird nachts von der Polizei angehalten, weil er eine rote Ampel überfahren hat. Die Beamten stellen bei ihm 1,3 Promille im Blut fest. Herr Asbach ist irritiert und liefert eine mögliche Erklärung: Er sei in der Sauna gewesen und auf dem Rückweg wegen Unterzuckerung auf einem Parkplatz eingeschlafen. Ein belgisches Ehepaar habe ihn später geweckt und ihm einen Beutel Pralinen angeboten. Davon habe er etwa neun Stück gegessen, den Alkohol aber nicht geschmeckt.
Am Amtsgericht Frankfurt am Main soll nun geklärt werden, wie glaubhaft das ist. Es bestellt einen Sachverständigen ein. Der stellt fest: Um 1,3 Promille zu erreichen, hätte der Angeklagte mindestens 130 Schnapspralinen essen müssen.
"Selbst wenn man zugunsten des Angeklagten annimmt, dass er nicht neun, sondern zwölf der tischtennisballgroßen Pralinen gegessen hat, hätte jede dieser Pralinen mehr als zwei Zentiliter eines 40-prozentigen alkoholischen Getränks enthalten müssen", erklären die Richter. In Anbetracht dieser Menge sei es mehr als unwahrscheinlich, dass der Angeklagte die alkoholische Füllung der Pralinen nicht bemerkt haben will. Der Angeklagte wird zu einer Geldstrafe verurteilt und muss seinen Führerschein abgeben.
Amtsgericht Frankfurt am Main (Az: 907 Cs 515 Js 19563/24)
Keinen Behandlungsfehler bei Hunde-OP am rechten statt am linken Hinterbein
Wiegald Wiesicke* bringt seinen Hund wegen starker Lähmungserscheinungen am linken Hinterlauf zum Tierarzt. Nach den Röntgenaufnahmen wird ein Operationstermin ausgemacht. Das Tier wird daraufhin am hinteren rechten Kniegelenk operiert. Das erfährt Herr Wiesicke erst nach der Operation. Vor Gericht fordert er nun die Behandlungskosten von 7.500 Euro zurück. Der Hund sei am falschen Bein operiert worden. Er habe den Tierarzt mit der Behandlung des linken Hinterlaufs beauftragt.
Das sahen die Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main anders: "Laut Sachverständigen-Gutachten wurde hier durchaus das richtige Bein operiert. Ein Laie darf bei einem Hinken auf dem linken Bein nicht davon ausgehen, dass die Ursache dafür auch links zu finden ist", heißt es vom Gericht. Häufig liege die Ursache auf der gegenüberliegenden Seite. Das sei hier durch eine Nachuntersuchung auch bestätigt worden.
Der Besitzer bekommt kein Geld zurück.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Az.: 29 U 33/24)
Dauerhaft rote Ampel darf wegen Defekt überquert werden
Ist es ein Verstoß, wenn ich als Radfahrerin über eine Ampel fahre, die dauerhaft rot ist? Darum geht es im zweiten Fall. Diana Diamant* ist auf dem Rückweg von der Arbeit. Sie hatte Spätdienst. Inzwischen ist es draußen dunkel, auf den Straßen kaum noch etwas los. Trotzdem wartet sie minutenlang an einer roten Ampel. Als sie feststellt, dass die Anlage nicht reagiert, entschließt sie sich, die Straße zu überqueren. Prompt wird sie erwischt. Das Amtsgericht verurteilt die Radfahrerin wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 100 Euro. Dagegen wehrt sich Diana Diamant. Es stellt sich nämlich heraus: die Ampel war mit einer Kontaktschleife ausgerüstet, die zwar von Autos, möglicherweise aber nicht von Radfahrern ausgelöst werden kann. Und so kommt es am Oberlandesgericht Hamburg in zweiter Instanz zu dieser Entscheidung:
"Wenn eine Ampel durch technische Störungen dauerhaft Rot zeigt, hat sie keine rechtliche Wirkung. Radfahrer sind nicht verpflichtet, in solchen Fällen abzusteigen und als Fußgänger zu agieren. Die erhöhten Sorgfaltsanforderungen, die der Betroffenen beim Überqueren der Kreuzung oblagen, wurden nach Feststellung des Gerichts eingehalten."
Das Urteil des Amtsgerichts wird aufgehoben. Frau Diamant muss nichts zahlen.
Oberlandesgericht Hamburg (AZ: 5 ORbs 25/23)
Boykottaufruf an Parkschranke ist unzulässiger Eingriff
Wilhelm Willecke ist Betreiber eines Parkplatzes in einer landschaftlich reizvollen Umgebung. Laut einer Werbetafel konnten dort lange Zeit auch die Besucher eines benachbarten Restaurants parken. Auf die Parkgebühren erhielten sie einen stattlichen Rabatt. Doch damit ist nun Schluss: Herr Willecke erhöht die Parkgebühren deutlich und schafft nach einem Streit mit dem Restaurantbesitzer auch den gewährten Rabatt ab.
Doch der Betreiber des Restaurants sinnt auf Rache: Er stellt gezielt Mitarbeiter an die Schranke, die die Autofahrer von der Einfahrt abhalten und sie auf kostenlose Parkplätze in der Nähe verweisen. Ist das erlaubt? Nein, sagte man am Landgericht Frankenthal: "Es ist ein unzulässiger Eingriff in das Gewerbe des Parkplatzbetreibers, wenn hier Menschen gezielt angesprochen werden, um sie zum anderweitigen Parken zu überreden."
Es handele sich um eine gegen das fremde Geschäftsmodell gerichtete verbotene Eigenmacht. Das Gericht betont: "Denn nicht nur Restaurantbesucher – sondern auch alle anderen Autofahrer – sind an dem Parkplatz zum Boykott aufgerufen worden." Der Restaurantbetreiber muss seine Kunden auf andere Weise über die höheren Preise informieren oder den Streit um den Rabatt gerichtlich klären lassen. Hält er sich nicht daran, droht ihm ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro.
Landgericht Frankenthal (Az.: 5 O 46/23)
Falscher Psychotherapeut muss Honorar zurückzahlen
Karl Karmann* ist von einem Strafgericht wegen Urkundenfälschung, Missbrauchs von Titeln und Betruges verurteilt worden. Gegen Geld hatte er sich zuvor gefälschte Diplome, einen Doktortitel und mehrere Abschlüsse verschafft. Mit einer so erschwindelten Zulassung als Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche hatte er Honorare in Höhe von 110.000 Euro eingestrichen. Nun will die Krankenkasse das gezahlte Geld zurück. Der falsche Psychotherapeut jedoch will nicht zahlen. Er habe aufgrund seiner Fortbildungen viel Fachwissen erlangt und den Patienten tatsächlich geholfen. Sie alle seien mit seiner Arbeit hochzufrieden gewesen. Am Sozialgericht Berlin brach das Kartenhaus zusammen:
"Es ist nicht entscheidend, ob der Mann hier tatsächliches Fachwissen hatte oder die Patienten mit seiner Arbeit zufrieden waren. Ihm hätte in jedem Fall klar sein müssen, dass er mit einer Zulassung, die auf gefälschten Dokumente beruht, keine Honorarforderung stellen kann. Wenn es ihm darum gegangen wäre, Menschen zu helfen, hätte er dies jederzeit ehrenamtlich bei einem Sozialverband tun können."
Hier muss das gesamte Honorar zurückgezahlt werden.
Sozialgericht Berlin (Az. S 143 KR 853/22)
Mehrfaches "Verklicken" bei Reisebuchung ist kein Versehen
Familie Palmenwind will im Sommer nach Portugal reisen. Für etwa 4.500 Euro bucht Herr Palmenwind auf der Homepage eines Reiseveranstalters das Hotel. Nach Abschluss des Buchungsvorgangs fällt ihm auf, dass die Anlage direkt neben einer Baustelle liegt. Statt die Reise nur umzubuchen, storniert er sie. Dadurch entstehen ihm Stornierungskosten in Höhe von 3.900 Euro. Dagegen klagt Herr Palmenwind und verweist darauf, dass er sich verklickt habe.
Der Irrtum sei nur passiert, weil die Webseite des Reiseveranstalters sehr unübersichtlich sei. Das Amtsgericht in München sieht das anders: "Es kann zwar grundsätzlich sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung einer Buchungsstornierung mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein 'Verklicken', und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll."
Die Palmenwinds bleiben auf den Stornierungskosten sitzen.
Amtsgericht München (Az. 275 C 20050/23)
Wegnehmen des gegnerischen Fanschals ist kein räuberischer Diebstahl
Ein Fußballfan von Eintracht Frankfurt gerät gegenüber einem gegnerischen Fan von Schalke in Rage. Dabei greift er ihn körperlich an, stößt ihn nieder und entwendet seinen Fanschal. Der Bestohlene zeigt den Eintracht-Fan an. Die zuständige Staatsanwaltschaft spricht zunächst auch von einem räuberischen Diebstahl. Vor Gericht muss nun geklärt werden, ob der Angeklagte tatsächlich eine "Zueignungsabsicht" hatte, also den Schal dauerhaft behalten wollte.
Die Richter am Amtsgericht Frankfurt sahen den Fall so: "Der angeklagte Fan hat den Schal hier nicht behalten wollen. Er entwendete ihn nur, um den gegnerischen Fan zu ärgern", so das Gericht. Ein solches Verhalten sei kein Diebstahl, sondern eine "Gebrauchsanmaßung". Verurteilt wird der Eintracht-Fan dennoch – wegen Nötigung, schließlich hat er den Schalke-Fan körperlich weggestoßen, um den Schal behalten zu können.
Amtsgericht Frankfurt (AZ: 917 Ls 6443 Js 217242/23)
Schiedsrichter erhält nach unfreiwilliger Bierdusche Schmerzensgeld
Fußball-Schiedsrichter Siggi Siegbach hat nicht selten mit pöbelnden Fußball-Fans zu kämpfen. Diesmal allerdings geht es eindeutig zu weit: Auf dem Weg in die Halbzeitpause bekommt er von einem aufgebrachten Zuschauer einen Becher mit Bier ins Gesicht geschüttet. Herr Siegbach bricht daraufhin die Partie komplett ab, das Spiel wird vom DFB-Sportgericht für die gegnerische Mannschaft gewertet. Der Schiedsrichter klagt zusätzlich gegen den Fußball-Fan. Er fordert 25.000 Euro für die unfreiwillige Bierdusche.
Das Landgericht Zwickau gab seiner Argumentation recht: Es handele sich hier um einen schwerwiegenden Eingriff in das grundgesetzlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht. Deshalb stehe dem Schiedsrichter eine Entschädigung zu. Allerdings seien die geforderten 25.000 Euro deutlich überzogen. In vergleichbaren Fällen wurden den Geschädigten zwischen 800 und 1.500 Euro zugestanden. Der Schiedsrichter erhält in diesem Fall 1.500 Euro.
Landgericht Zwickau (Az: 4 O 771/23)
*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Urteile der Woche | 22. Dezember 2024 | 08:22 Uhr