Aufklärung über Mediensucht Wenn Computersucht Familien an die Grenzen bringt
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08. Juni 2024, 08:00 Uhr
In Deutschland verbringen Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit mit dem Blick aufs Handy. Längst werden junge Leute nicht mehr vorrangig vom klassischen Computerspiel medienabhängig. Ein Medienexperte, der selbst computersüchtig war, gibt Erwachsenen Tipps, die einfach nicht mehr weiter wissen.
Ein großer Saal mit knapp 200 Stühlen. Die allermeisten Sitze in der Aula des Joliot-Curie-Gymnasiums in Görlitz bleiben an diesem Abend leer. Nur ganz vorn sitzt eine kleine Gruppe von fünf Frauen und Männern. Das Thema in diesem Workshop: Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen.
Das Problem sei akut, wie der Referent Florian Buschmann erklärt. "In Deutschland haben wir über 700.000 Kinder und Jugendliche mit einem kritischen und krankhaften Verhalten. Das ist jeder Siebte dieser Altersgruppe." Buschmann war selbst über Jahre medienabhängig und geht seit drei Jahren deutschlandweit an Schulen, um präventiv gegen Mediensucht vorzugehen.
Wenn die Mediensucht für die Familie zur Belastung wird
Aus der Gruppe meldet sich ein Mann zu Wort. Er will anonym bleiben. Sein Sohn sei computersüchtig, sagt der Mann. "Wir kommen von der Spielsucht meines Sohnes einfach nicht weg. Es werden keine Regeln, keine Grenzen akzeptiert." Will der Vater Regeln konsequent durchsetzen, eskaliere die Situation häufig. "Das geht von Beschimpfungen bis zum Abhauen, bis er seinen Willen wieder bekommt. Es ist sehr schwierig für uns, klare Grenzen zu ziehen."
Wir kommen von der Spielsucht meines Sohnes einfach nicht weg. Es werden keine Regeln, keine Grenzen akzeptiert.
Das sei sehr belastend für die Familie, denn die Diskussionen mit dem Elfjährigen etwa um mehr Spielzeit kosteten viel Zeit und Nerven, sagt der Vater. "Freizeit und Freude gerät alles ins Hintertreffen." Da sein Sohn hochbegabt ist, vermutet der Vater, dass sich der Junge deswegen zurückzieht. "Er taucht in der virtuellen Welt ab. Dort ist er der Junge, der nach der Norm läuft und nirgendwo aneckt."
Lehrerin: Lieber Fehlstunde kassieren als Handy abgeben
Michaela Richter kennt das Problem aus ihrer Berufsschule in Ostsachsen. Dort gebe es ein Handyverbot, sagt die 36-Jährige. "Die meisten Schüler halten sich nicht daran. Das Handy liegt entweder auf dem Tisch oder wird darunter versteckt."
Verwarnungen brächten wenig, viele Schüler würden lieber eine Fehlstunde in Kauf nehmen als ihr Handy abzugeben. Konsequenzen habe das für die Schüler kaum. Sie fühle sich in diesen Situationen hilflos, erklärt Richter. Ältere Kollegen hätten der Seiteneinsteigerin geraten, den Schülern die Handys doch auch im Unterricht zu lassen, dann seien sie wenigstens ruhig.
Jede Minute am Handy - Schüler erkennen kein Problem
Doch Richter will nicht aufgeben, sondern den jungen Menschen ihr Verhalten vor Augen führen. "Ich sage ihnen dann 'Wenn mein Chef von mir verlangt, 90 Minuten hier zu stehen, ohne auf mein Handy zu schauen und damit zu spielen, dann verlange ich das von euch auch.'"
Sie erkennen es nicht als Problem. Es gehört zu ihrem Alltag, das Handy ständig in der Hand zu haben.
Die Schüler schaffen es nicht, das Handy beiseite zu legen, beklagt Lehrerin Richter. "Sie erkennen es nicht als Problem. Es gehört zu ihrem Alltag, das Handy ständig in der Hand zu haben." Die Regeln müssten auch unter den Kollegen strikter eingehalten werden, meint sie.
Eine gute Beziehung ist der Schlüssel
Florian Buschmann kann das Erzählte gut verstehen. Eine gute Beziehung zwischen Kind und Eltern sei der Schlüssel, um auch Mediensucht anzugehen. "Man kann sein Kind ruhig fragen 'Was machst du in der virtuellen Welt?'", empfiehlt Buschmann. Um Zugang zu finden, könnte man auch selbst mit den Kindern Computerspiele spielen. "Eltern haben dann die Möglichkeit zu sehen, was das Kind da macht."
Wenn die Medienzeit nicht funktioniert und sich ein Kind nicht daran hält, sollte man diese Zeit konsequent einschränken.
Die Medienzeit - also die Zeit, in der ein Kind zum Beispiel am Handy sein darf - sollte nicht als Belohnung oder Bestrafung etwa für schulische Leistungen oder Hausarbeiten genutzt werden, betont Buschmann. Und: "Wenn die Medienzeit nicht funktioniert und sich ein Kind nicht daran hält, sollte man diese Zeit konsequent einschränken."
Handys müssen nicht per se in den Giftschrank
Doch Handys müssen nicht per se in den Giftschrank, betont Buschmann. Es sei ein Unterschied, wenn Kinder kreativ tätig werden und etwas schaffen oder nur konsumieren. "Wenn sich Kinder kreativ mit dem Videoschneiden oder dem digitalen Zeichnen auseinandersetzen, ist das ganz anders, als wenn sie nur konsumieren und nur dem Weg folgen, den ein Spiel vorgegeben hat."
Verein will über Mediensucht mehr aufklären
Auch wenn zum Workshop nicht viele Leute gekommen sind, ist Sabine Koss-Balzer zufrieden. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Vereins Begabtenförderung Kreis Görlitz, der den Workshop organisiert hat. Warum ein Großteil des Saals leer blieb? "Ich glaube, dass manche Angst empfinden, das als Problem wahrzunehmen", vermutet Koss-Balzer.
Viele gingen dem Thema wohl lieber aus dem Weg: "Wenn man in die Wunde reingeht, dann tut es sehr weh." Dennoch wolle der Verein weiter zur Aufklärung beitragen und denke über eine Wiederholung des Workshops nach.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Expertenrat | 14. Mai 2024 | 12:00 Uhr
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