Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem (Israel)
Halle der Namen in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem Bildrechte: imago images/Schöning

Yad Vashem Auschwitz-Gedenken: Russland und Polen streiten um Geschichtsinterpretation

24. Januar 2020, 09:16 Uhr

Heute findet in Yad Vashem eine große Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz statt. Doch in Russland und Polen geht es im Vorfeld weniger um die Opfer des Holocaust, sondern vielmehr um die jeweils "richtige" Interpretation der Geschichte. Beide Seiten politisieren den Holocaust dabei für eigene Ziele.

Die Auseinandersetzung zwischen Russland und Polen um die "richtige" Interpretation der Geschichte geht in die nächste Runde. Seit Jahren streiten sich die beiden Nachbarn, darum wer am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schuld war und ob die Befreiung Polens von der deutschen Besatzung dem Land auch Freiheit gebracht hat oder nicht. Dieses Mal ist der Anlass dafür der Tag der Befreiung des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, der heute mit einer großen Gedenkveranstaltung im israelischen Yad Vashem, dem weltweit wichtigsten Holocaust-Gedenkort, begangen wird.

Duda sagt die Teilnahme ab

Neben Staatschefs aus Deutschland und Frankreich sowie hochrangiger Vertreter der USA, Großbritanniens und anderer Staaten, sind auch Russlands und Polens Präsidenten Wladimir Putin und Andrzej Duda nach Israel eingeladen. Letzterer hat seine Teilnahme jedoch abgesagt. Der Grund: Im Gegensatz zu Putin hat Duda bei der Veranstaltung keine Redezeit bekommen: "Ich sehe keinen Grund, warum der Präsident Russlands, der Präsident Deutschlands, der Präsident Frankreichs, Vertreter Großbritanniens und der Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit diesem großen Jahrestag an einem solchen Ort sprechen sollten und der Präsident der Republik Polen sich nicht dazu äußern konnte", sagte Andrzej Duda im polnischen Fernsehen TVP. 

Andrzej Duda
Auch der polnische Präsident Andrzej Duda war zur Gedenkveranstaltung in Yad Vashem eingeladen, sagte jedoch ab, weil er keine Rede halten durfte Bildrechte: imago images/newspix

Der polnische Präsident verwies auch auf jüngste Äußerungen von Wladimir Putin, in denen Vorwürfe gegen Polen erhoben wurden, für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mitverantwortlich zu sein. Er sagte, dass diese Worte "der historischen Wahrheit völlig widersprechen". Laut Andrzej Duda handelt es sich bei Putins Kommentaren um einen Versuch, die Polen zu demütigen und "die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu heucheln". Im Zweiten Weltkrieg sind fast 6 Millionen Polen ums Leben gekommen, die Hälfte von ihnen waren polnische Juden.

Streit um Hitler-Stalin-Pakt

Russlands Präsident hat in den vergangenen Monaten wiederholt mit seinen Äußerungen für Unmut in Polen gesorgt. So redete Putin in Dezember 2019 in Bezug auf den polnischen Botschafter im Dritten Reich Jósef Lipski von einem "Drecksack und antisemitischen Schwein". Und bei einem Treffen mit Veteranen des Zweiten Weltkriegs sprach Putin davon, dass Russland "allen, die die Geschichte umdeuten wollen, das Maul stopfen werde."

Hintergrund der Äußerungen ist der Streit über die Rolle des Hitler-Stalin-Paktes beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Dieser war im September 2019 aufs Neue entfacht. Damals hatte das Europäische Parlament eine Resolution angenommen, die den Pakt verurteilt. Als Begründung heißt es in der Resolution unter anderem, "dass vor 80 Jahren, am 23. August 1939, die kommunistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutsche Reich den als Hitler-Stalin-Pakt bekannten Nichtangriffspakt und dessen Geheimprotokolle unterzeichneten, womit die beiden totalitären Regime Europa und die Hoheitsgebiete unabhängiger Staaten untereinander aufteilten und in Interessensphären einteilten und damit die Weichen für den Zweiten Weltkrieg stellten."

2009 waren sich der damalige polnische Premier Donald Tusk und der russische Regierungschef Wladimir Putin noch darin einig, dass beide Länder das schwere Erbe der Vergangenheit überwinden und eine gegenseitige Annäherung anstreben müssten. Tusk sprach davon, dass die Sowjetarmee 1945 Polen zwar von den Nazis befreite, jedoch keine Freiheit für Polen bringen konnte, da sie selbst unfrei war. Putin schien mit der polnischen Einschätzung damals einverstanden.

Politisierung des Gedenkens

Heute kann davon keine Rede mehr sein. Die Sicht auf die Aufarbeitung der Geschichte hat sich in den vergangenen zehn Jahren sowohl in Russland als auch in Polen radikal geändert und ist stark politisch aufgeladen worden. Spätestens mit dem Antritt der PiS-Regierung in Warschau 2015, versucht diese die "richtige" Deutung der Geschichte durchzusetzen, nach der es keinen Platz für polnischen Antisemitismus und für eine polnische Beteiligung am Holocaust gibt.

Vladimir Putin
Wladimir Putin beim Besuch der Ausstellung "Die erinnerung spricht. Der Weg durch den Krieg" in St. Petersburg am 18. Januar 2020 Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

In Russland wiederum ist der Sieg über den Faschismus im "Großen Vaterländischen Krieg" in den vergangenen Jahren regelrecht zu einem politischen Kult erhoben worden. Der vor 75 Jahren errungene Sieg über den Hitlerfaschismus ist zu einer gesamtgesellschaftlichen Klammer geworden, die über schwierige wirtschaftliche und soziale Zeiten hinweghelfen soll. Die russisch-französische Historikerin und Publizistin Galina Akkerman, die 2019 ein Buch mit dem Titel "Das unsterbliche Regiment. Der Heilige Krieg Putins" geschrieben hat, sieht in dieser Entwicklung den Versuch, eine ideelle Grundlage für die "russische Nation" zu schaffen und Putins Position in der Bevölkerung zu festigen. "Es wird nur der ungetrübte Stolz über den Großen Sieg zugelassen. Alle dunklen Seiten des Krieges werden dabei verschwiegen, insbesondere was jene zwei Jahre angeht, in denen Stalin und Hitler Alliierte waren. Heute ist dagegen Polen unser größter Feind und es heißt, dass gerade dieser Staat als imperialistischer Räuber für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verantwortlich war", führt Akkerman in einem Interview mit dem Soziologen Igor Eidman aus.  

Krisenstab wegen Putin-Rede

In Polen fürchtet man nun, dass Putin bei seiner Rede in Yad Vashem gerade diese Version der Geschichte stark machen wird. Den polnischen Medien zufolge, hat das polnische Präsidialamt sogar einen Krisenstab gebildet, der auf entsprechende Äußerungen des russischen Präsidenten bei seiner Rede operativ reagieren soll.

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Als der Marsch am 18. Januar los geht, liegen viele Gefangene im Krankenbau. Der Großteil ist zu schwach um das Lager zu verlassen und bleibt zurück. Hier sind sie kurz nach der Befreiung mit Rotarmisten zu sehen. Bildrechte: Sarah Leyk

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 24. Januar 2020 | 17:45 Uhr

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