Atomkraftwerk in der Ukraine Bundesamt sieht in AKW Saporischschja geringe Gefahr für Deutschland
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19. August 2022, 14:46 Uhr
Selbst bei einem erheblichen Austritt von Radioaktivität im größten ukrainischen Atomkraftwerk müsste die deutsche Bevölkerung keine weitreichenden Folgen befürchten. Das Bundesamtes für Strahlenschutz gibt Entwarnung.
- Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) untersuchte bereits vor dem Krieg, welche Gefahr durch möglicherweise austretende Radioaktivität vom AKW Saporischschja für Deutschland ausgeht.
- Trotz geringer akuter Gefahr beobachtet das BfS die Situation in der Ukraine rund um die Uhr.
- Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit kritisiert militärische Besatzung.
Das größte ukrainische Atomkraftwerk (AKW) Saporischschja wird seit März 2022 von russischen Truppen besetzt, aber weiterhin von Ukrainern betrieben. Damals wurde ein Gebäude auf dem Anlagengelände beschädigt, in einem weiteren Gebäude brannte es. Munition soll auf dem Gelände gelagert werden. Einige Monate später sorgen nun erneut Meldungen von Kampfhandlungen im AKW für internationale Besorgnis. Bislang sei laut ukrainischem Personal vor Ort keine Radioaktivität ausgetreten. Sollte es doch dazu kommen, welche Folgen hätten wir hier in Deutschland zu erwarten?
Untersuchung zu möglichen Szenarien für Deutschland
Entwarnung kommt vom Bundesamt für Strahlenschutz. Die Entfernung zwischen dem AKW Saporischschja und Deutschland sei so groß, dass nur an 60 Tagen im Jahr bzw. in 17 Prozent der Wetterlagen Luftmassen nach Deutschland getragen würden. So das Ergebnis einer Untersuchung, die das BfS bereits vor Ausbruch des Krieges gemacht hatte. Nur bei einem erheblichen Austritt von Radioaktivität könnten für die Landwirtschaft festgelegte Werte überschritten werden. Dann müssten eventuell Futter- und Nahrungsmittel kontrolliert werden.
Vor dem Durchzug einer Wolke könnten aber bereits Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden: zum Beispiel das Vieh in Stallungen untergebracht, offene Futtermitteldepots abgedeckt oder bereits vermarktungsfähige Produkte abgeerntet werden. Nach dem Durchzug einer Wolke könnte wiederum auf den Verzehr frisch geernteter Produkte verzichtet werden, bis klar ist, ob eine Kontamination vorliegt. Laut den Berechnungen des BfS müsse die Bevölkerung mit keinen weiteren Notfall-Maßnahmen rechnen, wie z.B. einer Ausgangssperre oder der Einnahme von Jod-Tabletten.
Dazu auch der Vergleich, in welchem Umkreis von Kernkraftwerken in Deutschland Maßnahmen des Katastrophenschutzes vorausgeplant werden, um sie im Bedarfsfall schnell umsetzen zu können: Erst in einem Umkreis von 100 Kilometern gelte eine Ausgangssperre für die Bevölkerung sowie der Rat, Jod-Tabletten einzunehmen. Eine Evakuierung der Bevölkerung sei bei einem Abstand vom AKW bis 20 Kilometer vorgesehen.
Intensive Beobachtung der kerntechnischen Einrichtungen in der Ukraine
Zwar sieht das BfS keine akute Gefahr einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen durch ukrainische AKWs, beobachtet aber intensiv die Entwicklungen im AKW Saporischschja sowie um das stillgelegte Kernkraftwerk Tschernobyl und weitere kerntechnische Einrichtungen in der Ukraine. Dazu ermittelt die Behörde radiologische Messwerte rund um die Uhr. Es handelt sich dabei um Werte des Betreibers sowie der ukrainischen Aufsichtsbehörde. Diese könnten allerdings nicht unabhängig überprüft werden.
Auch die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) beobachtet die Lage um die AKWs in der Ukraine sehr genau und veröffentlicht aktualisierte Berichte. Die GRS teilt auf MDR-Anfrage die Einschätzungen des BfS. "In jedem Fall kann man sagen, dass die Auswirkungen auf Deutschland selbst im unwahrscheinlichen Falle einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen sehr begrenzt wären", so Jan Klebert von der GRS.
Dennoch bewertete Klebert im Interview mit dem Deutschlandfunk die militärische Präsenz am AKW Saporischschja als "nicht tragbar". Sie verstoße gegen die Genfer Konvention, wonach kriegerische Handlungen in der Nähe von kerntechnischen Anlagen zu unterlassen seien. Dennoch gehe aktuell keine akute Gefahr aus, die Anlagen seien gut geschützt. So würde einfacher Artilleriebeschuss nicht gleich zu einem kerntechnischen Unfall führen. Der Reaktor sei so gut geschützt, dass er auch Flugzeugabstürzen oder Erdbeben standhielte. Besorgnis bereite der GRS vor allem die Situation der Mitarbeiter, die in einem Kriegsgebiet lebten und unter fremder Besatzung ihrer Arbeit nachkommen müssten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. August 2022 | 06:00 Uhr