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Der Frosch in der Sülze Wie in Ungarn aus einer Gastro-Panne ein Festival wurde
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13. Februar 2025, 05:00 Uhr
Weil ein Wirt in Miskolc vor vielen Jahren einem Gast versehentlich einen lebendigen Frosch serviert haben soll, findet in der nordungarischen Stadt jedes Jahr ein kulinarisches Festival statt, dieses Jahr vom 14. bis 16. Februar. Ein Wochenende lang wird Sülze in allen Variationen serviert – das Essen, das dem Frosch einst zum Verhängnis wurde. Außerdem gibt es ein Kulturprogramm und selbstverständlich viele, viele Frösche.
In Miskolc, einer Großstadt im Norden Ungarns, erzählt man sich seit dem 18. Jahrhundert folgende Legende: Ein Wirt hatte Sülze gemacht – und sie im noch flüssigen Zustand zum Abkühlen und Festwerden auf die Fensterbank gestellt. Da kam ein neugieriger Frosch des Weges gehüpft und wollte sich wärmen. Kurzerhand sprang er in die Schüssel – und als die Sülze fest wurde, kam er nicht mehr heraus. So blieb dem armen Tier nichts anderes übrig, als den Gast, dem er vom achtlosen Wirt serviert wurde, aus seinem Gelee-Gefängnis heraus ratlos anzublinzeln.
Wegen dieser Geschichte gibt es bis heute in Ungarn die Redewendung: Jemand "blinzelt wie der Frosch in der Miskolcer Sülze" - ein Ausdruck für Verwirrung und Ratlosigkeit. Eine Version der Legende besagt sogar, dass der Gastwirt wegen seiner blinzelnden Frosch-Sülze derart verspottet wurde, dass er schließlich Selbstmord beging. Den Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen kann man nicht überprüfen, aber im Großen und Ganzen brachte die Geschichte vom Frosch in der Sülze dem Gaststättengewerbe in Miskolc wohl keinen guten Ruf ein.
Kulturelles Kapital in einer armen Gegend
Überhaupt hat die einst stolze Industriestadt heute ein schlechtes Image: Die Produktionsstätten von damals sind heruntergekommen, die Arbeitslosigkeit ist höher, die Löhne und Gehälter dafür signifikant niedriger als in anderen Landesteilen, die Perspektiven eher schlecht. Die Region gehört zu den ärmsten in Ungarn und liegt laut Eurostadt auf dem 13. Rang der ärmsten unter den 242 Regionen der Europäischen Union. Gemessen wurde hierbei der Anteil der von Armut und sozialer Ausgrenzung gefährdeten Bevölkerung.
Doch Festival-Erfinderin Edit Rózsa wollte auf Potenziale achten und nicht auf Defizite. Die Soziologin zog als junge Erwachsene in die Stadt und dachte, dass das Kulturgut der Stadt und die umgebende Naturgebiete es verdienen, besser bekannt gemacht zu werden: "Ich habe meine Diplomarbeit über die Kapitaltheorie von Pierre Bordieu (ein einflussreicher französischer Soziologe und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts - d. Red.) geschrieben. Bourdieu sagt, dass es drei Arten von Kapital gibt: kulturelles, soziales und wirtschaftliches. Wenn eines davon fehlt, kann man es mithilfe der anderen beiden aufstocken. Wenn es uns in Miskolc also an ökonomischem Kapital mangelt, können Kultur und Gesellschaft ein ökonomisches Kapital schaffen."
Sie sah die Sülze und die Legende des Miskolcer Frosches als solches Kapital. Und weil Sülze ein Winteressen ist, wurde daraus vor 25 Jahren ein Winterfest: "Was alle meine Vorstellungen übertraf, war das Interesse und der Hunger der Bürger der Stadt, etwas zu haben, mit dem sie sich identifizieren konnten, etwas, auf das sie stolz sein konnten", erinnert sich Rózsa.
Sülze mit Schweineohren, Lavendel oder Champagner
Das Fest ist inzwischen zu einer beliebten Tradition in der 147.000-Einwohner-Stadt geworden. Während des Festivals wimmelt es hier nicht nur von Sülze-Verkäufern, sondern auch von Fröschen in allen Formen. Froschkostüme bei der Parade, Plüschfrösche und Gummifrösche, die man bei einem Schwimmwettkampf durch die Stadt fließenden Bach Szinva ins Rennen schicken kann. Dazu gibt es ein Kulturprogramm für die ganze Familie, mit Popkonzerten, Puppentheater und Märchenlesungen für die Kinder.
Die Tasache, dass Sülze eigentlich keine Miskolcer Spezialität ist, hat Edit Rózsa nie gestört. Auch in anderen europäischen Ländern wird seit Jahrhunderten Knochensuppe gekocht, die aufgrund des Kollagengehalts der Knochen im kalten Keller, auf der Fensterbank oder draußen im Schnee zu Gelee wird. Traditionelle Sülzen wurden meist aus Schweinefleisch hergestellt. Manchmal enthält sie sogar Schweineohren und -schwänze, das gilt als Delikatesse.
Heute hingegen kann man aus fast jeder Art von Suppe eine Sülze herstellen. Das Sülzenfest ist auch ein Ort für diese gastronomischen Experimente. "Heutzutage werden Sülzen aus anderem Fleisch und Gemüse, aber auch aus Blumen, Obst, Wein gemacht" listet Edit Rózsa auf. In diesem Jahr wird sie auf dem Festival auch besondere Sülzen vorstellen, darunter Lavendel-, Matcha-Tee- und Champagner-Sülzen.
Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt
Rózsas Enthusiasmus ist ungebrochen, auch wenn sie inzwischen nicht mehr als Organisatorin, sondern als Lizenzinhaberin an dem Festival beteiligt ist. Denn die Erfolgsgeschichte hatte auch ihre Tücken: Besonders die Beziehungen zwischen der Organisatorin und der Stadtverwaltung waren nicht immer reibungslos. Das ging so weit, dass die Stadt das Festival mehrere Jahre lang ohne die Gründerin veranstaltete. Damals gab es aber nur eine Winterveranstaltung unter dem Namen "Sülzenfasching". Denn die Marke "Sülzenfestival" stand bereits unter Markenschutz.
Edit Rózsa zog vor Gericht, um zu beweisen, dass das Festival, das sie erfunden und jahrelang organisiert hat, ihr geistiges Eigentum ist. Das Gericht entschied schließlich zu ihren Gunsten. Heute wird das Festival im Rahmen eines Lizenzvertrags von einer dritten Partei, einem Unternehmen organisiert, mit der Unterstützung der Stadtverwaltung. Als Teil der Lizenz müssen die Organisatoren die Qualität des Festivals aufrecht halten, sei es in Bezug auf die Qualität der Waren oder auf Fragen der Nachhaltigkeit.
Inzwischen hat das Festival nicht nur die Lizenz-Streitigkeiten, sondern auch die Covid-Krise und wirtschaftlich magere Jahre überstanden und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt. "Diese Marke ist so bekannt geworden, dass ich mit Sicherheit sagen kann, dass sie, was die Besucherzahlen in Ungarn betrifft, zu den zehn größten Festivals Ungarns gehört.", freut sich Enikő Angyal, Geschäftsführerin des städtischen Unternehmens MIDMAR Miskolc Tourismus Marketing Nonprofit Gemeinnützige GmbH, die für das Tourismuskonzept der Stadt verantwortlich ist.
In den letzten beiden Jahren lag die Besucherzahl zwischen 180.000 und 200.000. Dieses Jahr erwarten die Organisatoren mehr als 200.000 Besucher. "Wie ich von den Anbietern gehört habe, sind die Unterkünfte in Miskolc für dieses Wochenende ausgebucht", so Angyal. Dann gehört die Stadt – wieder einmal – den Fröschen.
MDR (tvm)
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