Albanien Warum Haie für die Adria so wichtig sind
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21. August 2024, 13:48 Uhr
Europas Meere sind überfischt. Die Fischereiunternehmen liefern sich einen Wettlauf um die höchsten Erträge und maximale Profite. Dabei verenden unzählige Haie als Beifang in den Netzen der Fischer. In Albanien kämpft ein junger Meeresbiologe für den Schutz der bedrohten Tiere. Dafür geht er ein ungewöhnliches Bündnis ein – mit den Fischern, deren Arbeit die Haie bedroht.
Mitten in der Adria, einige Meilen vor der albanischen Küste, pflügt ein großer Fischkutter durch die kalte See. Ein Fischer steckt dem anderen schweigend eine Zigarette an. Land ist längst nicht mehr in Sicht, der Motor dröhnt ins Nichts. Doch unter der Wasseroberfläche ereignet sich wieder mal ein kleines Drama: In 150 Metern Tiefe verschlingt ein riesiges Schleppnetz gnadenlos alles, was ihm in den Weg kommt.
Mit an Bord sind der bosnische Meeresbiologe Andrej Gajić und seine Freundin Emina Karalić. Sie warten auf das, was versehentlich im Netz landet: Haie. Um sie zu retten, sind sie nach Albanien gekommen.
Haie (ver)enden oft als Beifang
Dann klatscht das Netz auf das hölzerne Deck. Wasser spritzt in alle Richtungen, Fische zappeln am Boden. Neben Wolfsbarschen, Hechten, Meeräschen, Garnelen und Tintenfischen sind es auch Dutzende von Katzenhaien, die sich mit kräftigen Schlägen durch die Fischmasse winden. "Katzenhaie sind besonders robuste Tiere", erklärt der Wissenschaftler Andrej, während er die Tiere einsammelt und zurück ins Wasser lässt. "Sie können bis zu zwei Stunden an Land überleben."
Weniger Glück hatte ein Schmetterlingsrochen, dessen leblosen Körper Andrej in eine große Plastikkiste manövriert. Die Art ist im Mittelmeer vom Aussterben bedroht. "Jedes Jahr sterben vor der albanischen Küstenstadt Vlora etwa zehn bis 15 Tonnen Haie und Rochen als Beifang in den Netzen der Fischer. Das entspricht etwa 60.000 Tieren", sagt Andrej. Den Schmetterlingsrochen will er später im Labor untersuchen.
Seine Forschungsergebnisse sollen dem besseren Schutz der Tiere dienen: "Ich versuche herauszufinden, wie hoch die Überlebensrate des Beifangs ist, welche Verletzungen auftreten und wie die Tiere auf Stress reagieren", erzählt Andrej. "Mit diesem Wissen versuche ich dann, einen Weg zu finden, ihre Überlebensrate zu erhöhen."
Seit sieben Jahren kämpfen Andrej und Emina für den Schutz der Haie und Rochen in der östlichen Adria. In ihrem Heimatland Bosnien arbeiten sie an der Roten Liste der bedrohten Meerestiere. Das wollen sie nun auch in Albanien tun.
Andrej erklärt, dass einige Haie in den Netzen zerquetscht würden und andere den Druckunterschied beim Einholen der Netze aus der Tiefe nicht überstünden. Viele würden aber erst an Bord der Schiffe sterben, wenn die Fischer den Beifang nicht schnell genug ins Wasser zurückführen. Für das sensible Ökosystem sei das ein großes Problem, denn "so, wie wir uns um unsere Gesundheit kümmern, kümmern sich die Haie um die Gesundheit des Meeres. Als Raubtiere regulieren sie die Bestände und halten sie gesund."
Albanische Fischindustrie im Aufschwung
Doch Albanien profitiert auch von der Fischerei. Zwei Autostunden vom Hafen Vlora entfernt, in Elbasan, liegt die Fish-City – das größte Fischverarbeitungszentrum des Landes. Hunderte Frauen mit türkisfarbenen Hauben sitzen an langen Tischen. Flinke Finger säubern Sardellen und reihen sie auf Plastikstreifen auf. In vier Fabriken werden Fisch und Meeresfrüchte verarbeitet und verpackt. Die Branche schafft Arbeitsplätze, insgesamt sind rund 10.000 Menschen im albanischen Fischereisektor beschäftigt.
"Die Fischindustrie ist in den letzten acht, neun Jahren enorm gewachsen", berichtet Gjergj Luca, der Gründer von Fisch-City, und fügt nicht ohne Stolz hinzu: "Unser Umsatz hat sich verzehnfacht." Seine 14 Schiffe fischen längst nicht mehr nur in der Adria, sondern im gesamten Mittelmeer.
"Es ist natürlich unsere Verantwortung, die Fischbestände zu erhalten. Aber es ist nicht nur unser Kampf. Es ist der Kampf aller unserer Nachbarn, der Griechen, der Italiener, der Montenegriner, der Kroaten. Wir sind alle eine Einheit", findet Gjergj, der seine Produkte bis nach Japan und Norwegen exportiert. Die Nachfrage ist groß, im vergangenen Jahr wurden in der EU mehr als zehn Millionen Tonnen Fisch verzehrt. Das entspricht einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 24 Kilogramm pro Jahr.
Mehr als 30 Hai-Arten in der Adria
Im Labor untersuchen Emina und Andrej den Beifang. Sie vermessen die Tiere, wiegen sie und bestimmen ihr Geschlecht. Eigentlich ist Emina gelernte Krankenschwester, doch Andrej hat sie mit seiner Begeisterung für die Tiere angesteckt. Schon als Kind träumte er davon, mit Haien zu tauchen. Sie hat ihren Job im Krankenhaus aufgegeben, um ihn zu begleiten. "Es fasziniert mich, wie ähnlich diese Tiere uns sind, dass sie Gefühle haben, wie intelligent sie sind und wie gut sie verstehen, wenn wir ihnen helfen und sie befreien wollen", sagt Emina.
Auf dem Labortisch liegt jetzt ein Blauhai, der mit einer Langleine gefangen wurde. Er misst 70 Zentimeter und ist damit vergleichsweise klein. In der Adria gibt es über 30 Arten, einige werden bis zu acht Meter lang. Der Blauhai wird anschließend in einem nahegelegenen Krankenhaus im Kernspintomographen untersucht. So können Andrej und Emina feststellen, welche Schäden der Haken in den tieferen Gewebeschichten verursacht hat. Unterstützt wird die Arbeit der beiden von verschiedenen staatlichen und privaten Stiftungen. Ohne diese Hilfe könnten sich die Haiforscher die aufwendigen Untersuchungen nicht leisten.
Umweltschützer und Fischer sind keine Feinde
Eine kleine Hütte im Wald ist das Stammlokal der Seeleute in der Hafenstadt Vlora. Dort nippen Andrej und die Fischer am Rakija, dem albanischen Obstbrand. "Das Fischen hält uns lebendig. Wenn wir die Netze auswerfen und warten, was das Meer uns bringt, ist das Adrenalin hoch. Aber der Job bringt auch viel Schlechtes", sagt Bootsbesitzer Astrit Spahaj und meint damit das Einkommen. Die letzte Fangfahrt brachte ihm 700 Euro ein, gerade einmal genug für Diesel und die Löhne der Mannschaft. Für eine Umstellung auf nachhaltige Fangmethoden sind die Ressourcen also beschränkt.
Weil das Land während der kommunistischen Diktatur nur für den Eigenbedarf produzierte, galten die albanischen Gewässer lange als besonders artenreich. Doch seit der Öffnung Albaniens erlebt die Fischerei einen rasanten Aufschwung, der sich im Meer nun bemerkbar macht. "Nichtnachhaltige Fanggeräte zerstören zunehmend die Unterwasserwelt, sodass die Bestände schrumpfen", erklärt Andrej. Albanien holt viele Entwicklungen im Schnelldurchlauf nach, wirtschaftliches Wachstum hat höchste Priorität. Dabei kann der Umweltschutz dem Entwicklungsdruck nicht immer standhalten.
Als die Sonne über der Hütte untergeht, prosten sich Fischer und Wissenschaftler zu. "Es mag so aussehen, als hätten wir gegensätzliche Interessen, weil ich gegen die Überfischung kämpfe. Aber die Fischer brauchen ebenfalls einen Schutz der Bestände. Sonst haben sie bald nichts mehr zu fangen", sagt Andrej.
Um Mitternacht werden Andrej und seine Freundin erneut in den Hafen gerufen. Ein Kapitän hat seinen Beifang gebracht, mehrere Rochen und Dutzende Katzenhaie, darunter viele trächtige Weibchen. Den Nachwuchs kann Andrej noch retten: Mit einem gezielten Längsschnitt öffnet er die Bäuche der Tiere. Zum Vorschein kommen die länglichen, leicht durchsichtigen Eier. Im Inneren versorgt ein Dottersack die Embryonen mit Nährstoffen. "Deshalb können sie auch außerhalb des Mutterleibs überleben", erklärt Andrej. Dann lässt er die Eier über die Reling ins dunkle Meer fallen. "In ein paar Wochen werden sie schlüpfen", sagt er und hofft, dass sie dann nicht in den Netzen der Fischer landen.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 31. August 2024 | 07:19 Uhr