Am Rande einer großen Demonstration schwenken Leute georgische und europäische Fahnen.
Protest der Opposition in Tiflis am 9. April 2025 Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Demokratieabbau Georgien: Seit Monaten für die Demokratie auf der Straße

22. April 2025, 05:00 Uhr

Am 14. Dezember 2023 wurde Georgien ein Beitrittskandidat der EU – sehr zur Freude vieler Bürger. Doch in letzter Zeit hat sich das Land unter der Führung der Regierungspartei "Georgischer Traum" des Oligarchen Bidsina Iwanischwili vom demokratischen Europa entfernt. Das wollen viele Georgierinnen und Georgier verhindern und sind dabei immer stärker werdenden Repressionen ausgesetzt.

Katrin Bannach macht sich Sorgen um die Demokratie in Georgien. "Innerhalb von einem Jahr sehen wir einen dramatischen Rückschritt", sagt die Leiterin des Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in der georgischen Haupstadt Tiflis dem MDR. "Seitdem Bidsina Iwanischwili ungefähr neun Monate vor den Wahlen den Ehrenvorsitz vom Georgischen Traum übernommen hat, sehen wir, dass jeden Monat Gesetze und Initiativen auf den Weg gebracht werden, mit denen sich Georgien weiter von der EU entfernt."

Bidsina Iwanischwili vor Journalisten
Der starke Mann hinter der Partei Georgischer Traum: Milliardär Bidsina Iwanischwili Bildrechte: IMAGO / SOPA Images

Der Milliardär Iwanischwili hat sein Vermögen im Russland der 1990er Jahre gemacht und sein Geld immer wieder dafür genutzt, die Politik seines Heimatlandes zu beeinflussen. 2012 gründete er die Partei "Georgischer Traum", von Oktober 2012 bis November 2013 war er Ministerpräsident. Danach hatte er kein offizielles Amt mehr inne, sondern wirkte im Hintergrund, bis er Anfang 2024 an die Spitze seiner Partei zurückkehrte, die inzwischen seit 13 Jahren den Premierminister stellt.    

Rasanter Demokratieabbau

Der Politikwechsel hat für Georgien drastische Folgen: "Bürgerrechte werden sukzessive jeden Tag weiter eingeschränkt durch zunehmend repressive Gesetze, die das Parlament teils im Eilverfahren beschließt, durch unheimlich hohe Strafen, die gegen Demonstranten eingesetzt werden und durch die Einschränkung der Medienfreiheit. Denn man muss leider befürchten, dass in Zukunft unabhängige Berichterstattung sehr, sehr schwierig sein wird. Und auch zivilgesellschaftliche Arbeit zur Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen wird zunehmend erschwert", so Bannach.

Doch viele Georgier sehen sich als Teil eines demokratischen Europa und lehnen sich gegen die autoritäre Wende auf. Seit dem 29. November 2024 stehen Abend für Abend Demonstranten auf dem Rustaweli-Prospekt vor dem Parlament im Herzen von Georgiens Hauptstadt Tiflis – seit mehr als 140 Tagen in Folge. "Eine Hauptforderung sind Neuwahlen" sagte der Germanist und Autor Lasha Bakradze, der dem Oppositionsbündnis Unity angehört und sich den Protesten angeschlossen hat dem MDR. "Aber nicht unter gleichen Bedingungen mit der gleichen zentralen Wahlkommission, die nur für den "Georgischen Traum" arbeitet". Die Demonstrierenden sehen die Regierung als illegitim an – und damit auch jede Entscheidung, die sie trifft und fordern die Rücknahme der aus ihrer Sicht anti-demokratischen Gesetze.

Die Opposition fordert Neuwahlen

Die Protestierenden werfen der Regierung vor, die Parlamentswahlen im vergangenen Oktober massiv gefälscht zu haben. Und sie sind damit nicht alleine: Internationale Beobachter stellten schwere Unregelmäßigkeiten fest: "Insbesondere auf dem Land wurden Wählerinnen und Wähler massiv unter Druck gesetzt und wir haben schwerwiegende Manipulationen gesehen", sagte etwa der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD), der als Wahlbeobachter ins Land gereist war, damals dem ZDF. Georgischer Traum widerspricht den Vorwürfen der Manipulation.

Historiker-Lasha-Bakradze bei der Arbeit am Schreibtisch
Der Germanist Lasha Bakradze ist erst seit Kurzem für das Oppositionsbündnis Unity aktiv. Bildrechte: Shota Gujabidze

Die Politiker der Opposition haben sich derweil geschlossen entschieden, auf die Mandate, die ihnen von der Wahlkommission zugestanden wurden, zu verzichten, um das Parlament nicht zu legitimieren. Germanist Bakradze ist einer von ihnen: "Wenn wir über so ein Ausmaß an Wahlfälschung sprechen, entspricht das Parlament nicht dem Volkswillen. Und deshalb muss man dort nicht sitzen." Nach Angaben von Katrin Bannach von der Friedrich-Naumann-Stiftung steht die Mehrheit der Bevölkerung hinter den Forderungen der Protestierenden: "Die Bevölkerung unterstützt zum großen Teil Neuwahlen, ein großer Teil unterstützt auch den Kurs des Georgischen Traums nicht."

Repression gegen Protestierende

Die Regierung hat zunächst mit massiver Gewalt auf die Proteste der Opposition reagiert, immer wieder wird auch von dunkel gekleideten Schlägertrupps berichtet, die Demo-Teilnehmern auflauern. Außerdem wurden hunderte Protestierende inhaftiert, mehr als 50 sitzen noch in Haft, "teils mit Verfahren anhängig, die mehrere Jahre Haftstrafe bedeuten würden", sagt Bannach. "Unter sehr obskuren Umständen werden da Beweise vorgelegt oder Aussagen vor Gericht herangezogen, die nicht mehr nachvollziehbar sind." Die Freilassung dieser Gefangenen ist eine weitere zentrale Forderung der Menschen, die seit Monaten auf die Straße gehen.

Inzwischen habe die Regierung aber einen Strategiewechsel vollzogen, so Oppositionspolitiker Bakradze: "Jetzt wird versucht, das alles finanziell zu ersticken, indem drakonische Strafen verhängt werden wegen angeblicher Straßensperrungen. Diese Strafen übersteigen das Monatsgehalt der normalen Bürger um ein Vielfaches.. Für die Teilnahme an einer Straßensperre können bis zu 5.000 Lari – umgerechnet rund 1.700 Euro – fällig werden. Für nahezu alle Betroffenen eine unerschwingliche Summe. Doch auch die Hilfsfonds der Opposition, die bei solchen Strafen helfen und außerdem die Angehörigen der Inhaftierten unterstützen sollten, wurden von der Regierung eingefroren. Die Repressionen gegen den Protest lassen nicht nach: "Das führt dazu, dass auch internationale Organisationen sagen, dass es sich hier zunehmend um einen autoritären Kurs einer Regierung handelt, die ja nicht einmal legitimiert ist", so Bannach.   

Propaganda schürt Kriegsangst

Der Grund für die politische Kehrtwende von Georgischer Traum ist nicht ganz klar. Sicher ist aber, dass Russlands Überfall auf die Ukraine dabei eine Rolle gespielt hat. "Dieses Abdrehen von Georgien vom demokratischen, pro-europäischen Weg hat kurz nach dem Anfang des Krieges in der Ukraine angefangen", sagt Bakradze. "Da wurde auf einmal begonnen gegen den Westen zu hetzen, was noch vor zwei, drei Jahren in Georgien unvorstellbar war."

Katrin Bannach
Katrin Bannach leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Tiflis. Bildrechte: Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit

Auch Katrin Bannach hat nicht nur, aber besonders vor den Wahlen beobachtet, dass Georgischer Traum versucht, Angst zu schüren: "Die Propaganda der Regierung setzt auf Angstmache, dass es zu einem Krieg gegen Russland kommen könnte, angeblich, weil ja die sogenannte westliche Welt Georgien in den Krieg treiben möchte." Die Menschen in Georgien, das ja bereits jetzt zum Teil von russischen Truppen besetzt ist, würden sich vor Instabilität fürchten und dann den Georgischen Traum wählen. Tatsächlich wird diese Lüge von einer "globalen Kriegspartei", der auch die "Anführer der radikalen Georgischen Opposition" angehören, auch von Ministerpräsident Irakli Kobachidse verbreitet – unter anderem auf X. Dort behauptet Kobachidse die Verantwortlichen für den Angriffskrieg auf die Ukraine wären u.a. in Brüssel zu finden – und nicht im Kreml.

Russischer Einfluss?

Sowohl Bakradze als auch Bannach vermuten, dass der starke Mann hinter dem Georgischen Traum, Bidsina Iwanischwili, über alte Verbindungen aus Russland beeinflusst werde – ein Vorwurf, der den Oligarchen begleitet, seit er die politische Bühne betrat. Beide betonen aber auch, dass sie dafür keine Beweise haben.

Ein Mann hält ein Schild in die Kamera, auf dem steht "Fuck Russia and it's friends"
Ein georgischer Demonstrant bei den pro-europäischen Protesten in Tiflis am 13. April 2025. Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Die Regierung hingegen bestreitet, eine pro-russische Agenda zu verfolgen. So sagte Georgiens Außenministerin Maka Botchorishvili am 14. April mit Blick auf Vorschläge aus Moskau, wieder diplomatische Beziehungen mit Tiflis aufzunehmen: "Unter der Bedingung einer Besatzung ist es uns unmöglich, über die Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen oder die Normalisierung der Beziehungen zu sprechen." Anders lautende Vorwürfe seien Versuche der Opposition ein politisches Narrativ zu setzen, so Botchorishvili laut der regierungsfreundlichen georgischen Nachrichtenseite IMEDI News.

Trotz der scharfen Töne in der Politik und der zunehmenden Repressionen gegen die Opposition sei die Bevölkerung selbst nicht polarisiert, meint Katrin Bannach von der Friedrich-Naumann-Stiftung. Noch sei es nur die politische Klasse, die sich unversöhnlich gegenüberstehe, nicht die normalen Menschen. Sie sieht aber Versuche seitens der Regierung, die Bevölkerung aktiv zu spalten: "Hier ist es vor allem die Politik des Georgischen Traums, der Regierung, die hier so massiv einen Keil zwischen Andersdenkende und sich selber treibt und damit natürlich auch die Wähler des Georgischen Traums und die Wähler der Opposition zunehmend polarisiert." Oppositionspolitiker Bakradze ist da – gerade mit Blick auf die Proteste – hoffnungsvoller: "Die Gesellschaft ist viel solidarischer geworden und auch die Selbstorganisation ist gut." Und so werden auch heute wieder Menschen in Tiflis auf die Straße gehen, um für ihre Demokratie zu kämpfen.

MDR (tvm)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 12. April 2025 | 11:17 Uhr

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