Justizreform Korruption in Albanien: Wie man mit Hochhäusern Geld wäscht
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21. Februar 2024, 18:35 Uhr
Im Hinblick auf den angestrebten EU-Beitritt hat Albanien der Korruption den Kampf angesagt. Innerhalb kürzester Zeit hat das Land sein gesamtes Justizsystem umgekrempelt. Viele korrupte Richter und Staatsanwälte wurden entlassen, doch einige Regierungspolitiker scheinen weiterhin geschützt.
Unzählige Baustellen hüllen die albanische Hauptstadt Tirana in Staub und Lärm. Überall wird gesägt, gebohrt und geschliffen. Großprojekte in öffentlich-privater Partnerschaft lassen die Stadt unaufhaltsam in die Höhe wachsen. Allein in unmittelbarer Nähe des Hauptplatzes sind zehn Hochhäuser geplant oder bereits im Bau. Die rege Bautätigkeit lässt auf einen wirtschaftlichen Aufschwung schließen, hat aber noch einen anderen Grund: Bauen ist in Albanien ein beliebtes Mittel zur Geldwäsche.
Dass bei der Stadtentwicklung nicht alles mit rechten Dingen zugeht, zeigt sich bereits bei den Preisen für Wohnimmobilien. Trotz eines Überangebots steigen diese weiter an. Mittlerweile kostet ein Quadratmeter in der Hauptstadt über 1.500 Euro – erstaunlich viel für ein Land, in dem der monatliche Durchschnittslohn bei umgerechnet 500 Euro liegt. Dabei sollen lokalen Medienberichten zufolge mindestens 40.000 Wohnungen leer stehen. Offenbar werden viele teure Bauprojekte zur Geldwäsche genutzt – z.B. indem man Baukredite mit Schwarzgeld abzahlt. Die Globale Initiative gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (GI TOC) schätzt, dass zwischen 2016 und 2018 mehr als 1,2 Milliarden Euro im albanischen Bausektor gewaschen wurden.
Korruption nimmt seit Jahren kaum ab
Beweisen lässt sich das kaum. "Korruption als Handlung ist schwer zu identifizieren, weil sie im Verborgenen stattfindet", erklärt der Antikorruptionsexperte Arjan Dyrmishi. Was die Korruption betrifft, sehen wir meistens nur die Ergebnisse, nicht aber den Prozess. Dyrmishi ist ein Mann in den Fünfzigern – gestreiftes Hemd, kariertes Jackett. Sein Büro erreicht man über die stillgelegte Rolltreppe eines leeren Einkaufszentrums.
Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International erreicht Albanien nur 37 von 100 möglichen Punkten und liegt damit auf Platz 98 von 180 untersuchten Ländern – im weltweiten Vergleich leicht unterdurchschnittlich, gleichauf mit Belarus und Argentinien und vor allem seit Jahren unverändert.
Viele Richter und Staatsanwälte entlassen
Dabei unternimmt das Land große Anstrengungen im Kampf gegen die Korruption. Bereits im Juli 2016 verabschiedete das albanische Parlament eine umfassende Justizreform. Seitdem wurden neue Institutionen zur Korruptionsbekämpfung geschaffen und das Strafverfolgungsssystem dezentralisiert. Die erfolgreiche Umsetzung war eines der Schlüsselkriterien für die Aufnahme der EU-Beitrittsgespräche.
Kernstück der Reform ist das "Vetting" – die Überprüfung aller Richter und Staatsanwälte auf fachliche Eignung, Vermögensverhältnisse und mögliche Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Jeder Justizbeamte wird durchleuchtet und muss sich den Fragen einer Kommission stellen. Wer nicht nachweisen kann, woher sein Besitz stammt oder wie er sein Auto finanziert hat, wird suspendiert.
Die Reform begann verspätet aber vielversprechend, die Kommission siebte potentiell korrupte Beamte radikal aus. Zwischenzeitlich waren so viele Richter entlassen worden, dass die beiden höchsten Gerichte des Landes nicht mehr beschlussfähig waren. Mithilfe der USA und der EU wurde außerdem eine Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, kurz SPAK, eingerichtet.
Korruptionsermittlungen auch gegen Politiker
Seit die Behörde ihre Ermittlungen aufgenommen hat, geraten immer wieder auch Politiker ins Visier der Staatsanwälte. Einer davon ist Sali Berisha. Seit Januar steht der Oppositionsführer unter Hausarrest, weil die SPAK ihm Korruption vorwirft. Vor mehr als 15 Jahren soll er als damaliger Premierminister einen staatlichen Sportkomplex zugunsten seines Schwiegersohns privatisiert haben. Heute bestreitet er jegliches Fehlverhalten und beschuldigt den Regierungschef Edi Rama, die Untersuchung aus politischen Gründen angestoßen zu haben.
Dabei geht die Behörde auch gegen hochrangige Politiker der Regierungspartei vor. Mehrere Minister wurden bereits festgenommen. Auch gegen den ehemaligen Vizepremier Arben Ahmetaj liegt ein Haftbefehl vor. Er soll mehrere Millionen veruntreut haben, die eigentlich für Müllverbrennungsanlagen bestimmt waren. Seiner Parlamentsfraktion gelang es jedoch, die Aufhebung der Immunität zu verschieben. Der Beschuldigte nutzte die Zeit und tauchte unter.
Mehrere verhaftete Politiker und ein Schaden in Millionenhöhe legen den Eindruck nahe, dass hier ein strukturelles Problem vorliegt. Die Regierungsspitze behauptet jedoch, es handele sich um "Einzelfälle". Viele Experten äußern sich zurückhaltend zu politischen Fällen. Auch Dyrmishi weicht auf ein namenloses Beispiel aus: "Kürzlich hat die SPAK die Grundstücke und Immobilien eines ehemaligen Polizeichefs im Wert von einer Million Euro beschlagnahmt. Wie soll jemand im Alleingang solche Summen veruntreuen, ohne das die Institution etwas bemerkt? Das ist unmöglich!"
Albaniens Bevölkerung bleibt skeptisch
Auf einer Parkbank im Zentrum von Tirana genießt eine Frau die Mittagssonne. Die 50-jährige Alketa Farasholli ist vorsichtig optimistisch: "Ich denke, die Regierung macht das gut. Wenn wir heute aufs Amt oder zum Arzt gehen, sagen die Angestellten nicht mehr direkt, dass sie Geld wollen. Die Veränderung kommt! Vielleicht nicht in der Tiefe, aber zumindest an der Oberfläche."
Der Experte Dyrmishi formuliert es so: "Die Korruption wird nur so weit bekämpft, wie es die herrschende politische Elite nicht gefährdet." Bei allem Bemühen um Sachlichkeit schwingt in seinen Worten Bedauern mit. Der Pessimismus ist weit verbreitet. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2022 glaubt die Mehrheit der albanischen Bevölkerung, dass die Regierung den Kampf gegen die Korruption nicht ernst nimmt, und auch, dass die Korruption in den letzten Jahren sogar zugenommen hat.
Hat die Bevölkerung von der Überprüfung der Richter und Staatsanwälte nichts mitbekommen? "Die Bevölkerung hat erlebt, dass bei Regierungswechseln das Personal ausgetauscht wurde – aber die Korruption ist geblieben", sagt Dyrmishi. Ohnehin seien entlassene Justizbeamte und verhaftete Politiker keine geeigneten Indikatoren, um den Erfolg der Korruptionsbekämpfung zu messen. "Der Erfolg sollte anhand der Summen gemessen werden, die an die Gesellschaft zurückgegeben werden."
Und vielleicht ist es auch noch zu früh für ein abschließendes Urteil, denn, so der Experte: "Was die Korruptionsbekämpfung betrifft, sehen wir derzeit nur Prozesse, aber noch keine Ergebnisse."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 24. Februar 2024 | 07:17 Uhr