Albanien Tiranas Pyramide: Vom Denkmal für den Diktator zum Hightech-Hub
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03. Januar 2024, 17:26 Uhr
Jahrzehntelang wurde in Albanien alles beseitigt, was an die kommunistische Vergangenheit erinnerte. Ausgerechnet die zum Gedenken an den Diktator errichtete "Pyramide" im Zentrum der Hauptstadt Tirana hat überdauert. Jetzt wird sie zum Hightech-Hub. Ein Wandel, auch im Umgang mit der schmerzhaften Vergangenheit?
Es ist Montagabend im Herbst im Zentrum der Hauptstadt Tirana. Die Sonne ist bereits untergegangen, als Bürgermeister Erion Veliaj ans Mikrophon tritt. Hinter ihm erhebt sich ein kegelförmiger Bau aus Beton und Glas. Auf den Freitreppen, die zur Spitze führen, drängen sich neugierige Besucher. Lange war die Pyramide hinter einem Bauzaun verborgen, jetzt wird das neue Kultur- und Hightech-Zentrum feierlich eingeweiht.
Eigentlich sollte das monumentale Bauwerk für alle Zeiten an den früheren Diktator Albaniens erinnern. 1988 eröffnete das Museum über das Leben von Enver Hoxha, welches später als "Mausoleum" verspottet werden sollte. Vier Jahrzehnte lang, bis zu seinem Tod 1985, hatte er das Land gnadenlos regiert und von der Außenwelt abgeschottet. Unter den ehemaligen kommunistischen Diktaturen Europas galt Albanien als das restriktivste Regime.
Äußerlich erinnerte das Gebäude schon damals an die Glaspyramide im Innenhof des Louvre. Ob sich die Architekten davon inspirieren ließen, ist nicht bekannt. Zu Frankreich jedenfalls hatte der Diktator ein ambivalentes Verhältnis. Während seines Studiums kam er dort mit kommunistischen Ideen in Berührung. Später erklärte er das Land zum imperialistischen Feind, ließ sich aber weiterhin Anzüge von einem Pariser Schneider liefern, während er dem albanischen Volk die "dekadente" Kleidung aus dem Westen verbot.
Jetzt, dreiunddreißig Jahre nach der Wende, wurde der Umbau im Rahmen des Berlin-Prozess-Gipfeltreffens eingeweiht, der die Westbalkan-Länder an die EU heranführen soll. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen waren angereist. Die Flaggen der am Prozess beteiligten Staaten schmückten den Eingang der Pyramide. Seit 2014 ist Albanien offizieller Beitrittskandidat, im Juli 2022 eröffnete die EU das Verfahren. "Enver Hoxha würde sich im Grabe umdrehen", kommentiert Tiranas Bürgermeister die Annäherung Albaniens an das politische Europa.
Vom Tyrannendenkmal zum Symbol der Freiheit
In einem Café unweit der Universität rückt sich Gentiana Kera die Brille zurecht. Die Historikerin erinnert sich an ihren ersten Besuch in der Pyramide: "Ich war noch ein Kind. Es gab damals viele Stromausfälle. Alles war dunkel. Nur die Pyramide leuchtete, der weiße Marmor reflektierte das Licht." Die Pyramide war das teuerste Bauwerk, das der Staat je errichtet hatte, und das zu einer Zeit, als die Bevölkerung in Armut lebte.
Es gab damals viele Stromausfälle. Alles war dunkel. Nur die Pyramide leuchtete, der weiße Marmor reflektierte das Licht.
Nach dem Ende der Diktatur wurde die Pyramide für verschiedene Zwecke genutzt – als Kongresszentrum, Vergnügungspark und als Nachtclub. Während des Kosovokrieges 1999 diente sie sogar als NATO-Stützpunkt.
Dass die Pyramide überdauert hat, ist bemerkenswert. Denn während der schweren Transformationsjahre wurde fast alles beseitigt, was an die sozialistische Vergangenheit erinnerte. Statuen wurden vom Sockel gerissen und politische Symbole aus dem Stadtbild entfernt. Noch 2012 wollte die damalige Regierungspartei den Triumph über die Diktatur mit dem Abriss der Pyramide besiegeln. Anwohner protestierten, seitdem blieb das Monument zwar unangetastet, aber auch ungenutzt.
So ist der Umbau schon deshalb ein Erfolg, weil er den Verfall der Pyramide aufhält und ihr neues Leben einhaucht. In Zukunft soll das Gebäude Ateliers und Gastronomie sowie Arbeitsräume beherbergen, in denen Jugendliche Programmieren und Robotertechnik lernen. Die neuen Nutzungen sind in 34 bunten Kästen untergebracht, die sich im und um das Gebäude herum stapeln wie Lego-Bausteine.
Das ehemalige Tyrannendenkmal soll jetzt die Botschaft der Freiheit vermitteln. Es erhebt den Anspruch, sich von der Ideologie des früheren Regimes zu distanzieren. Bei der Umgestaltung habe man alle Symbole entfernt, welche die sozialistische Vergangenheit verherrlichten, erklärte Winy Maas, Partner im Rotterdamer Architekturbüro MVRDV, das den Umbau konzipiert hat. Die neue Pyramide sei ein "Denkmal für die Menschen und die Fähigkeit geworden, Diktatoren zu überwinden." Man denke nur an die Freitreppen. Auch international hat das Projekt Aufmerksamkeit erregt. In der deutschen Presse provozierten beispielsweise die glatten Betonbalken zwischen einigen Treppen eine kreative Interpretation: Die Bürger könnten der Diktatur nun "den Buckel runterrutschen".
Junge Menschen aus Tirana: "Als Kinder haben wir hier oft gespielt"
An einem windigen Herbsttag verbringen vier Studenten ihre Mittagspause auf der Spitze der Pyramide. "Uns gefällt die Architektur und die Aussicht", sagen Martin Taka und Rexhina Papa. Gefragt, woran die Pyramide sie erinnere, zuckt der Student mit den Schultern. Und Rexhina ergänzt: "Wenn ich mich nicht irre, stammt das Gebäude aus der kommunistischen Zeit. Aber heute ist es viel schöner!"
Am Fuße des Monuments bittet eine junge Frau um ein Foto. Sie posiert auf der Treppe, dreht den Kopf ins Profil bevor sie direkt in die Kamera schaut. Dann schwelgt die 33-Jährige Anxhela Malko in Erinnerungen: "Als ich ein Kind war, haben wir hier oft gespielt. Wir sind die Pyramide hochgeklettert und runtergerutscht, als es noch keine Treppen gab."
Wenn ich mich nicht irre, stammt das Gebäude aus der kommunistischen Zeit. Aber heute ist es viel schöner!
Sowohl die Studenten als auch Anxhela, sie sind alle nach der Wende geboren und kennen die Diktatur nicht. Und sie scheinen die Pyramide weder mit Enver Hoxha noch mit der sozialistischen Vergangenheit zu assoziieren. Auch eine Umfrage von 2015 stellte fest, dass die Pyramide gar nicht als Gedenklandschaft erkannt wird. Jüngere Menschen verstünden sie vielmehr als Wahrzeichen von Tirana.
Historikerin: "Aufarbeitung scheitert am politischen Willen"
Die kommunistische Diktatur in Albanien ist kaum aufgearbeitet – bisher geht es damit nur schleppend voran. Bis heute wurde niemand für die Straftaten der Diktatur zur Rechenschaft gezogen, tausende Opfer werden noch immer vermisst. "Es scheitert am politischen Willen", erklärt Historikerin Gentiana Kera. Viele der Profiteure des sozialistischen Regimes würden heute politische Ämter bekleiden. "Es ist natürlich nicht einfach, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen." Bisher sei eher eine künstlerische als historische Verarbeitung zu beobachten. So wird der ehemalige Atomschutzbunker der Parteielite am Stadtrand von Tirana heute als Ausstellungsraum genutzt. Und in der ehemaligen Villa des Diktators sollen demnächst Künstler aus aller Welt residieren.
Als der Bürgermeister bei der Einweihung vom Pult tritt, verdunkelt sich die Pyramide ein letztes Mal, bevor sie in neuem Glanz erstrahlt. Bunte Farben fließen die Außenwände entlang. Laser lassen grellgrüne Streifen über die Treppenstufen kreisen. Es flackert und funkelt, erst hypnotisch, dann ekstatisch. Zur Lichtshow läuft Musik, wie man sie in einem Berliner Technoclub erwarten würde. Die Regierung präsentiert sich kosmopolitisch und zukunftsorientiert.
Auch wenn Historikerin Kera eine Renovierung generell begrüßt, hätte sie sich ein Museum für die politischen Gefangen oder zur Alltagsgeschichte gewünscht. "Ein solches Museum über die Diktatur würde in ein Gebäude gebracht werden, was für den Diktator gebaut wurde. Das wäre Vergangenheitsbewältigung."
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 30. Dezember 2023 | 07:23 Uhr