'Ndrangheta Mafia-Ausschuss: Generalstaatsanwaltschaft verhinderte offenbar Ermittler-Einsatz in Italien
Hauptinhalt
13. Juni 2023, 19:31 Uhr
2002 soll die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft verhindert haben, dass verdeckte Mafia-Ermittler in Italien zum Einsatz kommen. Dazu berichtet ein Oberstaatsanwalt im Mafia-Untersuchungsausschuss von weiteren Ungereimtheiten. Der Untersuchungsausschuss soll im Thüringer Landtag klären, warum fortgeschrittene Mafia-Ermittlungen in Thüringen in den 2000er-Jahren eingestellt wurden.
Das gescheiterte Anti-Mafia-Verfahren Fido in Thüringen wirft weitere Fragen auf. In einer Sitzung des Mafia-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag wurde am Dienstag bekannt, dass die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft 2002 offenbar den Einsatz eines verdeckten Ermittlers des Bundeskriminalamtes in Italien verhindert hatte.
Er und weitere verdeckte Ermittler waren damals in eine Gruppe vom mutmaßlichen Mitgliedern der Mafia-Organisation 'Ndrangheta und deren Umfeld eingeschleust worden.
Wer ist die 'Ndrangheta?
Die 'Ndrangheta gehört zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt und ist längst international über die Grenzen Italiens hinaus aktiv. Beheimatet ist sie in der Region Kalabrien, der Spitze des italienischen "Stiefels" auf dem Festland gegenüber der Insel Sizilien.
Sie dominiert den internationalen Drogenhandel, verdient ihr Geld aber auch mit Waffenhandel, Geldwäsche und durch Korruption. Ihren Umsatz schätzen manche Experten auf mehr als 100 Milliarden Euro. Es gibt rund 160 Clans in Kalabrien mit schätzungsweise 6000 Mitgliedern. Der Begriff 'Ndrangheta stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa Mut oder Treue. Die Mafia-Organisation soll sich in den 1860er-Jahren gegründet haben, als eine Gruppe Sizilianer von der italienischen Regierung von der Insel verbannt wurde.
Die 'Ndrangheta hat auch in Deutschland ein festes Standbein. Clans der Organisation waren etwa für die Mafia-Morde von Duisburg verantwortlich, bei denen 2007 sechs Menschen vor einer Pizzeria erschossen wurden.
Einer der verdeckt ermittelnden Beamten war 2002 von seinen Mafia-Kontakten zu einer Hochzeit nach Kalabrien eingeladen worden. Um diese Reise hatte es dann offenbar juristischen Streit gegeben.
Der Leitende Oberstaatsanwalt Steffen Flieger, der das Fido-Verfahren für die Abteilung Organisierte Kriminalität in Gera damals führte, sagte vor dem Untersuchungsausschuss am Dienstag, dass er den Einsatz in Kalabrien bewilligt hätte. Aber die ihm übergeordnete Thüringer Generalstaatsanwaltschaft habe sich für einen anderen rechtlichen Weg entschieden, der im Ergebnis den Einsatz des verdeckt ermittelnden Beamten in Italien nicht möglich gemacht hätte.
Verdeckte Ermittler abgezogen - Ermittlungen eingestellt
In der Folge wurde dann der verdeckte Ermittler vom BKA abgezogen. Zudem wurden alle weiteren operativen Aktionen wie das Abhören von Telefonen eingestellt. Damit war das Verfahren, das Mafia-Fahnder gegenüber MDR THÜRINGEN als wichtig und innovativ bezeichnet haben, praktisch beendet. Es wurde dann schlussendlich 2006 ohne eine einzige Festnahme oder Anklage offiziell eingestellt.
Aussage: Weitere Behörden über Ermittlungen informiert
Flieger berichtete, dass 2002 durch den Thüringer Generalstaatsanwalt Winfried Schubert andere Behörden außerhalb Thüringens über das Verfahren informiert worden seien. Konkret lagen einem Oberstaatsanwalt aus Stuttgart offensichtlich Informationen zu Fido vor. Er sollte die Staatsanwaltschaft Gera bei der Rechtshilfe zwischen Deutschland und Italien beraten.
"Gefahr für verdeckte Ermittler"
Bei diesem Gespräch, so Flieger, habe er feststellen müssen, dass dem Kollegen in Stuttgart, der nichts mit Fido zu tun hatte, wesentliche Informationen zu diesem geheim gehaltenen Verfahren vorlagen. Offenbar hatte er diese Informationen von der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft erhalten. Das sei aber einen Bruch von Vertraulichkeit gewesen, sagte Flieger. Dies sei ebenfalls einer der Gründe für das BKA gewesen, den verdeckten Ermittler abzuziehen.
Allein die Tatsache, dass fremde Behörden, die nichts mit dem geheimen Fido-Verfahren zu tun hatten, über dieses informiert waren, hätte eine ernste Gefahr für den verdeckt eingesetzten Beamten bedeutet.
MDR-Recherche stößt Untersuchungsausschuss an
Seit Sommer 2021 versucht der Mafia-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag die Umstände, die zum Abbruch aller operativen Aktion bei Fido und zu dessen Einstellung geführt hatten, aufzuklären. Hintergrund war eine Recherche des MDR und der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Februar 2021. In dieser wurde erstmals öffentlich über das bis dahin 20 Jahre lange geheim gehaltene Verfahren gegen die italienische Mafia in Thüringen berichtet.
Dabei berichteten MDR und FAZ, dass ein verdeckter Ermittler offenbar aufgrund von internen Behördenstreitigkeiten nicht auf einen Auslandseinsatz nach Italien reisen durfte. In deren Folge sei er abgezogen worden und das Verfahren sei operativ beendet gewesen.
MDR (ls)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOIURNAL | 13. Juni 2023 | 19:00 Uhr