Ermittlungen Nach Mafiarazzia in Erfurt: Gastronom wird Drogenhandel vorgeworfen
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12. Mai 2023, 09:10 Uhr
Ermittler sind Anfang Mai in einer weltweiten Operation gegen die kalabrische Mafia ‘Ndrangheta vorgegangen. In Erfurt nahmen sie einen bekannten Gastronomen fest. Der Verdacht: Er soll in Verbindung mit einem geplanten Kokaingeschäft zwischen Südamerika und Australien stehen. Sein Name tauchte schon vor 20 Jahren in Mafiaermittlungen in Thüringen auf.
Ermittler schlagen Anfang Mai 2023 weltweit im Morgengrauen zu. Ihr Ziel: mutmaßliche Mitglieder der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta und Verdächtige aus deren Umfeld. Sie sollen Kokaingeschäfte im großen Stil organisiert und alleine in Deutschland Millionen von Euros gewaschen haben, etwa durch Restaurants oder Autowaschanlagen.
Im Rahmen der Operation mit dem Decknamen "Eureka" dringen die Ermittler auch in eine Wohnung in einer Gasse der Erfurter Innenstadt ein. Dort überwältigen sie Maurizio C., einen bekannten Gastronomen in Erfurt. Er ist einer von insgesamt 27 Beschuldigten, die die Ermittler in Deutschland verhafteten.
Gastronom stammt aus Mafia-Hochburg San Luca
C. lebt seit über 25 Jahren in Thüringen. In seinem Restaurant unweit der Staatskanzlei waren schon viele Promis und Lokalpolitiker zu Gast. Ursprünglich stammt C. aus San Luca, einem kleinen Dorf am Fuße des Aspromonte-Gebirges, das als eine der Hochburgen der ‘Ndrangheta gilt. Ermittler rechnen ihn der Familie Strangio, Spitzname "Fracascia", zu, zu der auch mehrere Hauptverdächtige im Verfahren "Eureka" gehören. Gegen C. selber liegt ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria vor.
Die Ermittler glauben, dass er gemeinsam mit zehn anderen Männern an einem Kokaindeal beteiligt gewesen sein könnte, der aber offensichtlich platzte. Das geht aus dem italienischen Haftbefehl hervor, den MDR und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) einsehen konnten. C.s Anwalt Matthias Fertig wollte sich gegenüber MDR und FAZ nicht zu den konkreten Tatvorwürfen äußern. Er wies darauf hin, dass sein Mandant und er noch keine Akteneinsicht gehabt hätten.
Kokain für Australien
Das Kokain sollte mutmaßlich aus Ecuador nach Australien geschickt werden. Das Land gilt als ein wichtiger und lukrativer Markt für die Droge. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen kann in Australien ein Gramm Kokain umgerechnet für rund 219 Euro verkauft werden. Als Vergleich: Die gleiche Menge kostet in Mitteleuropa durchschnittlich 76 Euro. Die Familie Strangio "Fracascia" hat gute Verbindungen nach Australien. Mehrere Mitglieder der Großfamilie sind dorthin ausgewandert, darunter Geschwister von Maurizio C.
Informationen aus geknackten Chats
Wie Ermittler aus Chats über Kryptohandys des Anbieters SkyECC rekonstruieren konnten, soll der Deal folgendermaßen abgelaufen sein: Im Juni 2020 sollen Kriminelle aus Australien einem Cousin von Maurizio C. das Angebot gemacht haben, in ein Kokaingeschäft einzusteigen. So schreibt C.s Cousin im Juni 2020 einem Komplizen: "Wenn wir teilnehmen wollen, müssen wir das Geld schicken". Er macht auch einen Vorschlag, wie viel sie abnehmen könnten: rund 20 Kilo Kokain für 6.500 Dollar pro Kilo, plus die Transportkosten. "Wir haben das zusammengerechnet, das macht 132.000", schreibt er.
Ein weiterer Cousin von C. freut sich in einem anderen Chat über den anstehenden Deal: "Wir haben uns mit Großen in Australien zusammengetan". Tatsächlich schickt die Gruppierung rund um C.s Cousins Ende Juni 175.000 Dollar nach Ecuador, weitere 370.000 Dollar werden im August in Kooperation mit anderen mutmaßlichen Kriminellen nachgeschickt, da es aus Australien heißt, es gebe Potential für eine größere Ladung.
Erfurter Gastronom Maurizio C. soll einspringen
Doch irgendwas scheint plötzlich schief zu laufen. Denn Ende des Sommers 2020 wird die Gruppe ungeduldig. So gibt es offenbar Klagen, dass in Ecuador "eine halbe Million" herumliege, aber niemand etwas Genaues weiß. Durch die Chats wird den Ermittlern klar, dass die Gruppierung in Australien wohl einen Statthalter hat und diesen nun beschuldigt, das Kokain-Geschäft nicht auf die Reihe zu bekommen.
Dieser Mann ist laut Ermittler der Schwager von Maurizio C. Der soll seinen Schwager der Gruppierung vorgestellt haben und offensichtlich auch eine Art Bürge sein. Deswegen erwarten die anderen offenbar, dass C. nun für seinen Schwager einspringt und das Geld, was für den Deal vorgesehen war, zurückzahlt. "Ruf den vom Restaurant an. Dieser da hat uns das Geld geklaut", schreibt ein Mitglied der Gruppierung in November. Der vom Restaurant, das ist laut Ermittler Maurizio C.
Besuch aus München in Erfurt
Tatsächlich schickt die Gruppierung Anfang Dezember 2020 Michele M. nach Erfurt. M. ist Maurizios C. Neffe. Er lebte jahrelang in Thüringen, ehe er nach München zog. M. steht ebenso im Verdacht, am Kokaindeal teilgenommen zu haben. Außerdem werfen ihm Ermittler vor, illegale Gelder unter anderem über drei Autowaschanlagen in München gewaschen zu haben. In Erfurt angekommen, besucht M. seinen Onkel Maurizio C. in dessen Restaurant und übergibt ihm ein Kryptohandy, damit er mit einem Mitglied der Gruppierung in dem Streit in Kontakt treten kann.
Ob und was er geschrieben haben könnte, bleibt unklar, weil die Nachrichten später gelöscht wurden. Aber die Ermittler hören offenbar heimlich mit zu, wie M.s Frau ihn nach dem Besuch im Restaurant fragt, wie viel ihm sein Onkel gegeben habe. "Vier", antwortet M. und die Ermittler vermuten, dass damit 4.000 Euro gemeint sind. Wie das Ganze ausgeht, bleibt aber unklar.
Druck auf Erfurter Gastronom
Erst im Mai 2021 erhalten Mafia-Fahnder einen neuen Hinweis auf das offensichtlich schief gelaufene Kokain-Geschäft. Ein Cousin von C. erzählt in einer offenbar verwanzten Wohnung von einem Treffen, das er mit C. in San Luca im Frühjahr 2021 gehabt hätte. Dieser habe gesagt, dass es ihm nicht möglich sei, dem Wunsch der Gruppierung nachzugehen, nach Australien zu fliegen und die Sache mit seinem Kontaktmann zu regeln. Die Anti-Corona-Maßnahmen würden die Reise erschweren. Ein anderer Cousin hält dies für Unsinn und wird deutlich: "Maurizio muss gehen … er muss gehen und ernten". Italienische Ermittler werfen C. schließlich im Haftbefehl vor, den geplanten, aber offenbar geplatzten Deal mitfinanziert zu haben.
Maurizio C. taucht in Thüringer Mafiaverfahren auf
"Eureka" ist nicht das erste Verfahren, in dem Maurizio C.s Namen auftaucht. Vor 20 Jahren startete in Thüringen eine große Mafia-Ermittlung unter dem Decknamen "Fido". In dem Verfahren ging es um Drogenhandel und Geldwäsche. Doch nur zwei Jahre nach Start wurden alle operativen Aktionen unter bis heute ungeklärten Umständen eingestellt. Laut den Akten taucht Maurizio C. mehrfach im engsten Umfeld der Hauptbeschuldigten auf. 2008 findet sich dann sein Name in einem Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) wieder, in dem ein Jahr nach den Mafiamorden von Duisburg die Aktivitäten der 'Ndrangheta in Deutschland beleuchtet werden.
Urteil wegen Steuerhinterziehung gegen Erfurter Gastronom
2014 wird C. vom Amtsgericht Erfurt wegen Steuerhinterziehung zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er soll mit anderen Personen Registrierkassen in italienischen Restaurants in Erfurt, Weimar und Leipzig manipuliert haben. Vier Jahre später hat das BKA Maurizio C. wieder im Visier. Nach MDR- und FAZ-Informationen soll es Geldwäsche-Ermittlungen gegen ihn gegeben haben und auch im Verfahren "Eureka" sollen Fahnder offenbar dem Verdacht nachgegangen sein, C. würde illegale Gelder waschen. Der Verdacht soll sich aber nicht erhärtet haben. Aktuell sitzt C. in der Auslieferungshaft in Thüringen.
MDR (lke/ahem/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 12. Mai 2023 | 07:00 Uhr