Organisierte Kriminalität Nach Festnahme bei Mafia-Razzia: Gastronom wird an Italien ausgeliefert
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02. Juni 2023, 08:21 Uhr
Im Zuge der weltweiten Anti-Mafia-Operation "Eureka" werden rund 150 Beschuldigte festgenommen. Eine Verhaftung gibt es bei der Aktion Anfang Mai auch in Erfurt. Nun wird der italienische Gastronom nach Italien ausgeliefert. Grundlage dafür ist ein EU-Haftbefehl der Mafia-Fahnder aus Italien. Die hatten bereits vor drei Jahren die Thüringer Behörden um Ermittlungen gegen den Mann gebeten - ohne Erfolg. MDR THÜRINGEN gibt einen Rückblick auf die langjährigen Ermittlungen.
Inhalt des Artikels:
- Gescheitertes Mafia-Verfahren Fido
- Brisantes Dokument über Mafia-Mitglieder in Thüringen
- Liste von 77 Namen von Restaurantbesitzern aus Thüringen in Rom vorgelegt
- Hinweise zur ‘Ndrangheta in Thüringen
- Geldwäsche-Verdacht und Ermittlungen in Italien
- Austausch kommt offenbar nicht zustande
- Thüringer Behörden lehnen Ermittlungen ab
- Thüringer Liste wird Teil von "Eureka"
- Italienischer Gastronom wird im Mai ausgeliefert
Es ist ein warmer und sonniger Tag in Rom an diesem 24. Oktober 2019. Doch für das schöne Wetter dürften die Frauen und Männer des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) wenig Zeit gehabt haben. Sie haben brisante Informationen im Gepäck und möglicherweise auch Erwartungen an das hochrangige Treffen im italienischen Innenministerium.
Das, was sie den italienischen Mafia-Fahndern, unter anderem von der Guardia di Finanza, der italienischen Finanzpolizei, präsentieren wollen, hätte die Grundlage für eine enge Zusammenarbeit werden sollen. Nach nunmehr 25 Jahren, in denen immer wieder Informationen und Hinweise öffentlich werden, dass in Thüringen die italienische Mafia-Organisation ‘Ndrangheta aktiv ist.
Gescheitertes Mafia-Verfahren Fido
Schon einmal hatte es einen Versuch gegeben. Vor gut 20 Jahren hatten das Bundeskriminalamt, das Thüringer LKA und die für Organisierte Kriminalität (OK) zuständige Staatsanwaltschaft Gera versucht, acht Beschuldigte in der Operation Fido zu überführen. Doch ohne Erfolg, wie eine Recherche von MDR und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) zeigte und in deren Folge im Frühjahr 2021 im Thüringer Landtag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Der erste in der deutschen Parlamentsgeschichte, der sich mit der italienischen Mafia beschäftigt.
Brisantes Dokument über Mafia-Mitglieder in Thüringen
Nun soll es in diesem Herbst 2019 einen neuen Versuch möglicher gemeinsamer Ermittlungen geben. Seit einigen Monaten stehen die Thüringer und die Italiener in Kontakt. Das Thüringer LKA legt in Rom eine Präsentation mit dem Titel "Übersicht des Privat-, Gewerbe- und Immobilienvermögens mutmaßlicher ‘Ndrangheta-Mitglieder in Thüringen" vor. Das geht aus internen Sitzungsunterlagen hervor, die dem MDR und der FAZ vorliegen. Das Dokument hat es in sich.
Liste von 77 Namen von Restaurantbesitzern aus Thüringen in Rom vorgelegt
Rund 77 Namen listen die LKA-Fahnder in der Präsentation ihren italienischen Kollegen gegenüber auf. Alles Italiener, die zum Teil seit Jahrzehnten in Thüringen leben, arbeiten und die für das Thüringer LKA mutmaßlich zur ‘Ndrangheta oder deren Umfeld gehören. Sie unterhalten Dutzende Restaurants in Erfurt, Arnstadt, Eisenach und Weimar. Namen, die bereits in der Operation Fido zwischen 2000 und 2006 eine Rolle spielten oder bei Ermittlungen rund um die Mafia-Morde von Duisburg 2007, bei denen es auch Spuren nach Thüringen gab.
Hinweise zur ‘Ndrangheta in Thüringen
Detailliert werden zu allen 77 Namen auch entsprechende Daten aus polizeilichen Akten aufgelistet, darunter auch zu laufenden und abgeschlossenen Ermittlungsverfahren. Unter den Namen befindet sich einer, der von deutschen und italienischen Mafia-Fahndern als Capo Locale, eine Art Boss, der sogenannten "Erfurter Gruppe" angesehen wird. Zudem einer, der sein Cousin ist und lange in Erfurt gelebt und gearbeitet hat, bevor er nach Portugal gegangen ist. Er wird später auch einer der Beschuldigten in der Mafia-Operation "Eureka" werden.
Geldwäsche-Verdacht und Ermittlungen in Italien
Nur wenige Zeilen unter diesen beiden taucht auch der Name Maurizio C. auf. Er wird als Inhaber von zwei Restaurants aufgeführt. Die Italiener erhalten zudem die Information, dass das Bundeskriminalamt 2018 gegen den Gastronom wegen Geldwäsche ermittelt hatte. Aus den Unterlagen geht auch hervor, dass C. bereits 2014 im Visier von italienischen Ermittlern stand. Das hatte offensichtlich etwas mit Investitionen rund um Restaurants in Rom zu tun, über die der MDR in einem Film 2015 berichtete.
Austausch kommt offenbar nicht zustande
Das Treffen, welches nach MDR- und FAZ-Informationen als ein reiner Informationsaustausch gedacht war, soll erst einmal ohne konkrete weitere Vereinbarungen geendet sein. Allerdings soll es besonders von der Thüringer Seite den klaren Wunsch gegeben haben, in einen engen Informationsaustausch zu treten. Doch das alles scheint in den folgenden Monaten wohl nicht wirklich passiert zu sein.
Die italienischen Ermittler aber sehen sich die Namensliste der Thüringer Kollegen genau an, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits im Aufbau einer der größten Anti-Mafia-Operationen gegen den kalabrischen ‘Ndrangheta sind. Und sie sehen, dass einige der Personen auf der Liste eine Rolle in diesem Verfahren spielen könnten und in der Folge auch werden.
Thüringer Behörden lehnen Ermittlungen ab
Im folgenden Jahr, 2020, flattert der OK-Staatsanwaltschaft Gera dann ein Ersuchen der italienischen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft Reggio Calabria ins Haus. In diesem wird darum gebeten, Ermittlungen gegen Maurizio C. einzuleiten. Auch das Thüringer LKA ist informiert. Beide Behörden bestätigen auf Anfrage den Vorgang. Doch es kommt zu keinen Ermittlungen gegen C.
Zu dem "Warum" wollen sich weder die Staatsanwaltschaft Gera noch das LKA im Detail äußern. Aber nach MDR- und FAZ-Informationen aus Justiz-und Polizeikreisen sollen für die Staatsanwaltschaft Gera die Verdachtsmomente gegen C. in dem italienischen Ersuchen nicht ausgereicht haben, um ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Ob es die Möglichkeit gegeben hätte, weitere Informationen zu finden, um den Verdacht gegen C. zu erhärten und doch dem Ersuchen der Italiener nachzukommen, bleibt offen. Fakt ist: weder die Staatsanwaltschaft Gera noch das Thüringer LKA waren an der Operation "Eureka" direkt beteiligt.
Thüringer Liste wird Teil von "Eureka"
Die italienischen Fahnder hatten die Liste der 77 Namen aus Thüringen scheinbar nicht zu den Akten gelegt. Ganz im Gegenteil: Denn nach MDR- und FAZ-Recherchen soll aus Italien eine fast deckungsgleiche Liste an das Bundeskriminalamt und das in der Operation "Eureka" intensiv ermittelnde Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (NRW) gegangen sein. Dort soll mit diesen Daten offenbar detailliert ermittelt worden sein.
Auch Maurizio C. ist seit 2019 nicht mehr von der Liste der italienischen Behörden geflogen. Als im Juli 2021 die Server des Kryptohandy-Anbieters SkyECC geknackt werden, bedeutet das einen großen Durchbruch bei den "Eureka"-Ermittlungen. Aus diesen Informationen und weiteren operativen Aktionen dürfte sich auch der Tatverdacht gegen Maurizio C. weiter erhärtet haben.
Nachdem die Italiener bei den Thüringer Behörden keinen Erfolg hatten, geht der Auftrag für eine spätere Festnahme von C. an das LKA Nordrhein-Westfalen. Das Thüringer LKA bestätigte auf Anfrage, dass man selbst einige Ermittlungsaufträge für die Kollegen in NRW erledigt habe. Was genau, will das LKA nicht sagen und verweist auf das laufende Verfahren.
Italienischer Gastronom wird im Mai ausgeliefert
Am 3. Mai dieses Jahres wurde Maurizio C. in den frühen Morgenstunden von Ermittlern des LKA NRW festgenommen - auf Grundlage eines EU-Haftbefehls. In dem wird ihm unter anderem vorgeworfen, an einem Kokaingeschäft beteiligt gewesen zu sein. Dabei sollten über 20 Kilo der Droge von Ecuador nach Australien verschoben werden. Seitdem sitzt er in Auslieferungshaft.
Nun hat das Thüringer Oberlandesgericht das Auslieferungsersuchen aus Italien für zulässig erklärt. Was bedeutet: Maurizio C. wird in wenigen Wochen an die italienischen Strafverfolgungsbehörden überstellt. Sein Anwalt Matthias Fertig sagte dem MDR, dass sein Mandant die Auslieferung akzeptiere und auf eine baldige Überstellung nach Italien hoffe.
MDR (lke/ahem/fra)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 02. Juni 2023 | 07:00 Uhr