Landtag Sachsen vor der Wahl: Wer wie oft im Landtag gesprochen hat
Hauptinhalt
20. August 2024, 05:00 Uhr
In der Herzkammer der sächsischen Demokratie wird viel diskutiert. Die Abgeordneten halten bedeutsame Reden, betreiben aber auch rhetorische Kleinkriege. MDR Data hat alle Sitzungsprotokolle ausgewertet und zeigt, wer besonders häufig am Rednerpult stand und wer bei Debatten eher sitzen blieb.
Rück- und Einblicke in fünf Jahre Landtagsdebatten
25. März 2021, Plenardebatte im Sächsischen Landtag, Tagesordnungspunkt: Frauen in der Corona-Krise. Die CDU-Abgeordnete Daniela Kuge wünscht sich Strafen für Männer, die zu Prostituierten gehen. Martina Jost von der AfD beschwert sich über "Queerpolitik" und "Gender-Mainstreaming" und die Grünen-Abgeordnete Lucie Hammecke beklagt die zunehmende häusliche Gewalt. Während Hammecke am Rednerpult steht, sagt weiter hinten der AfD-Politiker André Barth zu seinem Kollegen Rolf Weigand: "Na, hast du deine Frau auch in der Küche angekettet?"
Nachlesen lässt sich das im Sitzungsprotokoll der Debatte. Als eine Abgeordnete der Linken den Satz zitiert, erklärt Weigand: "Das war ironisch gemeint vom Kollegen Barth!"
Diese Szene und das Benehmen der AfD-Politiker zeigen, wie es auch im Sächsischen Landtag zugehen kann. An 90 Sitzungstagen sind die Abgeordneten in den vergangenen fünf Jahren zusammengekommen. Dabei haben sie bedeutende Debatten über Haushalt, Wirtschaft und Corona-Politik geführt, aber auch rhetorische Kleinkriege. Sie haben sich über Aufklärungsunterricht in der Schule gestritten, aber auch über die Jagdzeit für Nilgänse. All diese Diskussionen verraten etwas übers Menschenbild der Beteiligten und über die politische Kultur im Freistaat. MDR Data hat die Plenarprotokolle deshalb mit textanalytischen Methoden ausgewertet.
Dieser Artikel bietet einen Überblick über die Redeanteile der Fraktionen und zeigt, wer besonders häufig und besonders selten am Rednerpult stand, was aber nichts über die Qualität der Reden aussagt. In weiteren Berichten wird untersucht, wie die Parteien über Migration sprechen, mit welchen Kernbegriffen sie um die Deutungshoheit im Landtag kämpfen und wie Medienwissenschaftler das einordnen. Der Blick auf die Geschehnisse im Landtag zeigt, wie das Herz der sächsischen Demokratie schlägt.
Welche Fraktionen wie viel Redeanteil haben
Redezeit ist Macht. Wer mehr davon hat, kann mehr Argumente anbringen und seine Positionen besser untermauern. Und weil die Macht in einer Demokratie grundsätzlich vom Volk ausgeht, orientiert sich die Redezeit der Fraktionen an ihrem Abschneiden bei der vergangenen Wahl. Das Landtagspräsidium legt unter Berücksichtigung der Fraktionsgröße die Redezeiten genau fest. Das ist in der Geschäftsordnung des Landtags geregelt. Allerdings entscheiden die Fraktionen selbst, wie viel sie von ihrem Kontingent ausschöpfen.
Die Veränderung der Redeanteile zeigt also auch, wie sich die Macht im Landtag in den vergangenen zehn Jahren verschoben hat. 2014 hielt die CDU im Landtag mehr als jede vierte Rede, die AfD nur jede achte. Seitdem ist der Redeanteil der CDU Stück für Stück kleiner geworden – bei der AfD ist er gewachsen. In der aktuellen Legislaturperiode stehen Vertreter der AfD von allen Fraktionen am häufigsten am Rednerpult. Grüne, Linke und SPD kommen jeweils auf ein Fünftel bis ein Sechstel der Redezeit.
Welche Abgeordneten besonders oft reden
Welche Fraktionsmitglieder ans Rednerpult gehen, bleibt den Fraktionen selbst überlassen. Wer wie oft spricht, hängt auch von den Funktionen, Fach- und Themengebieten der einzelnen Abgeordneten ab. Am aktivsten sind zwei AfD-Abgeordnete: Rolf Weigand und André Barth. Sie kommen in der aktuellen Legislaturperiode jeweils auf mehr als 300 Redebeiträge mit mindestens 30 Wörtern. Bei den Grünen steht Valentin Lippmann am häufigsten am Mikrofon. Bei den Linken ist es Marco Böhme, bei der SPD Albrecht Pallas und für die CDU Georg-Ludwig von Breitenbuch.
Dass von der CDU kein Abgeordneter unter den häufigsten Rednern liegt, ergibt durchaus Sinn: Schließlich verteilt sich die Redezeit der Fraktion auch auf deutlich mehr Schultern. Außerdem ist es möglich, dass die CDU-Abgeordneten sich die Redeanteile ausgeglichener aufteilen als andere Fraktionen oder ihre Redezeit seltener ausschöpfen.
Geringer Frauenanteil zeigt sich auch in Redehäufigkeit
Der Frauenanteil im Sächsischen Landtag beträgt nur 27,9 Prozent. Die wenigsten Frauen als Abgeordnete haben in ihren Reihen die AfD (Frauenanteil: 11,78 Prozent) und die CDU (22,73 Prozent). Diese Parteien und das Parlament an sich bilden nicht den demografischen Stand in Sachsen ab, wo der Frauenanteil der Gesamtbevölkerung bei 53,6 Prozent liegt. Übrigens: Schlechter als in Sachsen sind bundesweit gesehen nur noch in Bayern die Frauen im Landesparlament vertreten. Im Bayerischen Landtag liegt der Frauenanteil bei 25,7 Prozent.
Zurück ins Plenum in Dresden: Es ist auch keine Überraschung, dass beim Männerüberhang im sächsischen Parlament unter den 20 Abgeordneten mit den meisten Redebeiträgen nur drei Frauen sind – ein Anteil von 15 Prozent. Oder anders formuliert: Auch unter den Vielsprechern im Landtag sind besonders viele Männer.
Wie der MDR die Landtagsreden ausgewertet hat
- Der Sächsische Landtag stellt alle Sitzungsprotokolle als PDF-Dateien zur Verfügung. Der MDR hat diese PDFs mittels sogenannter "Scraping"-Methoden in einen Datensatz überführt, in dem jeder Wortbeitrag einem Politiker oder einer Politikerin und der zugehörigen Partei zugeordnet ist. Dieser Datensatz enthält mehr als 9.000 Redebeiträge von sächsischen Abgeordneten aus der aktuellen Legislaturperiode.
- Von der Analyse ausgeschlossen sind Beiträge von Gästen; von Ministerinnen oder Ministern, die keine Abgeordneten sind; und Beiträge der Landtagspräsidenten, die aufgrund ihrer Rolle eine stärker moderierende Sprache verwenden.
Welche Abgeordneten seltener redeten, aber viel sprachen
Zwei Abgeordnete hörte man im Landtag sehr häufig sprechen – obwohl sie nur wenige Redebeiträge als Abgeordnete hatten. Das lag an ihrer Funktion im Parlament. Gemeint sind der Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) und die Vizepräsidentin Andrea Dombois (CDU), die die Sitzungen im Wechsel mit André Wendt von der AfD leiteten.
Einige Abgeordnete von AfD und CDU selten zu hören
Es gibt aber auch einige Abgeordnete, die in den vergangenen fünf Jahren nie oder fast nie ans Rednerpult traten. Kein einziger längerer Redebeitrag ist in den Plenarprotokollen von Ulrich Lupart (AfD) aus dem Vogtland und Wolfram Keil (erst AfD/später fraktionslos) aus Zwickau verzeichnet. Auch die CDU-Abgeordneten Patricia Wissel aus der Lausitz, Gerald Otto aus Zwickau und Aloysius Mikwauschk aus Bautzen waren selten zu hören. Selten redete auch Jens Oberhoffner (AfD) aus der Lausitz.
Experte warnt vor Fehlinterpretation
Der Politikwissenschaftler André Brodocz aus Erfurt warnt jedoch davor, allein aus den Redezeiten der Abgeordneten voreilige oder falsche Schlüssen zu ziehen. "Wer für politische Themen zuständig ist, die öfter auf der Agenda stehen als andere, kommt womöglich auch öfter zu Wort." Heißt: Abgeordnete, die beispielsweise für Wirtschafts- oder Migrationsthemen zuständig sind, sprechen vermutlich häufiger als diejenigen, die sich viel mit Medien oder Kultur beschäftigen.
Und, so André Brodocz: "Darüber hinaus ist das Talent zur Rede auch ungleich verteilt, sodass Fraktionen sicher auch gern die Talentierteren öfter nach vorn schicken." Zudem sage die Redehäufigkeit nichts darüber aus, wie sich die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen engagierten.
MDR (kk)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. August 2024 | 15:35 Uhr