Der Schriftzug "Migration"
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Sächsischer Landtag "Flüchtlinge" oder "Migrantentsunami": So reden Parteien über Zuwanderung

20. August 2024, 05:00 Uhr

Migration ist das Wahlkampfthema schlechthin. Im Sächsischen Landtag drehten sich seit 2019 viele Debatten darum – selbst dann, wenn ganz andere Punkte auf der Tagesordnung standen. Manche Politiker sprachen von "illegaler Masseineinwanderung", andere von "Geflüchteten" mit "Migrationsbiografie". Eine Datenanalyse zeigt, wie die Parteien in Sachsen auf die Menschen blicken, die nach Deutschland kommen.

Am 16. März 2023 steht für die Abgeordneten im Sächsischen Landtag die Gleichstellung von Frauen als Debatte auf der Tagesordnung. Aber statt über Lohnlücken oder eine Frauenquote zu reden, thematisiert die AfD-Abgeordnete Doreen Schweitzer die Zuwanderung: "Ich komme auf ein weiteres wichtiges Thema zu sprechen, das unmittelbare Auswirkungen auf den Alltag der Frauen in Sachsen hat. (...) Die unkontrollierte Massenmigration von Männern aus anderen Kulturkreisen. (...)"

Typisches Schema der AfD

Das Beispiel ist eines von Dutzenden, in denen die AfD über Migration redet, obwohl es um ganz andere Themen gehen soll. Ein typisches rhetorisches Muster der AfD, wissen Kommunikationsforscher. Ein Thema wird aus dem ursprünglichen Zusammenhang genommen, mit einem anderen Bedeutungskontext verknüpft und neu verortet. "Am Ende verselbständigt sich das und Feindbilder werden gefestigt", sagt Katrin Herms, die die Kommunikationsstrukturen von Rechtspopulisten untersucht hat.

MDR Data hat alle Reden von sächsischen Landtagsabgeordneten seit 2019 analysiert, in denen Worte wie "Migrant", "Migrationsgeschichte", "Einwanderung", "Fachkräftezuwanderung", "Asylbewerber", "Geflüchtete", "Flüchtlingsheim" oder "ausländisch" vorkommen.

Politikerinnen und Politiker der AfD haben solche Worte rund 1.300 Mal verwendet, CDU-Abgeordnete als mitgliederstärkste Fraktion kommen auf 709 Nennungen, Die Linke auf 598.

Vom Reden, Meinen und Bewirken

Viel aufschlussreicher als die reine Häufung des Themas ist, wie die Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen die konkreten Begriffe verwenden und warum.

Mit welchen Worten die Parteien im Landtag über Migration sprechen
Mit diesen Begriffen sprechen die Parteien über Migration, Zuwanderung, Flucht und Asyl. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Während CDU, SPD und Linke von "Flüchtlingen" und "Geflüchteten" oder in Verbindung mit Hilfsangeboten bzw. Gremien wie dem "Ausländerbeauftragten" (CDU) oder "Flüchtlingsrat" (Linke) sprechen, betonen die Grünen die neutraleren Worte "Migration" und "zuwandern". Das Bundesamt für Migration spricht von Migration, "wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt". Vielfach verbindet sich mit dem Begriff "Flüchtling" dagegen die Vorstellung des Hilfeempfangenden, der nicht selbstständig entscheidet und handelt.

Es ist unsere Verpflichtung, Menschen, die als Geflüchtete bei uns ankommen, unterzubringen und ihnen ein ordentliches Asyl- und Aufnahmeverfahren zu gewähren.

Albrecht Pallas SPD-Abgeordneter, 9. November 2022

Regeln und Ordnung bei der CDU

Aus den Daten lässt sich auch herauslesen, welche Begriffe die Parteien besonders häufig in Kombination mit Worten wie "Migration", "Zuwanderung", "Geflüchtete", "ausländisch" oder "Asyl" verwenden. In den Reden von CDU-Abgeordneten fallen in diesem Zusammenhang beispielsweise vergleichsweise häufig die Worte "Fachkräftebedarf" und "Ordnung".

Wie die Parteien im Landtag Migration kontextualisieren
Diese Begriffe verwenden die verschiedenen Parteien besonders häufig in Kombination mit Worten wie "Migration", "Zuwanderung", "Geflüchtete", "ausländisch" oder "Asyl". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch die Begriffe "Verpflichtungen" und "Akzeptanz" tauchen bei CDU-Abgeordneten häufiger auf als bei anderen Fraktionen und verweisen darauf, dass die Union Zuwanderung begrenzen und Dinge organisieren will, wie es bei der Migration zwischen EU, Bund, Land und Kommunen geregelt und vorgesehen ist. "Irreguläre" Migration will die CDU eindämmen:

Es muss darum gehen, Migration zu steuern, Humanität zu leben, irreguläre Migration so zu organisieren, dass wir zumindest für die nächsten Jahre auf diese niedrige Zahl von 40.000 bis 60.000 Menschen pro Jahr kommen Kriterien zu schaffen, wie Integration gelingt, Verbindlichkeit durchzusetzen und ein positives Klima zu organisieren, damit sich Fachkräfte in Deutschland wohlfühlen.

Michael Kretschmer sächsischer Ministerpräsident (CDU), 21. März 2024
Sächsischer Ministerpräsident Kretschmer bei einer Regierungserklärung im Landtag 1 min
Sächsischer Ministerpräsident Kretschmer bei einer Regierungserklärung im Landtag Bildrechte: mdr

SPD, Grüne und Linke sehen Menschen und ihre Probleme

Abgeordnete von SPD, Grünen und der Linken sprechen häufig von "Menschen", die "Anfeindungen" ausgesetzt seien und gegen die "Ängste geschürt" würden. Sie haben auch die Probleme von Migranten im Alltag in Sachsen im Blick: Die SPD sorgt sich um eine gerechte und schnelle "Verteilung", die Grünen pochen häufig auf das "Recht auf Asyl" und die Linke forderte im Landtag mehrfach eine elektronische "Gesundheitskarte" für Geflüchtete.

Menschen mit Migrationsbiografie erleben tagtäglich Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung. Das beginnt mit kleinen Dingen, mit Ausgrenzung, mit dummen Sprüchen. Und das endet in Fällen wie Oury Jalloh. Das endet in Fällen wie in Hanau, in München und in Halle.

Petra Čagalj Sejdi Fachsprecherin für Migration der sächsischen Grünen, reagiert am 22. Juli 2021 auf eine AfD-Rede

"Wir gegen die": Das Schema der AfD

Die AfD dagegen verknüpft Migration häufig mit Ablehnung und Belastungen für den Sozialstaat: "Ausländer" oder "Asylbewerber", die in Massen einwanderten. Oft nannten AfD-Redner diese Begriffe in Zusammenhang mit "illegale", mit ablehnendem "Nein" und "Kosten", die diese Menschen angeblich verursachen. Zustände wurden übersteigert beschrieben, bei Geld ging es nicht um Steuern, sondern um "Steuermillionen", im Jahr 2015 habe die Bundesrepublik keine Zuwanderung erlebt, sondern einen "fatalen Migrantentsunami".

Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering nennt dieses Schema "Wir gegen die". Es werde von Populisten auf der ganzen Welt als Strategie genutzt, auch von der AfD. "Das ist die Unterscheidung zwischen uns hier und denen dort." Alles Übrige ergebe sich aus dieser Grundgrenzziehung nach dem Motto: "Wir hier sind die Guten, die Richtigen, die immer schon da waren, die das Recht haben, sich auch aggressiv zu verteidigen. Die anderen sind grundsätzlich Bedrohung", erklärt der Wissenschaftler.

Ich darf einmal erinnern: Im Jahre 2015, als der Migrantentsunami seinen fatalen Höhepunkt erreicht hatte, versicherte die damalige Bundesregierung, dass sich diese Situation nicht wiederholen dürfe.

Roland Ulbrich AfD-Abgeordneter am 5. Juli 2023

  • Mehr über die Konzepte ausgewählter Parteien zur Flucht-, Asyl- und Integrationspolitik können Sie hier nachlesen:

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. August 2024 | 15:35 Uhr

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