Außenansicht des Drakena-Gebäudes 1993
Mit Teilen der traditionsreichen Weißenfelser Nagelfabrik Drakena sollten dubiose Geschäfte gemacht werden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Drakena Weißenfels Der Treuhand-Skandal um die Nagelfabrik in Weißenfels

04. August 2022, 12:40 Uhr

Drakena steht für Draht, Kette und Nagel. Doch die Kettenproduktion wäre dem traditionsreichen Weißenfelser Unternehmen beinahe abhandengekommen – durch dubiose Geschäfte, an denen auch die Treuhand Halle beteiligt war.

Drakena in Weißenfels gehört fest zur Industriegeschichte der Stadt. Ein Teil davon wäre 1993 jedoch fast Geschichte gewesen, jedenfalls zum Teil. Drakena steht für Draht, Kette und Nagel. Nachdem das Werk 1990 Konkurs angemeldet hatte, konnte der damalige technische Direktor Gerhard Rittberger die Bereiche Draht und Nagel übernehmen. Der Bereich Kette wurde jedoch zum Leidwesen aller ausgegliedert und von der Treuhand abgewickelt. Das war für viele nicht nachvollziehbar, auch für Rittberger nicht: "Wir mussten mitverfolgen, wie in dieser Zeit durch für uns unverständliche Geschäfte dieser Bereich, der eigentlich auf einem technisch sehr hohen Niveau stand, immer mehr von der Bildfläche verschwand und letztendlich dann an jemanden verkauft wurde, der nie Interesse hatte, dieses Unternehmen weiterzuentwickeln, fortzuführen."

Gerüchte und Lügen

Mit dem Verkauf stand das Kettenwerk vor dem Ende seiner Existenz und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern drohte die Arbeitslosigkeit. Es ist – das sei schon einmal vorweggenommen – am Ende doch noch gut gegangen. Die Drakena hat überlebt und heute, knapp 30 Jahre später, sind die Auftragsbücher gut gefüllt. Das Unternehmen verschickt seine Produkte in die ganze Welt und auch die damals bereits verloren geglaubte Kettenproduktion gehört längst wieder zum Geschäft.

Doch 1993 sah alles anders aus. Die Kettenproduktion wurde von der Treuhand an ein schweizerisch-britisches Firmenkonsortium verkauft. Dem Vertrag nach sollte es sogar eine Arbeitsplatzgarantie geben, doch immer wieder verunsichern Gerüchte die Belegschaft. "Es wären schon zwanzig Asiaten auf dem Weg hierher, die hätten schon ein Flugticket und würden uns hier ablösen. Wir wären dann sozusagen arbeitslos", war eine jener Botschaften, über die ein Drakena-Arbeiter damals dem MDR Fernsehen berichtete. Dann kam die eigentlich schlimme Nachricht, wie Gerhard Rittberger sich erinnert: "Die Adresse, die uns bekannt war, unter welcher diese Firma anschreibbar oder erreichbar war, war und ist ein kleines Immobilienbüro in einem Hinterhof im Osten Londons." Mit anderen Worten: Der Käufer entpuppte sich als Briefkastenfirma, als Scheinfirma, die nur auf dem Papier existiert. Das wiederum bedeutete, dass es überhaupt keinen Investoren für die Kettenfabrik in Weißenfels gab.

Treuhand-Manager in Erklärungsnot

Damals wollte das MDR-Magazin "Umschau" von der Treuhand in Halle wissen, wie so etwas passieren konnte und warum die Käufer nicht besser überprüft wurden. Im Verlauf des Gesprächs kam Edmund Harrer, der damalige Finanzchef der Treuhand Halle, immer mehr ins Schlingern. Am Anfang sagte er noch: "Bei ausländischen Unternehmen ist es immer etwas schwierig, genaue und detaillierte Auskünfte zu bekommen." Doch nachdem die Reporterin immer wieder nachhakte und wissen wollte, wie ein Kaufvertrag zustande kommen konnte, obwohl über den Käufer kaum etwas bekannt war, räumte Harrer schließlich ein: "Wenn mal ein Ausrutscher dabei ist, wobei ich jetzt mal davon ausgehe, dass es sich hier nicht um einen Ausrutscher handelt, sondern um eine klärungsbedürftige Angelegenheit. Wenn es also wirklich mal einen Ausrutscher gibt, dann ist es wirklich nur ein Einzelfall. Sicher, Sie sagen, für die Arbeitskräfte ist das natürlich nicht befriedigend. Aber das ist eben die Arbeit, wenn man so hohe Zahlen zu bewältigen hat, dass dann mal eben auch ein negativer Fall dazwischen ist."

Dubioser Vermittler

Abgewickelt wurde der Verkauf der Kettenproduktion durch den Münchner Juristen Dr. Norbert Höss ­– und er sorgte mit seinen Treuhand-Geschäften für Aufsehen in Halle. Von einem Einzelfall kann also keine Rede sein.

Von der "Umschau" auf die Ungereimtheiten seines Drakena-Geschäfts angesprochen, gab er im Mai 1993 allerdings noch den Unschuldigen "Ich muss dazusagen, ich habe auch meine Vermittlertätigkeit beendet aufgrund der Problematik, die da entstanden ist in dem Dreierverhältnis im Kettenbereich der ehemaligen Drakena, der Treuhandanstalt und den Mitarbeitern." Was das bedeute, wollte die Reporterin damals wissen. "Dass ich eine Vertretung dieses Unternehmens nicht weiter übernommen habe. Ich habe lediglich den Verkauf vermittelt und mehr nicht", lautete Höss' Antwort damals.

Millionengeschäfte in die eigene Tasche

Drei Jahre später kam die Wahrheit ans Licht. 1996 musste sich Höss vor Gericht verantworten, weil er Unternehmen mit über 300 Beschäftigten in Sachsen-Anhalt gekauft und mit fingierten Rechnungen und unter Androhung von Entlassungen rund 24 Millionen Mark privat abgezogen hatte. Wegen Betrugs wurde er zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Nach und nach wurden weitere Betrügereien aufgedeckt: Es folgten neue Verhandlungen wegen Untreue gegen westdeutsche Unternehmer und auch gegen Treuhand-Mitarbeiter aus dem Bereich Halle.

Eldorado für Bauernfänger

Für den Historiker Dr. Marcus Böick von der Ruhr-Universität Bochum ist die Region im südlichen Sachsen-Anhalt damals zum Eldorado für Bauernfänger im Privatisierungsgeschäft geworden: "Es fanden sich quasi die richtigen oder auch die falschen Leute an einem Ort zusammen und haben dann gemeinschaftlich agiert. Das hat dann diesen Kollaps von Halle ausgelöst."

der Historiker Dr. Marcus Böick
Historiker Dr. Marcus Böick: "Die falschen Leute an einem Ort" Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Kollaps von Halle. Wie im Supermarkt waren die Firmen von der Treuhandanstalt verscherbelt worden. Innerhalb kürzester Zeit hatte man die Privatisierung stolz abgeschlossen – bis die kriminellen Machenschaften aufflogen. Doch da gab es in Halle keine Treuhand mehr, wie Böick erklärt: "Man hatte ironischerweise die Treuhand-Niederlassung schon einige Monate vorher feierlich geschlossen. Man hat sozusagen die Arbeit erfüllt und alle Betriebe und Unternehmen weitgehen privatisiert. Dann kam dieser Skandal, eigentlich einige Monate nachdem diese Niederlassung schon offiziell geschlossen wurde."

Drama mit Happy End

Der Skandal um die Treuhand Halle bedeutete für hunderte Angestellte in Sachsen-Anhalt das Aus, darunter auch für die Arbeiter die Kettenfabrik Weißenfels, wie sich Gerhard Rittberger erinnert: "Für die Beschäftigten im Unternehmen war es schon ein harter Schlag. Das hatte natürlich auch moralische Auswirkungen auf Weißenfels. Was kommt hier? Der menschliche Faktor war schon sehr schwer."

An ein Happy End konnte man damals nur schwer glauben. Und doch: Drakena gibt es wieder ­– mit Draht, Kette und Nagel. Man wollte nicht aufgeben und konnte 1996 die Kettenfertigung wieder zurückholen. Seitdem läuft es wie geschmiert.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 03. März 2020 | 20:15 Uhr

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