SKW Stickstoffwerke Piesteritz, 2016
Viele Unternehmen - SKW Stickstoffwerke Piesteritz - klagen über hohe Energiepreise. Einige Verbände und Firmen sehen die Schuld in der Politik der Grünen. Bildrechte: IMAGO / Steinach

Kritik der Industrie Stimmt die These von der grünen De-Industrialisierung?

06. März 2023, 12:24 Uhr

Die Grünen und die Wirtschaft - das ist keine einfache Beziehung. Immer wieder machen Unternehmer die Grünen verantwortlich für Bürokratie, hohe Energiepreise und zu viel Regulierung. Roland Berger, langjähriger Inhaber der nach ihm benannten Unternehmensberatung, schimpfte vergangene Woche sogar, die Politik der Grünen gefährde den Wirtschaftsstandort Deutschland und führe zur De-Industrialisierung. Aber stimmt das so?

Will man von Industrieverbänden wissen, wie sie grüne Wirtschaftspolitik finden, will keiner reden. Der Verband der Chemischen Industrie lehnt aus Zeitgründen ab. Der Bundesverband der Deutschen Industrie schreibt den bemerkenswerten Satz: "Wir haben kein Interesse an einem Interview zu diesem Thema."

Man kann aber auch einen Ökonomen fragen, ob grün für De-Industrialisierung steht. Joachim Ragnitz ist stellvertretender Leiter am ifo-Institut in Dresden: "Jetzt zu sagen: 'Die Politik der Grünen!' Das finde ich ein bisschen übertrieben. Wir haben ein Klimaschutzgesetz, das schon vor der letzten Bundestagswahl beschlossen worden ist, wo drinsteht, dass man eben bis 2045 klimaneutral werden soll."

Ökonom Ragnitz: Ukraine-Krieg beschleunigt Anpassung

Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz.
Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz. Bildrechte: ifo Institut

Tatsächlich orientiert sich grüne Wirtschaftspolitik vor allem an dieser Klimaschutzvorgabe – beschlossen von der CDU-geführten Regierung Angela Merkels. Von ihr stammen auch Kohle- und Atomausstieg. Damals dachte man, die Wirtschaft habe ja Zeit, sich umzustellen.

Doch dann kam der Ukraine-Krieg, der Energie in Europa knapp und teuer machte. "Diese Anpassungszeit ist jetzt quasi weggefallen", sagt Ragnitz. "Das führt eben dazu, dass jetzt große Teile der Industrie aber eben auch der privaten Haushalte möglicherweise damit überfordert sind, diese notwendigen Anpassungen herbeizuführen."

Wegen dieser Problemlage findet Ragnitz die Grünen dann doch zu ambitioniert. Sie versuchten, Deutschland zum Vorreiter der Energiewende zu machen. Doch wenn der Rest der Welt nicht mitziehe, bringe das für den Klimaschutz wenig, sagt der Ökonom. Aber es mache Energie hierzulande teuer. Und das wiederum dürfte tatsächlich energieintensive Unternehmen vertreiben.

Wirtschaftsverband fordert Steuersenkungen

Diese Kritik übt auch der Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft. Dessen Chefvolkswirt Hans-Jürgen Völz sagt, die Grünen ließen Potenziale, Energie zu verbilligen, ungenutzt – zum Schaden der Wirtschaft:

Ich spreche jetzt von der Stromsteuer, die in Deutschland 41 Mal höher ist als das von der Europäischen Union vorgegebene Mindestniveau. Oder aber auch die Mehrwertsteuer, die bei Gas von 19 auf 7 Prozent reduziert worden ist, nicht aber bei Strom." Das seien liegengelassene Potenziale, wo man die Energiekosten reduzieren könnte. "Hier besteht Nachholbedarf und zwar seitens derjenigen, die das bislang verhindert haben."

Wind und Sonne sind günstiger als Atom-Strom

Bei den Grünen perlt diese Kritik ab. Sandra Detzer ist wirtschaftspolitische Sprecherin. Sie argumentiert, die Regierung habe die rasant steigenden Energiepreise mit Preisbremsen eingefangen. Entgegen vieler Befürchtungen sei Erdgas in diesem Winter auch nicht knapp geworden.

Wir haben jetzt schon bei den Gestehungskosten von Energie die allergünstigsten Energien im Wind- und im Photovoltaik-Bereich. Da sind wir so bei 3 bis 5 Cent pro Kilowattstunde.

Sandra Detzer, Grüne wirtschaftspolitische Sprecherin

Es sei richtig, den Ausstieg aus Kohle und Atom konsequent weiter zu gehen. "Wir haben jetzt schon bei den Gestehungskosten von Energie die allergünstigsten Energien im Wind- und im Photovoltaik-Bereich. Da sind wir so bei 3 bis 5 Cent pro Kilowattstunde", erklärt Detzer. "Und wenn sie beispielsweise den Atomstrom daneben legen mit 36 Cent Gestehungskosten, dann ist ganz klar, wohin die Reise gehen muss."

Gestehungskosten Gestehungskosten sind Kosten, die bei der Herstellung oder dem Erwerb eines Produkts entstehen. Bei Strom ergeben sie sich aus der Summe der fixen und variablen Betriebskosten, den Brennstoffkosten - wenn solche Anfallen -, sowie aus Kapitalkosten. Nicht enthalten sind Kosten für die Verteilung übers Stromnetz.

Durch den Umbau der Wirtschaft ergäben sich neue Möglichkeiten für die Industrie, argumentiert Detzer. Das zeige der Bau von Solar- oder Batteriefabriken. "Denken Sie zum Beispiel an die Photovoltaik. Die ist in Deutschland erfunden worden. Die technologischen Voraussetzungen, die wir brauchen, haben wir alle. Und jetzt geht es darum, diese Fähigkeiten in Technologiestärke zu übersetzen", wirbt Detzer. Das sei auch eine große Chance für den Norden und Osten Deutschlands. "Hier entstehen Neuansiedlungen, hier entstehen auch die Industrien der Zukunft."

Und dann kommt Detzer auf Roland Berger zu sprechen, den ehemaligen Unternehmensberater, der den Grünen De-Industrialisierung vorwirft. Berger habe seine Firma ja in neue Hände gegeben, sagt Detzer. Und der neue Chef sähe das ganz anders. Er mahne Tempo bei der Energiewende an.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 06. März 2023 | 05:00 Uhr

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