Kraftwerk Schkopau
Das Braunkohlekraftwerk Schkopau ist das größte Kraftwerk in Sachsen-Anhalt. Reicht der Strom aus der Windenergie nach dem endgültigen Ausstieg aus der Kohle? Bildrechte: imago images/Köhn

Energiewende Woher der Strom nach dem Kohleausstieg kommen soll

16. April 2023, 05:00 Uhr

Nach dem Aus für den Atomstrom in Deutschland sollen bis spätestens 2038 auch die letzten Kohlekraftwerke stillgelegt werden. Aber was kommt danach? Wie steht es um den Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien? Über die geplante Zukunft der Energieversorgung im mitteldeutschen Kohlerevier.

Autorenfoto Claudia Reiser
Bildrechte: Anorte Linsmayer, MDR

In Sachsen-Anhalt ist die Energiewende oft auf einen Blick zu sehen. Hier steht der Braunkohlebagger direkt neben riesigen Wind- und Solarparks. Inmitten des mitteldeutschen Kohlreviers ist Thomas Schneider Bürgermeister der Stadt Südliches Anhalt. Und somit im Zentrum des Wandels.

Für ihn steht außer Frage, dass hier in die Region weitere Windräder kommen werden. Aber in seinen Augen muss sich dabei etwas ändern. Er beklagt: "Bisher ist es so, dass die Flächen oder die Anlagen entstanden sind, ohne dass es einen Mehrwert für die Bürger gegeben hat." Ja, vereinzelt habe es eine Beteiligung gegeben, sagt Schneider. Jetzt gebe es aber die Chance, hier eine Teilhabe zu erreichen.

Und diese Chance möchte Schneider jetzt ergreifen. Im Stadtrat erhofft er sich grünes Licht für das Projekt: ein eigenes Wärmenetz mit eigenen Großwärmepumpen, betrieben durch eigenen Strom aus eigenen Wind- und Solarparks. So soll den Bürgern eine kostengünstige Versorgungssicherheit garantiert werden.

Doch dafür müssten weitere Äcker umgewidmet werden. Das erzeugt Unmut unter den Stadträten. "Wir sollten auch daran denken, dass wir alle was zu essen haben wollen", äußert Stadtrat Raik Honsa seine Bedenken. Also lieber Getreideanbau statt Windräder? Weitere Einwände folgen in der Stadtratssitzung Ende März.

Dabei ist klar: Will Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen, muss auch in den Kohleregionen etwas passieren. Geheizt wird in den Ortsteilen der Stadt Südliches Anhalt bislang überwiegend mit Öl oder Gas. Ein Umrüsten auf Wärmepumpen scheint für viele bei der alten Bausubstanz schwierig – und kostspielig.

Ziel: Energie komplett selbst und vor Ort erzeugen

Regelmäßig wirbt Rathauschef Schneider deshalb bei den Bürgern für das Wärmenetz. Immer mal auch gemeinsam mit dem Erneuerbare-Energien-Unternehmen GP Joule, das alles umsetzen möchte. Dessen Geschäftsführer Ove Petersen glaubt an eine komplett energieautonome Zukunft Deutschlands – nicht nur bei Strom und Wärme.

Wir [können] doch die Energie hier vor Ort produzieren und damit auch einen neuen Wirtschaftszweig hier aufbauen.

Ove Petersen Geschäftsführer GP Joule

"Warum ist die Politik auf globaler Einkaufsreise nach Wasserstoff oder grünen Ammoniak, wenn wir nicht doch die Energie hier vor Ort produzieren können und damit auch einen neuen Wirtschaftszweig hier aufbauen können?", fragt Petersen. Er sieht darin "eben auch die Chance, gerade für diesen ländlichen Raum, der teilweise wirklich auch sehr strukturschwach ist." Deshalb möchte GP Joule im Ort zusätzlich auch Wasserstoff produzieren, aus Stromüberschüssen an windigen oder sonnigen Tagen.

Chemieindustrie auf Wasserstoff angewiesen

Der Wasserstoff soll dann irgendwann ins nur wenige Kilometer entfernte Chemiedreieck rund um Bitterfeld und Leuna verkauft werden. Denn auch die chemische Industrie, der wichtigste Industriezweig im südlichen Sachsen-Anhalt, ist im Umbruch. Mitten in den Chemieparks wird an sogenannten Elektrolyseuren zur Produktion von grünem Wasserstoff geforscht. Denn als Rohstoff wird Wasserstoff hier schon heute im großen Stil gebraucht, etwa für Kunstdünger.

Professorin Sylvia Schattauer, Kommissarische Institutsleiterin Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES, Nationaler Wasserstoffrat, Sprecherin Hydrogen Lab Görlitz
Sylvia Schattauer, Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES und Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat Bildrechte: Sylvia Schattauer

Bislang gilt aber: "Der [Wasserstoff] ist natürlich nicht klimaneutral hergestellt, einfach weil er aus Erdgas hergestellt ist", erklärt Sylvia Schattauer vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES. Die Idee sei, auch diesen Teil schrittweise zu "defossilisieren". Und entsprechend brauche es auch Elektrolyseure, die mit regenerativen Energien auch klimaneutralen Wasserstoff erzeugen können.

"Grüner Wasserstoff" noch kaum vorhanden

Die Wasserstoff-Forschung in der Region käme auch dem Stromnetz zugute. Im nahegelegenen Leipzig wird derzeit eines der ersten wasserstofftauglichen Kraftwerke Deutschlands fertiggestellt. Es soll künftig in sonnen- und windarmen Stunden die Stromversorgung sicherstellen.

Doch auf absehbare Zeit muss auch im Leipziger Kraftwerk auf Erdgas zurückgegriffen werden. Michael Geißler von den Stadtwerken Leipzig erklärt, "grüner Wasserstoff ist im Moment noch nicht verfügbar, oder kaum verfügbar. Deshalb: Der Markt bestimmt dort auch den Preis, und der hat im Moment den doppelten oder auch dreifachen Preis."

Das heißt: Grüner Wasserstoff wird auf absehbare Zeit vorerst für die Bereiche gebraucht, die zwingend auf Wasserstoff angewiesen sind. Für die Nutzung in Privathaushalten, etwa bei Heizungen oder Autos, wird da wenig bleiben. Und weil die Herstellung von grünem Wasserstoff bislang enorm energieintensiv ist, braucht es auch dafür mehr Solar- und Windparks.

Für Thomas Schneider in der Stadt Südliches Anhalt stellt sich deshalb nicht die Frage, "ob die Anlagen kommen werden oder nicht. Sondern es stellt sich die Frage: Wollen wir eine Teilhabe an diesen Anlagen?" Eine Mehrheit im Stadtrat hat zumindest für erste Verhandlungen mit dem Energieunternehmen gestimmt. Beschlossen ist das Projekt damit aber noch lange nicht, geschweige denn umgesetzt. Bis 2030 könnte alles fertig sein, wenn es nach Plan läuft. Die Energiewende in Deutschland: sie dauert.

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Dieses Thema im Programm: Das Erste | tagesthemen | 14. April 2023 | 22:15 Uhr

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