Hybridkraftwerk
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Stromspeicherung Forscher: Wasserstoff ist Baustein für Energiewende – nicht Allheilmittel

16. Juni 2020, 11:10 Uhr

Die Bundesregierung will Wasserstoff als Stromspeicher und Energieträger in Deutschland groß aufbauen. Wissenschaftler begrüßen die Strategie als überfällig, halten jedoch noch viele weitere Schritte für notwendig.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat eine Strategie für den Aufbau des Energieträgers Wasserstoff in Deutschland beschlossen. Bis 2030 sollen Kapazitäten von bis zu 5 Gigawatt für die Erzeugung von Wasserstoff aufgebaut werden, vor allem mit Elektrolyse. Dabei wird Wasser mit Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Mit der Wasserstoffstrategie soll ein fehlender Baustein der Energiewende ergänzt werden. Das Gas könnte als Speichmedium für Strom und auch direkt als Kraftstoff eingesetzt werden, etwa im Flug- oder Seeverkehr. Die Bundesregierung investiert etwa neun Milliarden Euro in das neue Programm.

Mehr Windräder und Solarzellen: Regenerative Energien müssen weiter ausgebaut werden

Wissenschaftler und Energieexperten begrüßen die neue Strategie. "Nach Jahren des Stillstands ist das endlich eine richtig große Idee", sagt Professor Michael Sterner, der die Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher an der Hochschule in Regensburg leitet. Als sehr positiv bewertet er, dass bei der Wasserstofferzeugung künftig keine Erneuerbare-Energien-Umlage mehr gezahlt werden muss. Sie hatte die Gaserzeugung in der Vergangenheit zusätzlich teurer gemacht.

Doch der Schritt reicht nach Ansicht von Experten noch nicht aus. Entscheidend sei, dass die Stromerzeugung aus Wind und Sonne weiter ausgebaut werde, sagt Jochen Bard, Leiter des Bereichs Energieverfahrenstechnik am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) in Kassel. Denn, da sind sich beide Experten einig, nur der grüne Wasserstoff könne die Zukunft sein.

Grüner, Grauer, Blauer und Türkiser Wasserstoff Grüner Wasserstoff wird durch Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt. Dabei wird Wasser mit Hilfe von Strom in Wasser- und Sauerstoff aufgespalten. Bei diesem Verfahren entstehen keinerlei Klimaemissionen in Form von CO2.

Grauer Wasserstoff wird auf fossilen Brennstoffen gewonnen. Dabei wird entweder Strom aus Kohlekraft verwendet oder direkt Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2 aufgespalten. Bei diesem Verfahren entstehen bei der Produktion von einer Tonne Wasserstoff zehn Tonnen CO2.

Blauer Wasserstoff: Auch blauer Wasserstoff wird mit Hilfe von fossilen Brennstoffen erzeugt. Hier wird das CO2 allerdings abgeschieden und gespeichert (CCS, Carbon Capture and Storage). Damit wird kein CO2 in die Atmosphäre entlassen.

Türkiser Wasserstoff wird mit der Spaltung von Methan in Wasser- und Kohlenstoff hergestellt. Der Kohlenstoff ist hier fest und nicht gasförmig, wie beim CO2. Das Verfahren benötigt einen Hochtemperaturreaktor. Damit es klimaneutral ist, muss die Energie dafür auch aus erneuerbarem Strom kommen.

Offshore-Windparks zur Wasserstofferzeugung

Damit aber stellt sich aus Sicht der Forscher die dringende Frage, wo genügend neue Windräder und Solarzellen aufgebaut werden können. Denn für die Wasserstoffproduktion müsse extra Strom produziert werden. Die Produktion allein aus überschüssiger Elektrizität sei nicht wirtschaftlich, erklärt Michael Sterner. Überschüsse entstünden nur in kurzen Zeiträumen und dann häufig mit hohen Spitzen. Anlagen zur Elektrolyse liefen dagegen wie alle chemischen Anlagen am besten bei konstanter Leistung. "Das ist ein Dilemma", sagt der Forscher.

Naheliegend sei daher der Aufbau von Offshore-Windparks in der Nordsee, an die die Wasserstofferzeugung direkt angeschlossen werde. Der Strom müsse dann nicht zunächst in öffentliche Netze eingespeist werden. Dadurch könnten Transportkosten, Steuern und Umlagen vermieden werden. "Außerdem gibt es in der Nordsee bereits eine Gasinfrastruktur, die man nutzen kann", sagt Sterner. Allerdings dürfe nicht der direkte Stromverbrauch aus den Windparks verdrängt werden. Es sollte also nur ein Teil der Elektrizität in den Wasserstoff fließen.

Wasserstoffautos unrealistisch – Wasserstoffzüge dagegen wirtschaftlich sinnvoll

Die zweite große Frage betrifft, wofür der Wasserstoff eingesetzt werden soll. Wasserstoffautos beurteilen die beiden Wissenschaftler wie viele andere Experten derzeit sehr kritisch. "Es gibt bereits deutlich mehr Elektroladepunkte als Wasserstofftankstellen. Außerdem sind Elektroautos effizienter und günstiger", sagt Sterner. Aktuell kosten 100 Kilometer in einem Elektroauto deutlich weniger als in einem Wasserstoffauto*.

Anders sehe es aber bei Zügen aus. Da sei eine Wasserstofflokomotive nur unwesentlich teurer als eine Diesellokomotive. Die Infrastruktur für das Auftanken sei leichter installierbar, außerdem seien die Verbräuche besser berechenbar. Ähnlich sehen die Forscher den Einsatz im See- und im Luftverkehr. Auch könnten Brennstoffe nicht einfach durch Akkus ersetzt werden. Dort könnten mit Hilfe von Wasserstoff synthetische Treibstoffe erzeugt werden. Dabei steige der Stromverbrauch aber um das fünf- bis sechsfache, verglichen mit dem direkten Einsatz der Elektrizität.

Zu große Nachfrage nach Wasserstoff könnte negative Effekte für das Klima haben

Die Erwartungen an Wasserstoff sollten aber nicht überzogen werden, warnt Jochen Bard. Das Gas sei keine "Silver Bullet", keine Silberkugel, mit der sich alle Probleme lösen ließen. Es könne aber ein guter Baustein für eine Energiewende sein. Diese brauche aber einen neuen Masterplan, der alle Bereiche von der Erzeugung bis zum Verbrauch einbinde.

"Technisch gesehen ist Wasserstoff eine eierlegende Wollmilchsau, er kann alles", sagt Michael Stirner. Was davon aber auch sinnvoll sei, sei eine andere Frage. Bislang sei eine Wasserstoffwelt immer an der technischen Reife der Brennstoffzelle gescheitert. Das könne sich jetzt aber ändern. Fraunhofer-Experte Bard warnt aber auch, dass eine plötzlich stark steigende Nachfrage nach Wasserstoff die Möglichkeiten seiner Erzeugung aus erneuerbarem Strom übersteige. In dem Fall drohe eine Wasserstoffherstellung aus konventionellem Kohlestrom. Das aber hätte dann negative Effekte auf das Klima.

Internationale Kooperation?

Politiker wie der Entwicklungsminister Gerd Müller (CDU) denken auch über Kooperationen mit afrikanischen Ländern nach. Forscher Michael Sterner dagegen bevorzugt den Aufbau eigener Produktion. "Wenn man Wasserstoff importiert, steigt die Gefahr, dass er aus nicht nachhaltigen Quellen kommt", sagt er. Man wisse nicht, ob das Gas möglicherweise mit Kohlestrom produziert worden sei. Zudem lehre das Beispiel Desertec - das gescheiterte Solargroßprojekt in der Sahara -, dass man bei internationalen Kooperationen die Entwicklungen in den Ländern selbst mit einbeziehen müsse. Sonst drohten Projekte zu scheitern, weil sich die Bedürfnisse der Bevölkerungen vor Ort verändern.

*Update 11.6.: In der ursprünlichen Fassung dieses Beitrags hieß es irrtümlich, 100 Kilometer in einem Elektroauto kosteten etwa einen Euro. Korrekt ist aktuell, dass der Strom je nach Auto für 100 Kilometer zwischen 3 und 6 Euro (Haushaltspreise) kostet. Wir danken den Lesern für den entsprechenden Hinweis.

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