Azubi-Mangel in Deutschland Ausbildung in Teilzeit: Der Game-Changer im Kampf um Nachwuchs?

19. Juni 2023, 07:07 Uhr

Ein beliebter Schachzug im Kampf um Talente und Nachwuchs: Benefits. Unternehmen werben mit den unterschiedlichsten Vorteilen, angefangen bei kostenlosen Getränken bis hin zur Vier-Tage-Woche. Die Frage, die sich stellt, ist, ob sich die Unternehmen so nicht nur die Bewerber gegenseitig wegnehmen. Ein anderer Weg: Neue Zielgruppen ansprechen. Ein Beispiel hierfür wäre die Ausbildung in Teilzeit. Diesen Weg möchte nun auch die Uniklinik Leipzig gehen.

Jasmin Koch
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Ein Klopfen durchbricht die Stille im Raum. Einen Augenblick später öffnet sich die weiße Holztür und eine junge Frau kommt herein. Mit einem Lächeln begrüßt sie die Patientin im Krankenbett und stellt sich als Schülerin Hanna vor. Mit dabei: ihr Azubi-Kollege Norbert.

Mit den typischen Metallnachttischen und dem Verbandswagen sieht der Raum einem echten Klinikzimmer sehr ähnlich. Allerdings stehen Hanna und ihr Mitschüler Norbert im Pflegekabinett der Berufsfachschule des Universitätsklinikums Leipzig. Gemeinsam üben sie an diesem Tag, Frau Müller, eine lebensgroße Puppe, aus dem Bett in den Rollstuhl zu setzen.

Beide sind im zweiten Lehrjahr und können sich keinen schöneren Beruf als Pfleger beziehungsweise Pflegerin vorstellen. Und das, obwohl der Job anstrengend ist – vor allem in Vollzeit. Beide hätten zu einer Ausbildung in Teilzeit tendiert. Norbert, da er bereits einen anderen Beruf erlernt hat und für seinen Sohn sorgen möchte, Hanna für eine bessere Work-Life-Balance.

Fachkräftemangel sorgt schon bei Auszubildenden für Überstunden

"40 Stunden sind definitiv machbar, aber es kommt auch vor, dass man bis zu acht oder neun Tage am Stück arbeitet. An dieser Stelle schlägt der Personalmangel einfach zu", erklärt Pflege-Schülerin Hanna. Irgendjemand müsse sich schließlich um die Patienten kümmern. "Da ist es auch echt schwer, einen Ausgleich zu finden im Privatleben."

Hanna und Norbert haben im September 2021 ihre Ausbildung begonnen, damals gab es die Teilzeit-Option noch nicht. Sie richtet sich vor allem an die Menschen, für die eine Vollzeitausbildung nicht möglich ist, sagt Jannicke Schickert, die Schulleiterin der Medizinischen Berufsfachschule des Leipziger Uniklinikums. "Es hat sich herauskristallisiert, dass immer mehr Auszubildende kleine Kinder zu Hause haben oder Angehörige pflegen." Andere hätten bereits in einem anderen Beruf gearbeitet und beginnen noch einmal mit einer Pflegeausbildung. "Für sie ist es schwierig, jetzt weniger Geld zu verdienen."

Ausbildung in Teilzeit: Neue Zielgruppen erreichen

Damit entstand die Idee, die Pflege-Ausbildung auch in Teilzeit anzubieten. Die Arbeitszeit wird von 40 auf 30 Stunden pro Woche reduziert. Berufsschule ist dann immer montags bis freitags, 8 bis 14 Uhr. In den Praxisstationen könne geschaut werden, was für die Auszubildenden am besten sei, sagt Schickert. Es ist möglich, dass eine Alleinerziehende die Frühschicht statt um sechs Uhr zwei Stunden später beginnt, um sich davor um ihr Kind kümmern zu können. Für andere kann es sinnvoll sein, vier Tage voll zu arbeiten und an dem dadurch entstehenden freien Tag einem Nebenjob nachzugehen.

Junge Eltern besonders oft ohne Berufsabschluss

Dass Elternschaft und eine Ausbildung in Vollzeit parallel schwer zu stemmen sind, lassen auch die Zahlen erkennen. 2021 waren dem Bundesbildungsministerium zufolge über 60 Prozent der jungen Mütter und fast jeder zweite junge Vater ohne einen Berufsabschluss. Für sie könnte eine Ausbildung in Teilzeit eine echte Chance sein.
Das Problem: nur wenige Unternehmen bilden in Teilzeit aus und die Angebote, die es bereits gibt, sind noch nicht bekannt genug. Laut Berufsbildungsstatistik wurden im Jahr 2021 nur 0,5 Prozent der Ausbildungsverträge in Deutschland in Teilzeit abgeschlossen. Im Jahr davor waren es 0,4 Prozent.

Die mitteldeutschen Bundesländer belegen im deutschlandweiten Vergleich die letzten Plätze. Mit 0,3 Prozent Ausbildungsverträgen in Teilzeit liegen Sachsen und Thüringen unter dem Bundesdurchschnitt. Sachsen-Anhalt ist mit 0,2 Prozent das Schlusslicht.

Die Teilzeit-Option braucht noch mehr Bekanntheit. Das hat man auch an der Berufsfachschule der Uniklinik Leipzig gemerkt. Für dieses Jahr haben sich zu wenige Bewerber auf die Pflegeausbildung in Teilzeit beworben. Schulleiterin Schickert rechnet aber fest damit, dass die Uniklinik ab Herbst 2024 eine ganze Klasse mit Teilzeit-Azubis zusammenbekommt.

Azubis von heute sind die Fachkräfte von morgen

Aber auch über die Teilzeit-Option hinaus haben die Schulleiterin und ihre Schüler Ideen, wie die Pflegeausbildung attraktiver werden könnte. Norbert wünscht sich zum Beispiel mehr Bewusstsein dafür, dass Azubis in der Pflege keine billigen Arbeitskräfte, sondern die Pflegekräfte von morgen sind. Er findet es wichtig, dass sie mehr eingebunden werden, denn es bringe nichts, wenn Azubis nur Blutdruck messen oder die Betten machen dürften.

Ein Krankenpflegeschüler misst den Blutdruck eines Patienten.
Pflegeazubis mahnen, dass sie mehr als billige Arbeitskräfte und Aushilfen sind. Sie sollten nicht nur zum Blutdruck messen eingesetzt werden. Bildrechte: IMAGO / epd

Und auch mit Blick auf das Thema Work-Life-Balance und flexiblere Arbeitszeiten ist sich Schulleiterin Jannicke Schickert sicher, dass beispielsweise eine Vier-Tage-Woche in der Pflege durchaus möglich ist. Das Problem ist an dieser Stelle, dass es zu wenige Pflegekräfte gibt. "Was nicht funktioniert, ist, die Patientinnen und Patienten nachts nach Hause zu schicken und die Krankenhäuser zu schließen." Schickert stellt in diesem Zusammenhang auch infrage, ob jeder Patient direkt um acht fertig gewaschen sein müsse, oder ob es auch hier mehr Flexibilität in den Pflegestrukturen und folglich den Arbeitszeiten geben könne.

"Müssen alle Pflegekräfte morgens um 6 Uhr zur Übergabe da sein? Könnte es auch da gestaffelte Dienste geben?" Sie überlegt, ob es nicht reicht, wenn um sechs Uhr zwei Pflegekräfte da sind und die anderen dann um sieben oder acht anfangen. Für die Flexibilität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf könnte das in jedem Fall eine Verbesserung bedeuten.

Ein nachgebautes Krankenhauszimmer mit zwei Patientenbetten. Im vorderen liegt eine lebensgroße Puppe. Dahinter sieht man zwei Auszubildende, die eine weitere Puppe in einen Rollstuhl setzen.
Hanna und Norbert üben im "Pflege-Kabinett" der Berufsfachschule der Uniklinik Leipzig, einen Patienten vom Bett in den Rollstuhl zu setzen. Bildrechte: Jasmin Koch

Hanna und Norbert haben es geschafft: Frau Müller sitzt im Rollstuhl. Dass bald noch mehr zukünftige Pflegerinnen und Pfleger Hand an Frau Müller, der Puppe, anlegen, dafür sollen nun die Teilzeit-Pläne der Uniklinik sorgen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 19. Juni 2023 | 05:00 Uhr

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