Verkleinerung des Bundestages Wahlrechtsreform soll keine Nachteile für parteilose Kandidaten bringen

04. April 2023, 07:06 Uhr

Die Ampelkoalition hat eine Gesetzesänderung beschlossen, die den Bundestag verkleinern soll: Bald soll es nur noch 630 Sitze, statt 736 geben. Zudem wird die Grundmandatsklausel gestrichen. Der Einzug eines Kandidaten ist dann stärker vom Ergebnis seiner Partei abhängig. Für parteilose Kandidaten sollen durch die Wahlrechtsreform keine Nachteile entstehen.

MDR-Volontär 2019/2021 Robin Hartmann
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Der Leipziger Ralf Kohl ist fast schon ein alter Hase, was Wahlen angeht. Die Bundestagswahl 2021 war bereits seine fünfte Wahl, zu der er als parteiloser Kandidat angetreten ist. Doch wenn nach der Wahlrechtsreform nur die Direktkandidatinnen und -kandidaten in den Bundestag einziehen, deren Partei auch genügend Zweitstimmen haben, sieht er schwarz: "Meine erste Reaktion war: Da brauche ich ja gar nicht mehr antreten, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wo ich die Zweitstimmen herkriege als Einzelkandidat."

Doch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Detlef Müller, beruhigt: "Parteilose Kandidaten können nach wie vor antreten, selbstverständlich. Sie haben vor allem auch das Glück, wenn sie ihren Wahlkreis direkt gewinnen, dass sie nicht diesem Prinzip der Zweitstimmendeckung unterliegen, was für parteiabhängige Kandidaten gilt, Sie ziehen dann tatsächlich auch in den Bundestag ein."

Direktkandidaten der CSU vor neuen Hürden

Anders sieht es hingegen für Direktkandidaten mit Parteizugehörigkeit aus, deren Partei deutschlandweit nicht mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen bekommen. Sie würden nach dem neuen Wahlrecht nicht in den Bundestag einziehen.

Streichung der Grundmandatsklausel Die bisher geltende Grundmandatsklausel besagt, dass Parteien von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen sind, wenn sie mindestens drei Direktmandate erringen. Diese Klausel wurde gestrichen. In der Neufassung des Bundeswahlgesetzes heißt es, dass Parteien keinerlei Sitze bekommen, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen (künftig Hauptstimmen) erhalten. Das bedeutet, dass erfolgreiche Direktkandidaten (anders als bisher) ihr Mandat nicht antreten dürfen, wenn ihre Partei unter fünf Prozent bleibt.

Das könnte unter anderem für die CSU problematisch werden, die zwar viele Wahlkreise in Bayern gewinnt, aber eventuell komplett leer ausgeht, da sie nur im Freistaat antritt. Sollte sie hier nicht mindestens 5 Prozent der deutschlandweiten Zweitstimmen erhalten, zöge keiner ihrer Kandidaten in den Bundestag ein. Deswegen will die CSU vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Wahlrecht klagen.

Könnten aber nicht einfach Kandidatinnen und Kandidaten aus den Parteien austreten, um von der Klausel für unabhängige Kandidaten zu profitieren? Dem schiebe die Ampel einen Riegel vor, stellt Fraktionsvize Müller klar: "Das wird die konkrete Ausgestaltung dann zeigen, wie das dann auch vor Ort bei den Landeswahlleitern gemacht wird. Es ist so, wenn sie eine Person haben, die zehn Jahre in der CSU war, dann austritt und dann neu antritt, dann wird das nicht einfach gestattet. Die werden dann nicht zugelassen."

Politikwissenschaftler sieht keine Nachteile für Parteilose

Auch der Dresdner Politikwissenschaftler Professor Hans Vorländer sieht in dem neuen Wahlrecht keine Benachteiligung der wirklich unabhängigen Kandidaten. Bisher sei es für Einzelkandidaten schon immer schwer gewesen, über die Erststimme in den Bundestag zu kommen.

Insofern ändere sich an der Ausgangslage nichts, meint Vorländer: "Was sich aber deutlich zeigt durch die stärkere Gewichtung des Verhältniswahlaspektes, dass Parteien natürlich ein Privileg haben, weil sie sehr stark über die Liste dann die Kandidatinnen und Kandidaten in den Bundestag schicken."

Für den Leipziger Detlef Kohl hat diese Wahlreform dennoch ein Geschmäckle. Denn bei der ganzen Diskussion über die Wahlrechtsänderung fühlte er die unabhängigen Kandidaten nicht mitgenommen: "Die Kommunikation war bestimmt nicht so gedacht für parteilose Kandidaten, weil die wahrscheinlich auch nicht so auf dem Schirm sind – weder von der Bundesregierung, noch bei der Presse, noch sonst wo. Wir sind doch ein bisschen ein Anhängsel", sagt Kohl.

Zumal mit der Reform für Kohl relevante Benachteiligungen unabhängiger Kandidaten nicht aufgegriffen wurden. So sieht er sich bei der Ausgestaltung der Wahlzettel benachteiligt oder auch beim Wahlkampf selbst, den er im Gegensatz zu Parteien ohne Steuermittel finanzieren muss.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 04. April 2023 | 06:00 Uhr

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