Kommentar Die Ohnmacht der linken Führung

11. Juni 2023, 11:10 Uhr

Der Parteivorstand der Linkspartei hat Sahra Wagenknecht aufgefordert, ihr Bundestagsmandat niederzulegen. Die Vorsitzenden, Janine Wissler und Martin Schirdewan, reagieren damit auf die mögliche Neugründung einer Partei unter der Führung von Wagenknecht. Sie haben auch allen Parteimitgliedern, die mit diesem Gedanken spielen, nahe gelegt, das Mandat der Linkspartei nieder zu legen. Die Parteispitze versucht so einen Schlussstrich unter jahrelange Personalquerelen zu ziehen.

Kristin-Marie Schwietzer
Bildrechte: ARD-Hauptstadtstudio/Reiner Freese

Sarah Wagenknecht hat also keine Zukunft mehr in der Linkspartei. Das ist die Botschaft der Parteispitze. Die Erkenntnis ist nicht neu und dürfte nur wenige überraschen. Überraschend ist nur die Deutlichkeit, mit der die Parteivorsitzenden, Wissler und Schirdewan, klarmachen, dass die Schmerzgrenze aus ihrer Sicht überschritten ist. Es ist der offene Bruch mit einer linken Galionsfigur.

Und es ist der Versuch, die Linkspartei vor einer erneuten Spaltung zu bewahren. Das müssen sie, wenn sie als Partei auf Bundesebene überhaupt noch eine Rolle spielen wollen. Und doch wirkt es wie ein ohnmächtiger Versuch, eine übermächtige Personalie in den Schatten zu stellen. Es geht wohl auch darum, in einem kräftezehrenden Machtkampf die Deutungshoheit zurück zu gewinnen.

 Wagenknecht weiß um Zustimmung in Umfragen

Dabei ist längst klar, dass die Parteispitze längst nicht mehr Herr des Verfahrens ist. Das ist Sahra Wagenknecht. Sie macht die Spielregeln. Mit öffentlichen Andeutungen, ohne es wirklich auszusprechen, zieht Wagenknecht die Linke, bildlich gesprochen, seit Wochen am Nasenring durch die Manege. Weil sie es kann. Weil sie aus Umfragen weiß, wie groß im Moment die Zustimmung für sie wäre, wenn sie mit einer eigenen Partei antreten würde. Der deutliche Zuspruch aus vielen Umfragen für die Neugründung einer Partei gibt ihr Rückenwind. 

 

Doch das Taktieren ist auch für Wagenknechts politische Reputation nicht ungefährlich. Denn mit einer Neugründung müsste sich Wagenknecht des Vorwurfs erwehren, die "Totengräberin" der Linkspartei zu sein. Zudem müsste sie auch in Kauf nehmen, dass ihr eine Wählerschaft folgt, die sich vorher bei der AfD zu Hause gefühlt hat. Eine Wählerschaft, die sie selbst angelockt hat, mit oftmals populistischen Sprüchen, mal gegen die EU, mal gegen die Flüchtlingspolitik der Altkanzlerin, zuletzt gegen die Grünen.

Die Methode Wagenknecht wirkt. Mit der von ihr mitinitiierten Aktion "Manifest für den Frieden" trifft die Linkspolitikerin den Nerv der Bürgerinnen und Bürger, den Wunsch nach mehr Diplomatie im Ukraine-Krieg. Wagenknecht könnte laut Umfragen mit einer eigenen Partei vor allem Linkspartei und AfD Wählerstimmen abringen. 

Das könnte vor allem für die Linke vor der Landtagswahl in Thüringen gefährlich werden. Hier gilt es im nächsten Jahr einen Ministerpräsidenten zu verteidigen. Die Linke verliert seit Jahren an Zustimmung im Osten, wo sie immer stark war. Viele Mitglieder an der Basis fühlen sich zudem von den Entscheidungen in der Parteispitze nicht mehr mitgenommen. Es rumort in der Partei.

Drohgebärde an eigene Basis

Die Antwort der Parteispitze am Sonnabend wirkt verstörend. Wissler und Schirdewan raten denjenigen, die der Linkspartei den Rücken kehren wollen, ihr Mandat besser niederzulegen. Sie nennen es eine Empfehlung. Doch es wirkt vielmehr wie eine Drohgebärde an Teile der eigenen Basis, die die Parteispitze offenbar nicht mehr erreichen kann.

Das ist ein Armutszeugnis für das Management der Parteispitze. Dabei bräuchte es gerade jetzt, wo die AfD in Umfragen zulegt, eine starke Opposition, auch von links. Die Linke muss ihre eigenen Konzepte auf den Prüfstand stellen, wenn sich nicht weiter Stimmen verlieren will.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 10. Juni 2023 | 18:06 Uhr

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