Installation einer Solaranlage auf einem privaten Hausdach 4 min
Audio: Auf insgesamt 1.000 Hektar im Landkreis Mittelsachsen sollen Solaparks entstehen - auch auf den Dächern von privaten Häusern. Bildrechte: IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Gigawatt-Projekt Hoffnung auf Vorbildfunktion von mittelsächsischem Energiewende-Projekt

27. Juli 2024, 13:14 Uhr

Um die Klimaziele zu erreichen, müssten weitaus mehr Windräder und Solaranlagen gebaut werden. Oft scheitert das am Widerstand in den Kommunen. Deshalb sollen diese künftig finanziell beteiligt werden. Doch in einem kleinen Dorf in Sachsen sollen die Bürger noch stärker profitieren - und zwar auch die ohne eigenes Kapital.

Können die Einwohner einer kleinen Gemeinde davon überzeugt werden, dass eine riesige Solaranlage in die Nachbarschaft ihr Heimat gebaut wird – ganz freiwillig? Diese Frage schwebt über dem Gigawatt-Projekt im Landkreis Mittelsachsen. Wenn es funktioniert, könnte es eine Steilvorlage dafür werden, die Klimaziele in Deutschland zu erreichen.

Die Energiewende droht vor allem an zwei Punkten zu scheitern. "Einer ist die mangelnde Bürgerbeteiligung", erklärt der Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, Volker Quaschning MDR AKTUELL. "Wir brauchen innovative Konzepte, um das Tempo zu beschleunigen." Mit einem Gigawatt Strom könnten Hunderttausende Haushalte versorgt werden. Für die Erzeugung braucht es rund 1.000 Hektar im gesamten Landkreis. "Es ist ein wirklich großes Projekt, danach sieht alles anders aus", so Quaschning.

Wir brauchen innovative Konzepte, um das Tempo zu beschleunigen.

Volker Quaschning Professor für Regenerative Energiesysteme

Bier, Burger und ein Angebot

Auf einer Infoveranstaltung hatten sich die Einwohner von Neukirchen dementsprechend skeptisch geäußert. "Es hat Bier, Burger und ein Angebot gegeben. Nun könnten die Menschen erstmal darüber nachdenken", sagte Landrat Dirk Neubauer (parteilos), der das Projekt mitinitiiert hat. Das sei ein ganz guter Anfang gewesen und habe immerhin erstmal die verschränkten Arme entknotet. "Fest steht: Für die Einwohner bedeutet es eine große Veränderung."

Ein "All Electric Dorf" hatte "ansvar2030"-Geschäftsführer Felix Rodenjohann auf der Veranstaltung Anfang Juli in Neukirchen vorgestellt. Laut dem planenden Unternehmen sollen künftig Strom, Wärme und Mobilität jederzeit verfügbar sein. Ein Konzept, was in Neukirchen starten könnte, aber auch auf weitere Ortsteile in Reinsberg oder andere Kommunen im Landkreis übertragbar wäre.

Außerdem könnte es einen günstigen Austausch von alten Heizungen, sowie die Installation von Wärmepumpen und Solaranlagen als eine Art Leasing-Geschäft für die Einwohner geben – oder sogar kostenlos, hieß es von Rodenjohann vor kurzem. Hintergrund ist, dass der Einbau von vielen Anlagen auf einmal am Ende deutlich kostengünstiger sei. Das sollte weitergegeben werden.  

Beim Strom sparen oder Geld verdienen

Ob das mit den Wärmepumpen nun wirklich umgesetzt wird, ist laut Rodenjohann derzeit aber offen, erklärte er MDR AKTUELL. Im Gesamtkonzept könnte der Fernwärmeausbau sinnvoller sein. Die Grundidee, um die Menschen vor Ort zu überzeugen, sei: "Entweder sie sparen beim Strom, oder verdienen durch die Rendite an gekauften Anteilen", so der 37-Jährige.

Konkrete Zahlen kann Rodenjohann derzeit nicht nennen. Wie viele Menschen dabei sein wollen, wisse man frühestens in zwei Monaten. Unklar ist derzeit vor Ort auch noch die zweite große Hürde bei der Energiewende, die Quaschning genannt hat: Wie der Netzanschluss oder die Verwendung des vielen Stroms von statten gehen sollen. Vieles ist in der Schwebe.

Wenn die Bürger nicht zustimmten, dann werde es das Projekt nicht geben, so Landrat Neubauer. Aber: "Ich glaube an die Macht des guten Beispiels." Der Landrat sagte, dass er auch nach seinem gerade verkündeten Rücktritt das Projekt weiter begleiten werde. Er habe viel Herzblut dort hineingesteckt. "Und ich bin ja noch mindestens ein halbes Jahr hier."

Auch Menschen ohne Kapital können profitieren

Das Unternehmen ansvar2030 hat auch angekündigt, dass die Gesellschaft "Landwerke Mittelsachsen" gegründet werden sollen. Darüber soll dann etwa auch die Kommune profitieren in Form von Gewerbesteuern. Bei so einer riesigen Anlage könnte das eine enorme Summe werden.

"Wenn es so umgesetzt wird, wie jetzt dargestellt, kann es ökonomisch interessant sein und so auch die Akzeptanz steigern", sagt Klima-Ökonomin Claudia Kemfert MDR AKTUELL. "Durch diese Art Leasing-Geschäft kann es zu erschwinglichen Preisen ein Rundum-sorglos-Paket geben. Das kann auch gerade für Menschen mit geringerem Einkommen interessant sein", erklärt die Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Für dieses Leasing-Geschäft gebe es in Deutschland inzwischen sogar mehrere Start-ups, die dem hervorragend funktionierenden Beispiel aus England folgen wollen.

Das kann auch gerade für Menschen mit geringerem Einkommen interessant sein.

Claudia Kemfert Klima-Ökonomin

Die Leiterin der Energie-Abteilung am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betont, dass "die geplante Solaranlage ist sehr groß ist". Es könnte die Größte in Deutschland werden. "Die Akzeptanz dafür über einen Bürgerstromtarif zu finden, kann ein Weg sein. Allerdings muss man immer darauf achten, dass die Fläche für ein solches Solar-Großprojekt nicht in Konkurrenz steht – zur Landwirtschaft oder zu anderen wichtigen Flächen."

Kemferts Klima-Podcast 58 min
Bildrechte: MDR / Oliver Betke

Das eine ganze Region zusammen erschlossen und als Bürger-Projekt umgesetzt werden soll, ist der Expertin bislang nicht bekannt. Deshalb: "Ich halte es für interessant, wertvoll und innovativ sowie hoffentlich auch nachahmenswert", so Kemfert.

So schauen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auf das Projekt

Dass die Bürgerbeteiligung ein wesentlicher Punkt ist, um die Klimaziele zu erreichen, ist unstrittig. Sowohl Sachsen, Sachsen-Anhalt als auch Thüringen haben Anfang 2024 jeweils ein Beteiligungsgesetz auf den Weg gebracht, nachdem eine bundesweit einheitliche Regelung nicht zustande kam.

Danach werden in Thüringen wenigstens die Kommunen finanziell vom Bau neuer Windkraftanlagen profitieren. In Sachsen und Sachsen-Anhalt sollen die Kommunen auch Geld bekommen, wenn Solaranlagen einer bestimmten Größe in ihrer Nähe stehen. Sachsen hinkt vor allem beim Ausbau der Windkraft hinterher. Mit der Gesamtleistung aus seinen knapp 900 Anlagen bildet der Freistaat – gemeinsam mit dem Saarland – bundesweit das Schlusslicht.

Der sächsische Umweltminister Wolfram Günther erklärt zum Landwerke-Vorhaben: "Das wäre eine Riesenchance für die Energiewende in Mittelsachsen und wegen der Größe des Vorhabens auch für ganz Sachsen."

Das wäre eine Riesenchance für die Energiewende in Mittelsachsen und wegen der Größe des Vorhabens auch für ganz Sachsen.

Wolfram Günther Umweltminister von Sachsen

MDR AKTUELL hat die Umweltministerien aller drei Länder zum Projekt angefragt, ob das Projekt in Mittelsachsen nachahmenswert sein könnte. Das Ministerium in Thüringen verweist auf das neue Windenergiebeteiligungsgesetz. Das Umweltministerium in Sachsen-Anhalt schreibt, dass das Projekt im Landkreis Mittelsachsen beobachtet werde. Eine Adaption hänge von vielen Faktoren ab. Schriftlich heißt es: "Es ist zu begrüßen, wenn einzelne Kommunen beim Ausbau der Solarenergie vorangehen." Eine gemeinsame Planung werde angeregt, um Potenziale optimal zu nutzen und Erzeugung und Verbrauch aufeinander abzustimmen.

Wie sieht es in anderen Städten aus

Die Städte und Kommunen sind ein sehr wichtiger Teil der Energiewende – denn dort, nahe den Häusern der Menschen, werden am Ende die Anlagen gebaut und dort wird auch der Strom genutzt. So hat etwa Magdeburg beschlossen, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu werden. "Dazu sind vielfältige gesellschaftliche Transformationsprozesse, innovative Ansätze und neue Kooperationen notwendig", schreibt die Stadt auf Anfrage von MDR AKTUELL. Dazu müsste auch die Bevölkerung eingebunden werden, was in der Landeshauptstadt in den vergangenen Jahren immer wieder geschehen sei.

Ein Sprecher der sächsischen Landeshauptstadt Dresden erklärt, dass das Gigawatt-Projekt aus "klimafachlicher Sicht" begrüßenswert sei. Eine Übertragung auf Dresden sei aufgrund der weniger freien Flächen in der Großstadt Dresden schwierig. Hier werde bereits bei einigen Projekten mit einer Bürgergenossenschaft zusammengearbeitet.

Die Stadt Erfurt hat nicht auf die Anfrage geantwortet. MDR AKTUELL hatte insgesamt neun große Städte in Mitteldeutschland angeschrieben. Die Stadt Jena erklärte: "Es braucht derartige Vorreiter-Projekte in Deutschland, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben und klimaschädliche fossile Energieträger abzulösen." Allerdings seien die genauen Planungen für Neukirchen nicht bekannt.

Nur so entsteht eine Win-Win-Situation. Nur so wird die Energiewende gelingen.

Sprecherin der Stadt Jena

Jena müsse aber ohnehin einen eigenen Weg zur Erreichung der selbstgesteckten Klimaziele beschreiten, da die Voraussetzungen gänzlich anders seien. Fest stehe, dass die Ortsteile, in denen künftig Erneuerbare-Energien-Projekte umgesetzt würden, auch angemessen finanziell am Gewinn beteiligt werden sollten. "Nur so entsteht eine Win-Win-Situation. Nur so wird die Energiewende gelingen. Die Herangehensweise im Landkreis Mittelsachsen finden wir spannend und richtig."

Skepsis vor Ort auch auf politischer Ebene

Doch vor Ort – im Landkreis Mittelsachsen – gibt es auch Kritik am Gigawatt-Projekt. Es handele sich dabei um kein offizielles Projekt des Landkreises, erklärte der Vorsitzende der größten Fraktion im Kreistag, Jörg Woidnoik von der CDU/RBV-Fraktion. "Bislang gibt es dazu nicht einmal eine Ankündigung im Kreistag. Wir kennen alles nur aus der Zeitung."

Auch wenn Woidniok laut eigener Aussage ein Freund der Erneuerbaren Energien ist und etwa bereits 2007 in seinem Privathaus eine Wärmepumpe verbaut hat, kritisiert er Landrat Neubauer und das Projekt als zu groß. "Warum nicht erst einmal kleiner anfangen und mit einer Landkreis-Immobilie?", fragt er. Wenn das funktioniere, dann könne man es ausweiten.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 27. Juli 2024 | 09:00 Uhr

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