Finanzierungslücke Psychotherapie: "Wir laufen in einen Versorgungsengpass hinein"
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18. Juli 2024, 09:36 Uhr
Es gibt zu wenige Psychotherapeuten in Deutschland. Am Nachwuchs mangelt es dabei aber nicht. Jedes Jahr verlassen tausende Absolventen die Unis, um die nötige Weiterbildung anzutreten. Aktuell gibt es für die aber keine Finanzierung. Durch eine Reform sollte alles besser werden – entstanden sind viele Fragezeichen und große Sorgen.
- Viele Psychologie-Absolventen müssen auf einen Weiterbildungsplatz warten, weil die Finanzierung nicht geregelt ist.
- Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert, dass die Krankenkassen für die Finanzierung aufkommen.
- Es besteht die Gefahr, dass es bald keinen ausgebildeten Nachwuchs mehr gibt.
Wenn man in Deutschland Psychotherapeutin oder Psychotherapeut werden will, musste man bislang tief in die Tasche greifen. Für die Weiterbildung nach der Uni wird ein höherer fünfstelliger Betrag fällig.
Felix Kiunke kennt sich damit aus. Er hat in Kassel klinische Psychologie und Psychotherapie studiert. Ein Studiengang, der kombiniert mit einer angepassten Ausbildung aus einer Reform des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn hervorgegangen war. "Bisher ist die Ausbildung wahnsinnig teuer und schlecht bezahlt. Das soll in der neuen Weiterbildung anders werden. Die soll anders und besser bezahlt werden und man ist in einem gesicherten Anstellungsverhältnis. Auch das war bisher nicht gegeben." Soll – es passiert aber noch nicht, jedenfalls nur ziemlich selten.
Kiunke schätzt, dass es bundesweit derzeit nur eine niedrige zweistellige Zahl an Stellen gibt, die eine solche Weiterbildung überhaupt anbieten. Er jedenfalls hat noch keine ergattern können.
Bis es so weit ist, hält er sich mit einem Bürojob über Wasser: "Diese Weiterbildung kostet natürlich Geld und muss finanziert werden. Und diese Finanzierung ist im Moment nicht geregelt, sodass die potenziellen Weiterbildungsstätten, das de facto nicht tun können, weil die dafür keine gesicherte Finanzierung haben."
Appell an die Krankenkassen
Kiunke hat deswegen am ganz großen Rad gedreht. Er hat eine Petition gestartet und in den Bundestag gebracht. "Mit 72.000 Unterschriften war die auch sehr erfolgreich. Dann gab es eine Anhörung im Petitionsausschuss und der hat unsere Petition an die Bundesregierung überwiesen mit der Bitte, tätig zu werden. Bisher ist da noch nicht so viel passiert, aber wir hoffen, dass da bald Regelungen kommen."
Das müsste im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz geregelt werden. Im Entwurf, der schon in erster Lesung im Bundestag behandelt wurde, steht dazu aber nichts.
Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer, baut darauf, dass das noch passiert: "Da wird sicherlich noch einiges gedreht werden an diesem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Aber die Frage ist in der Tat – weil sich viele Dinge noch ändern sollen laut den Parlamentarierinnen und Parlamentariern – wie weit wir mit unseren Forderungen landen können."
Beneckes zentrale Forderung richtet sich an die Krankenkassen. Die müssten für die Finanzierung aufkommen. Notfalls auch der Steuerzahler.
Kein Nachwuchs an Psychotherapeuten
Im Sinne der jährlich mehr als 2.500 Absolventen müsse aber schnell etwas passieren, sagt Benecke: "Die, die vor 2020 das Studium angefangen haben, die konnten noch mit dem neuen Abschluss in die alte Ausbildung gehen und selbst bezahlen. Aber alle die, die ab 2020 das Studium angefangen haben, denen ist dieser Weg versperrt. Denen bleibt nur der Weg in die Weiterbildung. Und wenn es da keine Stellen gibt, dann ist die Frage, was diese Menschen machen."
Ändere sich nichts an der Finanzierung, werde Deutschland in einen Versorgungsengpass hineinlaufen. Und es werde keinen Nachwuchs an Psychotherapeuten geben.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 18. Juli 2024 | 06:11 Uhr