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Weniger als die Hälfte der Führungskräfte in Ministerien, Landesbehörden und der Justiz stammt aus Ostdeutschland. (Symbolbild) Bildrechte: MDR/dpa

Ministerien und Justiz Nicht mal jede zweite Führungskraft stammt aus dem Osten

19. Juni 2023, 21:18 Uhr

Weniger als die Hälfte aller leitenden Positionen in den Ministerien, Landesämtern und der Justiz ist in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Ostdeutschen besetzt. Das zeigt eine aktuelle Erhebung von MDR Data. Die ostdeutschen Regierungsschefs wollen das Thema bei ihrem Treffen mit Kanzler Scholz und dem Ostbeauftragten Schneider am 22. Juni in Chemnitz besprechen.

Schriftzug "MDR DATA"
Bildrechte: MDR/Paul Senftleben

Nicht einmal jede zweite Führungskraft in den Ministerien, Landesbehörden und der Justiz in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen stammt aus Ostdeutschland. Das zeigt eine aktuelle Erhebung von MDR Data. Demnach sind 47,7 Prozent aller Führungskräfte in den Ministerien, den Landesbehörden und der Justiz Mitteldeutschlands in den ostdeutschen Bundesländern geboren.

Ostdeutsche in nur wenigen Ministerien die Mehrheit

In Sachsen-Anhalt sind 47,5 Prozent der Führungskräfte in den Ministerien und nachgeordneten Behörden in den neuen Bundesländern geboren, 48,7 Prozent in den alten Bundesländern und 3,2 Prozent in Berlin.

In Sachsen schneiden die Ministerien und nachgeordneten Behörden hinsichtlich der Ost-Quote knapp besser ab. Hier sind 52,1 Prozent in den ostdeutschen, 44,1 Prozent in den westdeutschen Bundesländern und 2,5 Prozent in Berlin geboren.

In Thüringen können die Ministerien nicht getrennt von der Justiz betrachtet werden. Die Staatskanzlei hat die Zahlen aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken nicht weiter aufgeschlüsselt. Insgesamt stammen dort 49,1 Prozent aller Führungskräfte in den Ministerien, den nachgeordneten Behörden und der Justiz aus den neuen Bundesländern, 46,9 Prozent aus den alten Bundesländern und 3,5 Prozent aus Berlin.

"Es ist irritierend, dass in einem ostdeutschen Bundesland doch so viele Positionen, die Entscheidungen über das Land treffen, nicht von Ostdeutschen besetzt werden", kommentierte der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), die Ergebnisse im März beim MDR. Erst vor kurzem hatte er selbst eine Studie in Auftrag gegeben und war aufgrund der Ergebnisse zu dem Schluss gekommen, dass es in den deutschen Bundesbehörden zu wenige ostdeutsche Führungskräfte gibt. Nur 7,4 Prozent aller Führungskräfte in den untersuchten Bundesbehörden, Verfassungsorganen und Bundesgerichten sind demnach in den ostdeutschen Bundesländern geboren worden (mit Berlin: 13,9 Prozent).

Das ist Gift für die Demokratie und die Akzeptanz unseres Rechtsstaates.

Carsten Schneider (SPD) Ostbeauftragter der Bundesregierung

Nicht nur auf Bundesebene, sondern vor allem in Ostdeutschland selbst sei diese Unterrepräsentanz ein Problem. Für Bürgerinnen und Bürger in ostdeutschen Bundesländern fühle es sich so an, als sei ihr Land "fremdregiert". Das hört Schneider eigenen Angaben zufolge immer wieder. "Das ist Gift für die Demokratie und die Akzeptanz unseres Rechtsstaates und das muss sich dringend und ziemlich schnell ändern", so Schneider im Gespräch mit dem MDR im März.

Wer ist ostdeutsch?

Als Ostdeutscher gilt, wer in den ostdeutschen Bundesländern, also in Brandenburg, Berlin, Mecklenburg­Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen geboren wurde. Der Geburtsort Berlin wurde separat dargestellt, da dort die Zuordnung zu Ost- bzw. Westdeutschland nicht eindeutig möglich ist. Die Definition richtet sich nach dem Vorbild der Studie des Ostbeauftragten der Bundesregierung.

Der Mangel Ostdeutscher in Führungspositionen habe unter anderem historische Gründe, erklärt Holger Lengfeld, Professor für Soziologie an der Universität Leipzig. Nach der Wende seien alle Führungskräfte im öffentlichen Dienst der DDR entlassen worden. "Man brauchte Leute, die sich mit dem Regelsystem der Bundesrepublik Deutschland auskannten. Das konnten nur Westdeutsche sein".

Für im Westen bereits etablierte Führungskräfte sei es unattraktiv gewesen, nach Ostdeutschland zu ziehen. Deshalb seien vor allem sehr junge Leute angeworben worden, die noch heute vor ihrer Rente stünden und so immer noch die jeweilige Position blockierten.

Mehr Ostdeutsche auf unteren Hierarchieebenen

Im Zuge der Erhebung hat MDR Data in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen jeweils erfragt, wie viele der Minister, Staatssekretäre, Abteilungs- und Referatsleitungen und Leitungen der nachgeordneten Behörden in den ostdeutschen Bundesländern geboren wurden.

Führungskräfte aus Ostdeutschland arbeiten besonders selten in den Abteilungsleitungen der Länder. Die niedriger gestellten Referatsleitungen werden hingegen häufiger mit Ostdeutschen besetzt. Am größten ist der Anteil Ostdeutscher jedoch in allen drei Ländern bei den Ministern und Staatssekretären.

"Je weiter Sie in der Hierarchie runtergehen, desto größer ist der Anteil der Ostdeutschen", bestätigt Lengfeld. Das sei bereits Ergebnis mehrerer Studien gewesen und habe mit den Unterschieden im Bildungssystem zwischen Ost und West zu tun. In Ostdeutschland schließen weniger Menschen Abitur und Studium ab, so der Soziologe.

Der Pool an Personen, die für Führungspositionen in Frage kommen, ist in Ostdeutschland geringer.

Holger Lengfeld Professor für Soziologe

Für bestimmte Positionen reiche zwar eine Ausbildung und ein interner Aufstieg. Vor allem für höhere Führungspositionen seien Abitur und Studium jedoch oft Voraussetzung. "Der Pool an Personen, die auch in Zukunft für Führungspositionen in Frage kommen, ist in Ostdeutschland geringer als in Westdeutschland", folgert Lengfeld.

Ein Sonderfall seien die Top-Posten der Minister und Staatssekretäre. Da werde wegen der Repräsentationsfunktion auf eine höhere Quote geachtet. Und dort gebe es, bis auf verbeamtete Staatssekretäre, keine Dauerposten. "Der Wahlmechanismus sorgt permanent für einen potenziellen Austausch der Eliten", so Lengfeld.

Dr. Katrin Leonhardt ist in Ostdeutschland geboren. Als Vorstandsvorsitzende der Sächsischen Aufbaubank und ehemalige Direktorin der KfW Bankengruppe in Frankfurt/Main ist sie in Ost und West erfolgreich. Mit 28 Jahren war sie als ostdeutsche Frau die jüngste Referatsleiterin in einer Staatsregierung und vertritt im Interview mit MDR Sachsen deshalb die These: "Es fängt bei einem selber an, indem man sich fragt: Möchte ich meinen Hut in den Ring werfen? Möchte ich den beruflichen Aufstieg wagen und bin ich bereit, mich darauf vorzubereiten und mich zu engagieren, auch mal die extra Meile zu gehen?". Manche Menschen brauchen ihrer Meinung nach höchstens einen Anstupser, um sich eine Führungsrolle zuzutrauen.

In der Justiz liegt die Ost-Quote bei 12 Prozent

Noch drastischer als in den Ministerien ist der Unterschied zwischen ost- und westdeutscher Herkunft in der Justiz. In Sachsen-Anhalt stammen nur zwei der 17 Führungskräfte (11,8 Prozent) gebürtig aus Ostdeutschland. In Sachsen sind es drei von 46 (6,5 Prozent). Die Thüringer Staatskanzlei hat aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken keine separaten Zahlen zur Justiz zur Verfügung gestellt.

Führungskräfte sind hier die Präsidenten und Leiter der obersten Landesgerichte, der Landgerichte, der Staatsanwaltschaften, der Amts-, Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichte.

Bei Juristen sei der historische Hintergrund noch wichtiger als in anderen Bereichen, sagte Michael Steenbuck, Pressesprecher des Landgerichts Stendal, im März zu MDR Data. Nach der Wiedervereinigung habe man Personal gebraucht, das mit dem bundesdeutschen Rechtssystem vertraut gewesen und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingestanden sei. "Bei vielen Juristen, die sich im Staatsdienst der DDR befanden, war dies nicht gewährleistet".

Deshalb sei es gut und nötig gewesen, dass viele Posten zunächst mit Personen aus den westdeutschen Bundesländern besetzt worden sind. Steenbuck geht davon aus, dass schon bald, wenn eine neue Generation an Juristen die Führungsriege besetzt, Ostdeutsche in der Überzahl sein werden.

Zu spät für eine Ost-Quote

Derselben Meinung ist Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD). "Ich bin mir sicher, dass das Problem, über das wir heute reden, sich in 20 Jahren erledigt haben wird", sagte er im März im Streitgespräch bei MDR SACHSEN-ANHALT. Willingmann ist der Ansicht, eine Quotenregelung käme zu spät. Die hätte es direkt nach der Wiedervereinigung gebraucht. Für die Nachwende-Generation spiele die Herkunft aus Ost oder West vielleicht keine Rolle mehr.

Dr. Katrin Leonhardt ist überrascht, dass es immer noch einen Unterschied gemacht, ob man in Ost- oder Westdeutschland geboren ist. "Ich finde, dass wir stärker das Miteinander verbinden und Ost wie West aufeinander zugehen sollten. Jeder hat seine Herkunft, unterschiedliche Erfahrungen auf seinem persönlichen und Bildungsweg und seine Sicht und Perspektiven."

Gegen eine Ost-Quote ist auch der Ostbeauftragte Carsten Schneider. Seiner Meinung nach braucht es mehr Sensibilität und mehr politisches Handeln. Ostdeutsche sollten demnach bei der Besetzung von Führungspositionen vielmehr gezielt unterstützt, ermutigt, befähigt und gefördert werden. Denn sonst könne es passieren, dass die nächste Generation von Eliten wieder genauso besetzt werde wie zuvor.

Mehr zum Thema: Ost/West

MDR (Katharina Forstmair, Kathrin König, Lucas Riemer, Lars Frohmüller) | Zuerst veröffentlicht im März 2023

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 20. Juni 2023 | 16:00 Uhr

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