Ostdeutsche Führungskräfte Debatte: "Ich glaube, die Ost-Quote kommt zu spät"
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19. März 2023, 11:00 Uhr
Nicht einmal jede zweite Führungskraft in Sachsen-Anhalts Ministerien kommt aus Ostdeutschland. Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD), geboren in Westdeutschland, und Staatssekretär Sven Haller (FDP), geboren in Ostdeutschland, diskutieren über Ursachen des West-Ost-Gefälles und sagen, warum sie eine Quotenregelung für keine Lösung halten.
Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung stammt nicht einmal jede zweite Führungskraft in Sachsen-Anhalts Ministerien gebürtig aus Ostdeutschland. Das zeigt eine Erhebung von MDR Data. Demnach beträgt der Anteil ostdeutscher Führungskräfte lediglich in vier von neun Ministerien des Landes mindestens 50 Prozent.
Warum Westdeutsche in Führungspositionen noch immer überrepräsentiert sind, welche Folgen das hat und welche politischen Konsequenzen sie daraus ziehen würden – darüber diskutierten im Funkhaus von MDR SACHSEN-ANHALT zwei Landespolitiker mit besonderer Ost-West-Biografie: Armin Willingmann (SPD), Wissenschaftsminister und gebürtiger Westdeutscher, und Sven Haller (FDP), Staatssekretär im Infrastrukturministerium und geboren in Ostdeutschland.
Während Willingmann seit mehr als 20 Jahren in Sachsen-Anhalt lebt, ist Haller erst seit anderthalb Jahren zurück in Magdeburg, wo er einst studierte. Zwischenzeitlich arbeitete er zehn Jahre in Hamburg.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Willingmann, Sie sind gebürtiger Westdeutscher. Ist es für Sie leichter gewesen, eine Laufbahn im Osten einzuschlagen?
Armin Willingmann: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich diese Laufbahn im Westen nicht eingeschlagen habe. Ich bin 1992 nach Ostdeutschland gekommen, seinerzeit nach Rostock, und zwar als Rechtsreferendar. Im Anschluss habe ich an der Universität in Rostock gearbeitet bis 1999. Seit 1999 arbeite ich in Sachsen-Anhalt, seit 2003 leben wir mit der Familie hier. Also ein ganzes Berufsleben, über 30 Jahre in Ostdeutschland. Ich kann deshalb nicht sagen, ob es leichter war. Es war jedenfalls meine sehr bewusste Entscheidung, hierhin zu gehen und mich beruflich hier zu entwickeln.
Fühlen Sie sich als "Wossi" oder schon als Ossi?
Willingmann: Wenn man mehr als die Hälfte des Lebens hier verbracht hat, dann fühlt man nicht mehr West oder Ost, sondern dann ist man angekommen. Insofern gibt es eine sehr hohe Identifikation mit meinem Wohnort und mit dem Land, in dem ich lebe und auch arbeiten darf.
Zur Person: Armin Willingmann (SPD)
Armin Willingmann wurde 1963 in Dinslaken in Nordrhein-Westfalen geboren. Er promovierte 1998 an der Universität Rostock und kam 1999 als Professor für Wirtschaftsrecht an die Hochschule Harz. Von 2003 bis 2016 war er deren Rektor.
Von 2016 bis 2021 war er Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt. Seit 2021 ist Willingmann Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt sowie erster stellvertretender Ministerpräsident.
Zur Person: Sven Haller (FDP)
Sven Haller wurde 1980 in Wismar geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ab 2011 arbeitete er als wissenschaftlicher Referent für die FDP-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, 2015 wurde er Geschäftsführer der Fraktion.
Seit 2021 ist Haller Staatssekretär im Ministerium für Infrastruktur und Digitales des Landes Sachsen-Anhalt.
Herr Haller, Sie sind schon lange in Sachsen-Anhalt verwurzelt, aber zwischendurch zehn Jahre in Hamburg tätig gewesen. Wie ist das, wenn man hier sozialisiert ist und dann den Sprung über die ehemalige Grenze macht?
Sven Haller: So groß war der Sprung nicht, von Magdeburg an der Elbe nach Hamburg an der Elbe. Ich habe nie in Himmelsrichtungen gedacht. Für mich ist meine Ostherkunft weder förderlich noch hinderlich gewesen. Ich identifiziere mich mit meiner Heimat, das tut glaube ich jeder. Und wenn man lange genug an einem Ort lebt, wird der Ort irgendwann zur Heimat. Diese Sichtweise Ossi/Wessi ist mir zu einfach gestrickt, um daraus etwas abzuleiten.
Haben Sie das Gefühl, Herr Willingmann hatte es einfacher?
Haller: Ich glaube nicht, dass es einfach oder schwer gibt. Bei mir hat es in Hamburg keine Rolle gespielt, ob ich aus dem Osten oder Westen komme. Ich bin in Mecklenburg-Vorpommern groß geworden, habe in Sachsen-Anhalt studiert, meine Eltern haben sich in Sachsen-Anhalt kennengelernt und hier studiert. Insofern spielten Himmelsrichtungen für mich nie eine Rolle. Jeder bestreitet seinen Lebensweg, und jeder hat da individuelle Herausforderungen.
Jemand, der die Wendezeit miterlebt hat, weiß, was Strukturwandel und gesellschaftliche Veränderung bedeutet.
Willingmann: Ich hatte das große Glück, zu einem Zeitpunkt zu kommen, an dem eine große Aufbruchsstimmung da war. Und ich hatte den Eindruck, dort, wo ich gearbeitet habe – das war im Wesentlichen an der Universität Rostock –, spielte das Thema Ost/West damals keine Rolle. Was auch daran liegen mag, dass die Universität eine Neugründung war und man komplett mit neuem Personal gearbeitet hat.
Wobei man der Ehrlichkeit halber sagen muss: Es waren sehr viele Westdeutsche seinerzeit, was ein Stück weit am Rechtssystem lag, das neu vermittelt werden sollte und für das zunächst kein ostdeutsches Personal zur Verfügung stand. Aber ich glaube, damals spielte das nur eine sehr untergeordnete Rolle. Entscheidend war der Aufbruch. Insofern stimme ich Herrn Haller zu: Da hat niemand in Himmelsrichtungen gedacht.
Haller: Jemand, der die Wendezeit miterlebt hat, unabhängig, ob er im Osten geboren oder aus dem Westen zu uns gekommen ist, der weiß, was Strukturwandel und gesellschaftliche Veränderung bedeutet. Diese Erfahrung ist ein großer Schatz, den wir hier haben. Unabhängig davon, wo wir herkommen. Das sind Erfahrungen, die wir gesammelt haben, die uns jetzt helfen werden. Gerade mit Blick auf den Kohleausstieg und den bevorstehenden Strukturwandel im Süden von Sachsen-Anhalt.
Diese Erfahrungen spiegeln sich nicht überall in den Landesministerien wider. Im Durchschnitt sind weniger als 50 Prozent der Führungskräfte in Ostdeutschland geboren. Herr Willingmann, bei Ihnen im Haus sind es nur 41,5 Prozent. Ist das ein Trend, der sich da abzeichnet?
Willingmann: Das weiß ich nicht. Sie müssen beachten, dass die Besetzung der Posten über einen langen Zeitraum stattgefunden hat und der Einfluss darauf ein relativ geringer ist. Und ich würde zu unserer Entlastung sagen, wenn man den Leitungsbereich anschaut, da ist fast nur der Chef westdeutsch, und schon meine beiden Staatssekretäre haben eine ostdeutsche Herkunft. Der übrige Leitungsstab ist gut durchmischt. Ich kann nicht im Einzelnen erklären, warum es zu dieser Aufteilung gekommen ist, aber es spielt auch eigentlich keine Rolle mehr.
Ich bin mir sicher, dass das Problem, über das wir heute reden, sich in 20 Jahren erledigt haben wird.
Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es nicht so wichtig, wo die Leute herkommen. Es ist vor allem wichtig, dass sie sich vertraut gemacht haben mit der Thematik und dass sie die unterschiedlichen Lebenserfahrungen, die sie gemacht haben, einbringen. Es wäre fatal, wenn man eine noch größere Spreizung hätte, einen noch größeren westdeutschen Anteil, weil uns dann die ostdeutschen Erfahrungsmomente fehlen würden. Aber ich halte sie hier noch für gewahrt, und sie nimmt ja zu. Ich bin mir sicher, dass das Problem, über das wir heute reden, sich in 20 Jahren erledigt haben wird. Und das ist auch gut so.
Experten sagen, das Problem sei hausgemacht. Weil eine westdeutsche Führungsriege westdeutsches Personal nach sich ziehe, weil es Netzwerke und Verbindungen gebe, weil man sich kenne und Empfehlungen ausspreche. Glauben Sie, dass es einen grundlegenden Wandel geben muss, damit solche Netzwerke in den Hintergrund treten und Kompetenzen in den Vordergrund rücken?
Willingmann: Ich glaube, dass so etwas eine Rolle spielt. Aber das ist auch eine sehr individuelle Geschichte. Heute schauen wir: Wer ist qualifiziert und wen möchte man gewinnen? Da spielt die Herkunft wirklich keine Rolle mehr. Das, was Sie beschreiben, habe ich sehr wohl erlebt. Das ist typisch für die 1990er Jahre gewesen. Damals, als sehr viele Stellen in den Ministerien und in der Verwaltung aus Westdeutschland besetzt wurden, hat man für die nächsten Jahrzehnte besetzt.
Das hatte einen sehr unschönen Effekt: Wir haben zu meiner Zeit an der Uni Rostock Ende der 1990er Jahre die Erfahrung gemacht, als die ersten eigenen Absolventen da waren, Juristinnen und Juristen, die von dort kamen, dass die nicht mehr eingestellt werden konnten, weil fast alle Stellen besetzt waren. Das ist eine sehr missliche Geschichte und da muss man tatsächlich etwas dran ändern. Aber das ergibt sich jetzt. Ich sage nochmal: In den nächsten 20 Jahren wird sich dieses Thema erledigen.
Im Digitalministerium sieht die Ost-Quote mit immerhin 54 Prozent deutlich besser aus. Herr Haller, was können Sie Ihrem Kollegen raten, wie man das besser machen kann?
Haller: Ich gehe davon aus, dass die Struktur aus den 1990er Jahren, die Herr Willingmann auch beschrieben hat, langsam rauswächst. Das sehen wir bei uns im Ministerium etwas früher als vielleicht in anderen. Das zeigt, in welche Richtung es geht. Ich kann nur jeden ermutigen, sich die Stellenausschreibungen anzuschauen. Wir schreiben viele attraktive Stellen aus, weil es jetzt zu diesem Generationenwechsel kommt. Ich freue mich über jede Bewerbung aus Sachsen-Anhalt, aus den neuen Bundesländern, für die spannende Aufgabe, dieses Land mitzugestalten.
Und diese Möglichkeit besteht jetzt wieder. Sie bestand über viele Jahre nicht. Das ist eine Chance für die Absolventen der beiden Universitäten und der Hochschulen hier im Land, aber auch für Rückkehrer, wie zum Beispiel ich einer bin. Und so hoffen wir, dass wir neue Kolleginnen und Kollegen gewinnen, die auch schon eine gewisse Erfahrung in den neuen Ländern gesammelt haben und vielleicht auch eine Ost-Biografie haben.
Brauchen wir eine Ost-Quote?
Willingmann: Ich glaube, dass eine Ost-Quote zu spät kommt. Wir hätten sie durchaus gebraucht in den ersten zehn oder 15 Jahren nach der Wiedervereinigung, auch, um ein Stück weit eine Befriedungsfunktion auszuüben. Jetzt ist es sehr spät dafür. Wer ist denn ostdeutsch? Diese Frage würde man dann ja beantworten müssen. Jetzt haben wir eine Generation, die nach der Wende geboren ist, die nach der Wende ins Berufsleben eingestiegen ist. Spielt da die Herkunft eine Rolle? Ich finde das definitorisch schon schwierig.
Wir brauchen eine vernünftige Mixtur aus Ost- und Westdeutschen. Aber ich glaube eben, in 20 Jahren wird sich dieses Thema erledigt haben, weil die Menschen nicht mehr in Himmelsrichtungen denken und nicht mehr unterscheiden. Ich halte persönlich nichts von einer Quote. Ich halte es für richtig, angesichts der Tatsache, dass wir bei uns im Land hervorragend ausbilden, die bei uns Ausgebildeten für uns zu gewinnen. Dann ist die Herkunft ehrlich gesagt nicht entscheidend.
Haller: Als Liberale sind für uns Leistung, Eignung und Befähigung Voraussetzungen, die sind im Grundgesetz verankert für den Zugang zu öffentlichen Ämtern, da kann man nicht dran rütteln. Ich glaube, dass sich etwas verändert. Das zeigt ja auch die Entwicklung bei uns im Ministerium, dass wir schon mehr als 50 Prozent aller Führungskräfte mit einer ostdeutschen Biografie haben. Wir sind da auf einem guten Weg, gerade die Fachkräfte aus der Heimat zu gewinnen, die erforderlich sind. Aber es muss darum gehen, die besten Köpfe für unser Land zu gewinnen, unabhängig davon, aus welcher Himmelsrichtung sie kommen.
Was wäre denn Ihr Ansatz, wie man die Zahl der Führungskräfte aus Ost und West paritätischer bekommen könnte?
Willingmann: Ich glaube, dass es sich ganz normal weiterentwickeln wird, was die paritätische Besetzung betrifft. Und zwar genau nach den gerade genannten Kriterien: Leistung, Eignung, Befähigung. Auch 30 Jahre nach der Wende brauchen wir Menschen, die eine Ost-Biografie haben, wir brauchen aber ebenso die Expertise, die Menschen von außerhalb mitbringen.
Ich halte das übrigens in einer Gesellschaft für ausgesprochen wichtig, dass sie gut durchmischt ist, das bezieht sich nicht nur auf Fachkräfte aus West- und Ostdeutschland, sondern auch auf die aus dem internationalen Rahmen. Auch da hat Sachsen-Anhalt noch einen reichen Nachholbedarf, was ausländische Fachkräfte betrifft.
Herr Haller, müssen wir mehr Lokalparitäten schaffen statt Ost-West-Paritäten?
Haller: Nein, das würde der Sache nicht dienlich sein, weil wir dann mehr auf irgendwelche Regionalproporze gucken würden als darauf, gute Ergebnisse im Sinne des Landes zu erzielen. Wenn man nur aus dem eigenen Bereich neue Kollegen akquiriert und sich nicht nach außen öffnet, dann bleibt man immer unter sich und vernachlässigt den Austausch und andere Blickwinkel. Deshalb ist es ganz wichtig, da eine gesunde Mischung zu haben.
Die Fragen stellte Lars Frohmüller.
MDR (Lucas Riemer, Lars Frohmüller)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. März 2023 | 19:00 Uhr
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