Expertenmeinung Kaum Ostdeutsche an der Spitze: Abiturquote nicht alleiniger Grund

22. Juni 2023, 12:47 Uhr

In Spitzenpositionen sind Ostdeutsche unterrepräsentiert. Aus Sicht des Leipziger Soziologen Holger Lengfeld ist die geringere Abiturquote dafür der Hauptgrund. Andere Forscher widersprechen ihm und führen vor allem an, dass es Ostdeutschen an Netzwerken fehle. Große Unternehmen befinden sich zudem selten in Ostdeutschland.

Wenn im Osten weniger Abitur machen, kommen eben auch weniger oben an. Klingt logisch. Aber ist die sogenannte Abiturientenquote hierzulande tatsächlich niedriger?

Ja, bestätigt Martin Schulze, Statistiker bei der Kultusministerkonferenz: "Wenn man sich die Quote der Absolvierenden mit Hochschulreife als Anteil an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung für das Jahr 2021 betrachtet, dann sieht man in der Tat beispielsweise in Sachsen, dass die Quote mit 38,1 Prozent leicht unter dem deutschen Durchschnittswert von 39,8 Prozent liegt."

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In Thüringen liegt der Wert ebenfalls darunter. Noch deutlicher ist der Abstand in Sachsen-Anhalt. Kann das also erklären, warum es weniger Ostdeutsche bis ganz nach oben schaffen?

Experte: Abitur reicht als Erklärung nicht aus

Marcel Helbig vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe hält das Abitur nicht für das entscheidende Kriterium. "Die Elite speist sich aus einer sehr kleinen Gruppe und da ist das Abitur natürlich eine Grundvoraussetzung, aber es ist im Endeffekt wirklich viel mehr, was da eine Rolle spielt: die Netzwerke der Eltern, vielleicht sogar auch die Vermögen, die in der vorhergehenden Generation angehäuft wurden." Es gebe plausible Erklärungsansätze, aber wirklich gut ist das Phänomen aus seiner Sicht bis heute nicht untersucht.

Forscher: Große Unternehmen nicht im Osten

Vielleicht hilft da die Arbeit von Lars Vogel. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Leipzig ist am sogenannten Elitenmonitor beteiligt, bei dem Daten von rund 2.800 Spitzenpositionen ausgewertet werden. Auch aus seiner Sicht kann der Faktor Abitur allein nicht erklären, warum Ostdeutsche in Führungspositionen unterrepräsentiert sind.

Ein Grund: "Wenn Sie zum Bespiel anschauen, dass die großen Unternehmen sich nicht in Ostdeutschland befinden, dann spielt das sicher eine Rolle. Man kann nicht alles durch Mobilität ausgleichen und für manche Positionen in Bereichen, die eine regionale Anbindung erfordern, muss man auch eine gewisse Zeit vor Ort gelebt haben."

Und sich auf ein Netzwerk vor Ort verlassen können. Vogel spricht außerdem von einem selbstverstärkenden Faktor. "Diese Wirkung, dass sich das aufrecht erhält, diese Schieflage in der Elitenrekrutierung, die verstärkt sich dadurch selbst, dass man schweren Zugang zu diesen Netzwerken hat."

Thüringen: Größere Sorge ist Fachkräftemangel

Ein Netzwerk ist auch für Ute Zacharias, Sprecherin des Allgemeinen Arbeitgeberverbands Thüringen, wichtiger als die Abiturientenquote. Die Thüringer Wirtschaft habe aber gerade eine andere Sorge, den Fachkräftemangel: "Da geht es vorrangig darum, eine geeignete Person zu finden, die die Position besetzen kann."

Egal woher, wenn sie aus Ostdeutschland komme, aber umso besser. 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 22. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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