Mit Unterstützung der AfD Asylpläne der Union bekommen Mehrheit im Bundestag
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30. Januar 2025, 07:37 Uhr
Ein von der AfD unterstützter Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik ist im Bundestag angenommen worden. In dem Fünf-Punkte-Plan verlangen CDU/CSU unter anderem die umfassende Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor gesagt, die angestrebten Maßnahmen verstießen gegen die Verfassung und europäisches Recht. Es sei zudem ein schwerer Fehler, dass CDU-Kanzlerkandidat Merz auf Stimmen der AfD setze.
- Die oppositionelle Unionsfraktion hat für ihre Forderungen nach einer drastischen Verschärfung der Asylpolitik eine Mehrheit im Bundestag erhalten.
- Vor der Abstimmung zu strengeren Asylregelungen hat Kanzler Scholz scharfe Kritik an Unions-Kanzlerkandidat Merz geübt, Unterstützung der AfD in Kauf zu nehmen.
- Am Freitag stimmt der Bundestag über ein Gesetz zum Thema Asyl ab.
Der Bundestag hat einem Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik mit knapper Mehrheit zugestimmt. In namentlicher Abstimmung votierten am Mittwoch 187 Abgeordnete von CDU/CSU, 75 AfD-Abgeordnete, 80 Angehörige der FDP-Fraktion sowie 6 fraktionslose Abgeordnete dafür, was die nötige Mehrheit von 348 Stimmen ergab. 344 Abgeordnete stimmten dagegen, 10 Abgeordnete enthielten sich.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuvor davor gewarnt, Anträge mit Stimmen der AfD durchzubringen. SPD, Grüne und Linke hatten den Vorstoß der Union im Vorfeld bereits abgelehnt. Ohne Stimmen der AfD wäre keine Mehrheit möglich gewesen.
Bundestag stimmt für Zurückweisung an deutschen Grenzen
In dem Antrag hatte sich die Union für dauerhafte Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen ausgesprochen – auch für Schutzsuchende. Gefordert wurden zudem ein faktisches Einreiseverbot für Menschen ohne gültige Papiere sowie Abschiebehaft für Ausreisepflichtige und mehr Abschiebungen. Eine direkte rechtliche Bindung entfaltet der Antrag anders als ein Gesetzentwurf nicht.
Ein zweiter Antrag der Union mit insgesamt 27 Forderungen zur inneren Sicherheit fand hingegen keine Mehrheit. Ebenfalls in namentlicher Abstimmung stimmten 509 Abgeordnete mit Nein, 190 mit Ja und 3 enthielten sich. In dem Antrag ging es unter anderem um Mindestspeicherfristen für IP-Adressen, mehr technische Befugnisse für Ermittler beispielsweise bei der elektronischen Gesichtserkennung, und eine Stärkung der Nachrichtendienste.
Schwere Vorwürfe von SPD, Grüne und Linke
Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses erhoben SPD, Grüne und Linke schwere Vorwürfe gegen Merz und die Union. Bundeskanzler Scholz sprach von einem "Tabubruch". Der 29. Januar sei "wahrscheinlich ein ganz bedeutender Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" gewesen, sagte er am Mittwochabend in der ARD-Sendung "Maischberger". Die Union habe einen Konsens aufgekündigt, den es die ganze Nachkriegsgeschichte über unter den Demokraten in Deutschland gegeben habe. "Den Konsens, nämlich, dass es keine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien mit der extremen Rechten gibt. Heute ist das passiert."
Auch Grünen-Ko-Fraktionschefin Britta Haßelmann sprach von einem "historischen Tag - und zwar im negativen Sinne". "Das haben Sie zu verantworten. Sie und Ihre Fraktion", sagte Haßelmann nach der Abstimmung im Bundestag in Richtung Merz. Der CDU-Chef zahle "einen hohen Preis", Merz werde "ein Getriebener" der AfD sein.
Merz selbst verteidigte sein Verhalten. Er bedauere zwar, dass die Mehrheit mit der AfD zustande gekommen sei. Die anderen Parteien könnten seiner Fraktion aber "nicht das Recht absprechen, dass wir hier Anträge zur Abstimmung stellen, die wir für richtig halten", sagte Merz. Er mache SPD und Grünen nun ein "Angebot", sich bis Freitag gemeinsam mit der Union auf ein Gesetz zur Migration zu einigen.
AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann sagte, die Abstimmung sei "wahrlich ein historischer Moment". Wie andere westliche Länder erlebe nun auch Deutschland "das Ende der rot-grünen Dominanz" - und zwar "für immer". Die AfD-Fraktion schrieb mit Blick auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der Bündnisse und Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt, auf X: "Die Brandmauer bröckelt."
Scholz wirft Merz in Asyl-Debatte "unverzeihlichen Fehler" wegen AfD vor
Bereits vor der Abstimmung im Bundestag hat Kanzler Scholz dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz mit scharfen Worten vorgeworfen, die klare Abgrenzung zu rechtsextremen Parteien aufzugeben. "Sie nehmen die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf", rief er dem Oppositionsführer in seiner Regierungserklärung im Parlament zu.
Es sei die Unterstützung derer, "die unsere Demokratie bekämpfen, die unser vereintes Europa verachten, die das Klima in unserem Land seit Jahren immer weiter vergiften". Dies sei ein "unverzeihlicher Fehler".
Scholz: "Ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein"
Die Vorschläge der Union zur Migrationspolitik nannte Scholz rechtswidrig und sprach Merz die Regierungsfähigkeit ab, weil er solche Vorschläge mache. "Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten", sagte er. "Politik in unserem Land ist doch kein Pokerspiel. Der Zusammenhalt Europas ist kein Spieleinsatz. Und ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein. Denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden."
Merz verteidigt Votum mit AfD
Merz hatte angekündigt, bei der Abstimmung auch Ja-Stimmen der AfD in Kauf zu nehmen. Nach der Rede von Scholz äußerte er zwar Unbehagen, verteidigte die Entscheidung jedoch mit dringend nötigem Handlungsbedarf. "Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig." Zuvor hatte er bereits den Vorwurf zurückgewiesen, die "Brandmauer" zur AfD einzureißen.
"Wir sind es den Menschen in unserem Land und nicht zuletzt den Opfern der Gewalttaten der letzten Monate einfach schuldig, jetzt wirklich jeden Versuch zu unternehmen, die illegale Migration zu begrenzen, die ausreisepflichtigen Asylbewerber in Gewahrsam zu nehmen und endlich abzuschieben", betonte Merz am Mittwoch in seiner Rede.
SPD, Grüne und Linke haben die Vorschläge öffentlich abgelehnt und sehen eine Abstimmung mit der AfD als Tabubruch. Das BSW kündigte an, man werde sich enthalten.
Die FDP wird Anträge der CDU unterstützen, unabhängig davon, wer auch im Bundestag diese Anträge passieren lassen will.
Zustimmung von FDP und AfD schon im Vorfeld
Die Vorsitzenden von AfD und FDP stellten bereits am Dienstag eine Zustimmung zu der Unionsvorlage in Aussicht. FDP-Chef Christian Lindner warnte in seiner Rede im Bundestag vor Schaden für die Demokratie, wenn in der Migrationspolitik kein Kurswechsel vollzogen wird. "Kontrolle und Begrenzung der Einwanderung nach Deutschland ist ein Anliegen der politischen Mitte. Wir dürfen es den Rändern nicht überlassen", fügte er mit Blick auf eine mögliche Zustimmung der AfD hinzu.
Die AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Alice Weidel hat der Bundesregierung und der oppositionellen Union schwere Fehler in der Migrationspolitik vorgeworfen. Scholz hinterlasse ein "auf die Spitze getriebenes Migrationschaos", sagte Weidel am Mittwoch im Bundestag. Merz warf sie vor, sich "bei den Grünen und der SPD anzubiedern und sich darauf festzulegen, mit diesen Parteien auch zu koalieren". Dennoch werde ihre Fraktion für die Unionsanträge stimmen.
Menschen demonstrieren vor CDU-Zentrale
Vor dem Hintergrund der Abstimmungen haben am Mittwochabend mehrere hundert Menschen vor der CDU-Parteizentrale in Berlin demonstriert. Zu der Kundgebung unter dem Motto "Brandmauer statt Brandstiftung" hatten unter anderem Amnesty International, Seebrücke und andere Organisationen aufgerufen. Die Polizei sprach zunächst von rund 650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Abstimmung über Asyl-Gesetz am Freitag
Am Freitag soll außerdem über das von der Union eingebrachte "Zustrombegrenzungsgesetz" abgestimmt werden, das im November bereits einmal gescheitert war. Mit den Neuregelungen soll unter anderem der Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beendet werden. Die Bundespolizei soll zudem aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchführen dürfen. Bisher gilt eine Mehrheit im Bundestag als wahrscheinlich. Ausgangspunkt der Debatten war der Messerangriff von Aschaffenburg.
dpa/epd/AFP (kar, smk)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. Januar 2025 | 14:35 Uhr