Nach Wahlniederlagen Linke-Vorsitzende Wissler und Schirdewan geben auf
Hauptinhalt
20. August 2024, 10:05 Uhr
Die Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan wollen beim Parteitag im Herbst nicht mehr kandidieren. Erste Namen zur Nachfolge werden gehandelt. Bundesvorstandsmitglied Wulf Gallert fordert aber auch einen inhaltlichen Neustart. Wissler und Schirdewan haben für heute zu einer Pressekonferenz in Berlin geladen.
- Personeller Neuanfang geplant – erster Vorschlag: Jan van Aken
- Sachsen-Anhalts Linksfraktionschefin von Angern nennt Ziele für Neustart
- Erst Kritik und Rücktrittsforderungen – jetzt Respekt aus der Partei
Die Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan haben ihren Abgang von der Parteispitze angekündigt. Wie sie auf der Internetseite ihrer Partei erklärten, werden sie beim Parteitag in Halle in Sachsen-Anhalt im Oktober nicht mehr für den Vorsitz kandidieren.
"Wunsch nach personellem Neuanfang"
Wissler schrieb in ihrer Erklärung, sie nehme wahr, dass es in Teilen der Partei den "Wunsch nach einem personellen Neuanfang" gebe. "Ich halte es jetzt für den richtigen Zeitpunkt, Klarheit zu schaffen", zwei Monate vor dem Parteitag in Halle, mit genug Zeit für innerparteiliche Meinungsbildung. Gleichwohl sprach sich der frühere Parteichef Bernd Riexinger noch am Sonntag im "Spiegel" für Jan van Aken als Nachfolger aus. Dem Magazin zufolge wollte sich dieser aber nicht dazu äußern.
Ich habe für mich entschieden, dass ich weiter linke Politik mache. Aber nicht mehr an allervorderster Front.
Am Sonntagnachmittag sagte Wissler MDR AKTUELL, Schirdewan und sie hätten es sich nicht leicht gemacht und darüber nachgedacht, was das Beste in dieser schwierigen Situation sei. Nach dreieinhalb Jahren an der Spitze der Partei habe sie sich zu diesem Schritt entschieden, wolle aber "natürlich weiter linke Politik machen mit aller Kraft".
Schirdewan appellierte an die Parteimitglieder, denjenigen, die bald das Steuer übernehmen, "die Chance und das Vertrauen zu geben, die Partei auch führen zu können". Dazu brauche es ein "Ende der teilweise destruktiven Machtpolitik in den eigenen Reihen".
Sachsen-Anhalt Linkenpolitiker Führungswechsel
Sachsen-Anhalts Linken-Fraktionschefin Eva von Angern begrüßte den Rückzug der Doppelspitze Wissler/Schirdewan. Angesichts des Abwärtstrends biete sich nun die Chance, das Ruder noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2025 herumzureißen, sagte von Angern MDR SACHSEN-ANHALT.
Eine eigene Bewerbung für eine Position im künftigen Bundesvorstand der Linken beim Parteitag im Oktober in Halle schloss von Angern nicht aus. "Es wäre gut, wenn sich auch Mitglieder aus Landesparlamenten zur Verfügung stellen. Ob ich dabei sein werde, kann ich noch nicht sagen." Zwar übernehme sie gern Verantwortung für die Partei, sie habe in Sachsen-Anhalt allerdings auch genug zu tun, auch sehe sie das nicht vordergründig als ihre Aufgabe an. Wichtig sei, dass der neue Vorstand aus der Mitte der Partei komme und unterschiedliche Lebenswelten widerspiegle.
Demnach müsse der soziale Markenkern künftig mehr im Mittelpunkt stehen. Außerdem wolle man als die zentrale Friedenspartei wahrgenommen werden. "Das bedeutet aber nicht, dass man ein Land nicht mehr dabei unterstützen soll, sich zu verteidigen", erklärte die Politikerin mit Blick auf die Ukraine. Doch der Schwerpunkt müsse auf Diplomatie liegen.
Der Linken-Politiker Wulf Gallert aus Sachsen-Anhalt zeigt sich überzeugt, dass seine Partei geeignete Nachfolger für Wissler und Schirdewan finden werde. Der langjährige Fraktionschef im Landtag und Mitglied des Bundesvorstands sagte MDR AKTUELL, dieser Rückzug sei ein Signal an die Wähler, dass die Linke Dinge ändern müsse. Dazu gehöre auch das Personal.
Ein Ende der Linkspartei und die Ersetzung durch das abgespaltete Bündnis Sahra Wagenknecht erwartet Gallert nicht. Das BSW sei für ihn keine linke Partei und deshalb habe die Linke weiter ihre Berechtigung.
Richtungsstreit und Wahlniederlagen
Die Linke steckt seit Jahren in Richtungsstreit und Krise: 2021 zog sie nur noch über eine Sonderregel mit drei Direktmandaten in den Bundestag ein. Bei der Europawahl im Juni bekam sie nur noch 2,7 Prozent der Stimmen, das von der früheren Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht gegründete BSW dagegen aus dem Stand 6,2 Prozent. Viele Stimmen kamen dabei von der Linken.
Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September drohen weitere Rückschläge. In Thüringen, wo die Linke 2019 noch 31 Prozent erreichte, sagen ihr Umfragen eine Halbierung voraus.
Wissler und Schirdewan führen die Linke seit 2022 gemeinsam. Nach der Europawahl-Schlappe hatte Schirdewan sich selbstkritisch geäußert und etwa dem "Tagesspiegel" gesagt, dass er über einen Rückzug nachgedacht habe.
Wissler beschrieb ihre Zeit als kräftezehrend: Es sei "nicht immer nur eine reine Freude, Vorsitzende dieser Partei zu sein". Auch Schirdewan schrieb jetzt: "Die letzten zwei Jahre waren innerparteilich vor allem geprägt von der Klärung alter Konflikte" und Auseinandersetzungen darum: "Das hat unsere öffentliche Wirkung vielfach gehemmt."
Schirdewan kündigte an, er wolle sich nun auf seine Arbeit als Fraktionsvorsitzender der Linken im Europäischen Parlament konzentrieren. Wissler will als hessische Bundestagsabgeordnete weitermachen.
Rücktrittsforderungen aus der Partei
Nach den Verlusten bei der Europawahl hatten prominente Linke Konsequenzen angemahnt, Ex-Parteichef Gregor Gysi etwa eine "strukturelle, politische und personelle Erneuerung". Der Bundestagsabgeordnete Dietmar Bartsch äußerte sich ähnlich. Die Fraktionschefin im Landtag Sachsen-Anhalts, Eva von Angern, hatte offen den Rückzug aufgefordert und Kritik auch die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch geübt.
Reaktionen auf den Rücktritt
Nach Bekanntgabe des Rücktritts von Wissler und Schirdewan dankte Ex-Bundestagsfraktionschef Bartsch den scheidenden Parteivorsitzenden und rief die Partei dazu auf, jetzt zusammen für die anstehenden Landtagswahlen arbeiten. Auch die Vorsitzenden der heutigen Linken-Gruppe im Bundestag, Heidi Reichinnek und Sören Pellmann aus Leipzig, erklärten ihren "größten Respekt" und dankten für "die vertrauensvolle Zusammenarbeit". Ähnlich reagierten die beiden sächsischen Landesvorsitzenden Susanne Schaper und Stefan Hartmann. Sie zollten beiden Respekt, "denn die schwierige Lage unserer Partei hat vielfältige Ursachen".
dpa/AFP/MDR(dni/ksc/ans)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 18. August 2024 | 14:00 Uhr