Kommentar Der SPD fehlen Alternativen - Die doppelte Faeser

02. Februar 2023, 15:21 Uhr

Wahlkampf führen und gleichzeitig regieren, geht das? Ja, meint Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Sie wird vermutlich in Kürze ihre Kandidatur für das Amt der Ministerpräsidentin in Hessen bekanntgeben. Ihr Amt als Innenministerin möchte Faeser dabei Medienberichten zufolge behalten oder vielmehr gesagt, sie muss. Der SPD fehlt es im Bund und in Hessen an personellen Alternativen, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent.

Das Hausaufgabenheft der Innenministerin

Terrorismus bekämpfen, Spionage verhindern, Cyberkriminalität den Kampf ansagen, Zuwanderung steuern – man möchte meinen, das Hausaufgabenheft von Innenministerin Nancy Faeser für das laufende Jahr sei schon gut genug gefüllt. Seit Faesers Amtsübernahme wird jedoch bereits im ganzen Regierungsviertel geflüstert und getuschelt, dass wohl noch eine weitere Herausforderung für sie hinzukommen könnte.

Zu schön, um wahr zu sein

Nach 25 Jahren ohne SPD-Führung soll Faeser bald ganz Hessen wieder in strahlendes Rot färben und somit eine sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat zurückerobern. Das hätte zur Folge, dass die SPD in der Länderkammer nicht mehr befürchten müsste, dass Bundesländer mit Unionsbeteiligung ihre Gesetze blockieren. Querschüsse wie zuletzt beim Bürgergeld würden der Vergangenheit angehören. Für die Genossinnen und Genossen klingt das natürlich alles zu schön, um wahr zu sein. Wahrscheinlich wird es aber auch sobald keine Wahrheit werden.

Ein Wahlsieg Faesers gegen CDU-Ministerpräsident Boris Rhein und den grünen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ist alles andere als ausgemacht. Vielmehr könnte sich der Wahlkampf in Hessen als knappes Rennen zwischen drei gleichstarken Kontrahenten entpuppen. Noch dazu könnten die hegemonialen SPD-Träume für den Bundesrat begraben werden, bevor Hessen überhaupt zur Wahlurne schreitet. Die Wiederholungswahl in Berlin könnte den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einen Strich durch die Rechnung machen. Der Stuhl der regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey wackelt gewaltig und ohne eine Regierungsbeteiligung in Berlin und Hessen, wäre der SPD-Coup geplatzt.

Koalitionspartner besorgt, Opposition empört

Faeser hat ihre Kandidatur noch nicht bekanntgegeben und dennoch hagelt es bereits Kritik von allen Seiten. Für FDP-Vize Wolfgang Kubicki stellt ein Ministeramt "keine geeignete Wahlkampfbühne" dar. Der Fraktionsvize der Grünen, Konstantin von Notz, erklärt, Ministeramt und Spitzenkandidatur würden für sich genommen die ganze Person erfordern. Die doppelte Faeser findet auch bei der Union keinen Anklang. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Alexander Throm, fordert angesichts der ernsten weltpolitischen Lage gar einen Rücktritt der Innenministerin.

Wir erinnern uns: Manfred Kanther (CDU) war 1995 nicht nur Innenminister im Kabinett Helmut Kohl, sondern auch hessischer Spitzenkandidat. Norbert Blüm hatte 1990 nicht nur das Amt des Bundesarbeitsministers inne, sondern auch die CDU-Spitzenkandidatur in NRW. Übrigens verloren beide Politiker ihre Wahlen. Doppelungen von Amt und Kandidatur sind nichts Neues oder Außergewöhnliches, erfolgversprechend sind die riskanten Polit-Spagate aber eher nicht.  

Warum dieses Wagnis?

Angesichts der Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren stellt sich die Frage: Warum sollte sich Faeser eine Doppelbelastung mit Amt und Kandidatur antun? Darauf gibt es sicherlich viele Antworten, aber vor allem eine: Weil sie es muss. Nach nur einem Jahr sind bereits zwei Ministerinnen des ursprünglichen Scholz-Kabinetts nicht mehr an Bord.

Zuerst musste die grüne Familienministerin Anne Spiegel gehen. Danach hangelte sich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht von einem missglückten Auftritt zum nächsten und schließlich ins Aus. Scholz braucht Ruhe im Kabinett und vor allem eine Ministerin, auf die er sich voll und ganz verlassen kann. Faeser liefert und arbeitet für eine Innenministerin bislang mit überraschend wenig Störgeräuschen. Mit ihrem Auftritt nach der Berliner Silvesternacht oder dem Tragen der Armbinde in Katar setzte sie außerdem starke Akzente. Scholz und die SPD können nicht auf sie verzichten, weil da niemand ist, der es ihr nachmachen könnte.

Gleichzeitig muss Faeser den Wahlkampf in Hessen starten, möchte die SPD ihre Siegeshoffnungen in Wiesbaden nicht umgehend aufgeben. Sollte Faeser in Hessen tatsächlich gewinnen, wüsste Scholz wahrscheinlich nicht, ob er lachen oder weinen soll.

Faeser ist alternativlos

Es ist mehr als verständlich, dass der Kanzler die Klärung der Nachfolge Faesers lieber auf den Tag nach der Hessenwahl verschieben will. Es drängt sich eben schlichtweg keine Nachfolgerin auf. Und dass es dieses Mal eine Frau werden muss, steht außer Frage. Nachdem Boris Pistorius auf Lambrecht im Verteidigungsministerium folgte, standen einige Genossinnen der SPD-Fraktion bereits kurz vor der Meuterei.

Eine paritätische Lösung gilt jetzt als gesetzt. Fragt man unter den SPD-Abgeordneten nach geeigneten Kandidatinnen, erntet man vor allem Schulterzucken und ratlose Gesichter. Die Innenministeriums-Staatssekretärin Juliane Seifert stünde zwar im Stoff, ist aber außerhalb der SPD kaum bekannt. EU-Vize-Parlamentspräsidentin Katarina Barley ist zwar bekannt, stünde aber nicht im Stoff.

Die traurig-träumerische Wahrheit: Wenn Faeser im Herbst tatsächlich die hessische Landtagswahl gewinnen sollte, müsste die SPD sich eine zweite backen. Ohne eine doppelte Faeser kommen die Sozialdemokraten gerade nicht aus.

In einer früheren Version des Artikels hatte es geheißen, Norbert Blüm sei 1990 Spitzenkandidat der FDP in Nordrhein-Westfalen gewesen. Er war allerdings Spitzenkandidat der CDU. Wir haben das korrigiert.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL Radio | 31. Januar 2023 | 15:13 Uhr

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