Kolumne Nach der Kohle geht die Welt nicht unter
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02. April 2023, 05:00 Uhr
Raus aus der Kohle und das auch im Osten schon 2030 – diese Forderung der Grünen hat für viel Aufregung gesorgt. Vor allem emotional. Dabei gibt es auf rationaler Ebene Argumente, die dafür sprechen. Fragen bleiben dennoch offen.
- Früher statt später aus der Kohle auszusteigen, lohnt sich finanziell.
- Ohne einen zeitigen Kohleausstieg werden die Klimaziele für 2030 nur schwer erreichbar sein.
- Der Ausstieg aus der Kohle könnte sogar früher als 2030 kommen.
Um wirklich zu verstehen, warum beim Thema Kohleausstieg immer wieder die Gefühle hochkochen, muss man wahrscheinlich aus einer Kohlekumpelfamilie kommen.
Ich komme es nicht. Deshalb fällt es mir auch leicht, diese emotionale Ebene außen vorzulassen. Dabei kann ich durchaus nachvollziehen, dass der Jobverlust auf Raten und die damit verbundenen Unsicherheiten für viele quälend ist. Doch noch bleibt Zeit, zu reagieren. Was hingegen nicht hilft, ist, den nüchternen Blick auf die Fakten aus Rücksicht auf die Gefühle der Betroffenen zu verweigern.
Kohlestrom wird immer teurer
Schon jetzt ist klar: Kohlestrom wird eher früher als später unrentabel. Grund dafür ist der Emissionshandel. Die Europäische Union hat diesen schon 2005 eingeführt. Seitdem müssen Kraftwerksbetreiber und stromintensive Unternehmen, die viel CO2 und andere Treibhausgase in die Luft blasen, dafür Verschmutzungszertifikate kaufen. Klimaschutz wird dadurch finanziell attraktiv und marktwirtschaftliche Mechanismen bewegen Unternehmen dazu, in effizientere Produktionsverfahren zu investieren.
Was zunächst als zahnloser Tiger begann, wird für die Betreiber von Kohlekraftwerken in absehbarer Zeit zum Problem. Ende letzten Jahres haben sich das EU-Parlament und die EU-Mitgliedsstaaten auf eine Verschärfung des europäischen Emissionshandels geeinigt. Der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 soll bis 2030 um 62 Prozent im Vergleich zu 2005 reduziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, soll unter anderem die Zahl der Verschmutzungszertifikate reduziert werden. Die übrigen werden dadurch teurer – Kohlestrom also auch.
Strommarktexperten und auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rechnen damit, dass dies sogar noch vor 2030 eintreten wird. Je nach Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien könnte es nach manchen Berechnungen sogar schon 2026 der Fall sein. Zudem sollen ab 2027 auch private Haushalte einen CO2-Preis auf Kraftstoffe, Erdgas und Heizöl zahlen. In Deutschland gibt es den Emissionshandel für Gebäude und Verkehr zwar schon seit 2021. Das Vorhaben der EU ist aber deutlich ehrgeiziger, wodurch die CO2-Preise steigen werden und fossiler Strom sich abermals verteuern wird.
Klimaziele für 2030 nur ohne Kohlekraftwerke erreichbar
Warum also an einer Technologie länger als nötig festhalten? Zumal nicht nur Umweltverbände wie der BUND, sondern auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm davon ausgehen, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 nur ohne Kohlekraftwerke einhalten kann. Auch deshalb muss die Politik jetzt alle Kraft darauf verwendet, die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen und sich dabei gegenüber den Wählern auch ehrlich machen.
Apropos: Was wird denn nun aus den Menschen, die in den Tagebauen und Kraftwerken in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier arbeiten? Als Nicht-Betroffener könnte ich sagen: Alles halb so wild. Aber das wäre vermessen, denn es kommt schließlich auf den Einzelfall an. Dennoch bin ich eher optimistisch. Vieles spricht dafür, dass jeder, der will, auch Arbeit findet – übrigens ist das auch der große Unterschied zur Zeit nach der Wende.
Strukturwandel schafft neue Stellen
Zum einen wird für den Strukturwandel in den Kohleregionen viel Geld investiert. Bis zu 40 Milliarden Euro stehen dafür zur Verfügung. Allein durch die Ansiedlung von Bundeseinrichtungen und Behörden werden mehr als 3.000 neue Stellen geschaffen. Klar, nicht jeder Kohlekumpel wird hier etwas Passendes finden. Aber im Umfeld dieser Einrichtungen werden viele weitere Jobs entstehen.
Zum anderen werden Unternehmen wie Mibrag oder Leag, welche derzeit noch die Braunkohlekraftwerke und Gruben betreiben, nicht verschwinden. Schon heute bereiten sie sich auf ein Leben nach der Kohle vor. Die Leag etwa will in der Lausitz mehrere Gaskraftwerke bauen, die bereits Wasserstoff-ready sein sollen. Das Vorhaben ist Teil eines größeren Plans. Das Unternehmen will nämlich bis 2030 in der Lausitz das größte Zentrum für erneuerbare Energien in Deutschland aufbauen und dafür mehr als zehn Milliarden Euro investieren. Für den Aufbau und den Betrieb der sogenannten "GigawattFactory" braucht es Arbeitskräfte.
Kohleausstieg könnte noch vor 2030 kommen
Bemerkenswert an dem Vorhaben ist nicht nur die Größe. Auch der Zeitplan sollte alle Gegner eines früheren Kohleausstiegs im Osten aufhorchen lassen. Während sich mancher Ministerpräsident in das Jahr 2038 zu verbeißen scheint, plant das von ihm verteidigte Kohleunternehmen den Umstieg schon 2030 zu schaffen. Und das nicht in irgendwelchen Geheimplänen versteckt unter doppelten Schubladenböden, sondern ganz offensiv auf der Firmenhomepage.
Die steigenden Preise für den Kohlestrom und die Planungen der Unternehmen sprechen also dafür, dass ein Ausstieg aus der Kohle auch im Osten schon 2030 oder sogar noch früher kommen wird. Bis dahin müssen aber noch viele offene Fragen geklärt werden. Nicht zuletzt, inwieweit die heutigen Betreiber der Kohlegruben auch für die Folgenschäden zur Verantwortung gezogen werden können? Oder: Woher kommt der Wasserstoff für die künftigen Kraftwerke in der Lausitz? Und: Wie kommt der "Grüne Strom" dahin, wo er gebraucht wird? Auf diese Fragen sollten Politiker Antworten finden, denn eines ist sicher: Nach der Kohle geht die Welt nicht unter.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 02. April 2023 | 06:00 Uhr