Ein Beratungsgespräch im Jobcenter
Ein Beratungsgespräch in einem Jobcenter. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Bürgergeld Jobcenter rechnen mit Einschnitten bei Förderung von Arbeitslosen

09. August 2024, 09:16 Uhr

Die Bundesregierung will 2025 deutlich weniger Geld zur Förderung von Arbeitslosen ausgeben. Jobcenter gehen von drastischen Kürzungen aus – auch in Mitteldeutschland. Dabei sollte die Bürgergeld-Reform gerade Langzeitarbeitslosen neue Chancen bieten.

Für die Förderung und Wiedereingliederung von Arbeitslosen steht im kommenden Jahr voraussichtlich deutlich weniger Geld zur Verfügung. "Auf Basis des aktuellen Haushaltsentwurfs müssen wir mit einer Kürzung von rund 30 Prozent rechnen", sagt der Werkleiter des Jobcenters in Jena, Matthias Welsch, im Gespräch mit MDR AKTUELL. Allein in Jena stehen damit schätzungsweise 1,4 Millionen Euro weniger zur Verfügung, um beispielsweise Arbeitsgelegenheiten (AGH) oder Zuschüsse an Arbeitgeber für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser zu bezahlen. "In der Konsequenz müssen wir ab einem gewissen Zeitpunkt Maßnahmen stoppen. Wer dann etwa Mitte des Jahres zu uns kommt, erhält vielleicht nur noch eine Beratung, aber keine Förderung mehr", sagt Welsch.

Auch andere Jobcenter erwarten Einschnitte

Andere angefragte Jobcenter in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erwarten, im kommenden Jahr mit weniger Mitteln auskommen zu müssen. "Wir erwarten Kürzungen und berechnen anhand mitgeteilter Prognosen verschiedene Szenarien für das Jahr 2025", teilte etwa das Jobcenter in Leipzig mit. Erst wenn der Bundeshaushalt für 2025 tatsächlich beschlossen sei, könne die Frage nach Konsequenzen für die Eingliederungsmaßnahmen seriös beantwortet werden.

Ähnlich äußert sich das Jobcenter im Salzlandkreis. Eine Sprecherin erklärte schriftlich, anhand des Haushaltsentwurfs der Bundesregierung vom Juli müsse das Jobcenter "mit einer Verringerung der Eingliederungsmittel 2025 um etwa ein Drittel gegenüber 2024" rechnen. Zu den Auswirkungen auf die einzelnen Arbeitsmarkt-Instrumente könnten aktuell noch keine differenzierten Aussagen getroffen werden. Aus dem Jobcenter Altmarkkreis Salzwedel hieß es auf Anfrage, nach aktuellem Stand bekomme man vom Bund 29,9 Prozent weniger Eingliederungsmittel – "mit der Folge, dass wir für Bürgergeldempfänger deutlich weniger Eingliederungsmaßnahmen im Jahr 2025 durchführen können".

Die Jobcenter in Jena, im Altmarkkreis und im Salzlandkreis sind kommunal geführt. Die Mehrzahl der Einrichtungen befinden sich jedoch in einer gemeinsamen Struktur mit der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die BA warnte bereits im Juni per Pressemitteilung vor "drastische Auswirkungen für die Jobcenter" angesichts der aktuellen Haushaltsplanungen. Vergangenes Jahr seien 650.000 Menschen, die Bürgergeld empfangen, bei der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung unterstützt worden. "Das ist vor allem durch eine intensive und engmaschige Betreuung und Beratung gelungen. Um dies auch zukünftig gewährleisten zu können, sind verlässliche und auskömmliche Finanzmittel notwendig."

Jobcenter pleite? Anlass für die Recherche zur finanziellen Lage bei den Jobcentern war die neue Kooperation von MDR AKTUELL mit dem TikTok-Format "Fakecheck". Bei Tiktok hatte ein Kanal mit großer Reichweite behauptet, das Jobcenter in Bremen sei Pleite und dies könne auch bei anderen Jobcentern passieren.

Richtig ist, dass das Jobcenter Bremen zu keiner Zeit zahlungsunfähig war. Bürgergeld-Zahlungen für Lebensunterhalt und Wohnen waren nie gefährdet. Allerdings hatte das Jobcenter Bremen zur Jahresmitte mehr als die Hälfte seines Budgets für Eingliederungsmaßnahmen ausgegeben und den Rest bereits größtenteils verplant.

In der Folge mussten Mittel umgeschichtet und sogar auf Gelder aus dem Etat für 2025 zugegriffen werden. Dies wird die Finanzlage in Bremen vor dem Hintergrund der sinkenden Bundesmittel im kommenden Jahr zusätzlich verschärfen.

Kürzungen bei Eingliederungmaßnahmen um 450 Millionen Euro

Bundesweit soll das Eingliederungsbudget laut einer Mitteilung des Paritätischen Gesamtverbandes um 450 Millionen Euro auf 3,7 Milliarden Euro sinken. Außerdem stehen demnach weniger Rückstellungen als in den Vorjahren zur Verfügung, in Summe nochmals eine Milliarde Euro. Zusammen ergibt das Kürzungen in Höhe von 1,45 Milliarde Euro.

An anderer Stelle werden die Jobcenter zwar entlastet. So plant die Bundesregierung, die Verwaltungsetats der Jobcenter um rund 200 Millionen Euro zu erhöhen. Zudem sollen einige Maßnahmen künftig von den Agenturen für Arbeit übernommen werden – das soll bei den Jobcentern 900 Millionen Euro bringen. Doch unterm Streich bleibt ein Minus von mindestens 350 Millionen Euro.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Joachim Rock, sagte zu den Kürzungen: "Das mit dem Bürgergeld verbundene Versprechen, Beschäftigung durch Qualifizierung und Weiterbildung zu fördern und Sanktionen zu reduzieren, wird mit dem vorliegenden Entwurf auf den Kopf gestellt."

Bürgergeld-Reform wird zurückgedreht

Auch andere Experten beobachten, dass grundlegende Elemente der Bürgergeld-Reform bereits kurz nach deren Inkrafttreten wieder zur Diskussion stehen. Philipp Ramos Lobato vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sagte MDR AKTUELL: "Ich sehe tatsächlich das Risiko, dass unter dem Eindruck der haushalterischen Sparzwänge, die für die kommenden Jahre zu erwarten sind, ein ganz zentrales Ziel der Bürgergeld-Reform gefährdet ist. Nämlich in der Tat mehr zu investieren – gerade in kostenintensive, langjährige Maßnahmen zur Förderung beruflicher Weiterbildung." Dabei seien eben diese Instrumente nachweislich erfolgreich, um Menschen dauerhaft zurück in Beschäftigung zu bringen.

Die Kürzungen bei den Fördermaßnahmen für Arbeitssuchende stehen geplanten Verschärfungen bei den Rechten und Pflichten von Bürgergeldempfängern gegenüber. Im Rahmen der sogenannten Wachstumsinitiative einigten sich SPD, Grüne und FDP unter anderem darauf, dass Bürgergeldempfänger künftig längere Wege zu einer neuen Arbeitsstelle in Kauf nehmen sollen. Verschärft werden sollen auch bestehende Regelungen für das Schonvermögen. Diese Regelungen sind aber noch nicht Gesetz.

Die am Hartz-IV-System häufig kritisierten Sanktionen hat die Regierung allerdings schon wieder ausgeweitet. Bei Pflichtverletzungen – etwa der Ablehnung von Arbeit – konnten schon bislang bis zu 30 Prozent der Gelder gekürzt werden. Seit März dürfen die Jobcenter den Arbeitslosen das Bürgergeld für maximal zwei Monate nun auch komplett streichen.

Krankheiten und fehlende Qualifikationen verhindern Arbeitsaufnahme

Fachleute wie Philipp Ramos Lobato empfinden die aktuelle Debatte um die angeblich fehlende Motivation von Bürgergeldempfängern als einseitig. "Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass geringe Arbeitsbereitschaft eine Hürde bei der Arbeitsmarktintegration sein kann", sagt Ramos Lobato. Die Kernprobleme lägen aber woanders. Viele Leistungsberechtigte litten unter gesundheitlichen Problemen. Zudem seien in vielen Fällen berufliche Qualifikation nicht vorhanden oder veraltet. Bei Familien und Alleinerziehenden kämen Infrastrukturprobleme hinzu, etwa fehlende Kita-Plätze. "Besonders problematisch ist, dass all diese Hemmnisse häufig auch noch kumuliert auftreten. Das heißt, eine Person vereinigt mehrere Hemmnisse auf sich, und das hat sehr stark messbare negative Effekte auf die Beschäftigungswahrscheinlichkeit."

Mit Blick auf diese Menschen und die geplanten Kürzungen warf Anja Piel aus dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes der Regierung eine "Sparpolitik auf dem Rücken von arbeitslosen Menschen" vor. Diese Menschen bräuchten mehr Chancen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, und nicht weniger, sagte Piel: "Das funktioniert aber nur, wenn Jobcenter auch ausreichend Geld und Personal haben, um gut beraten, betreuen und fördern zu können."

mit Material von Reuters

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL - das Nachrichtenradio | 09. August 2024 | 07:30 Uhr

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