Bundestagswahl 2025 Hohe Wahlbeteiligung durch Krisen und neue Parteien erwartet
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21. Februar 2025, 14:20 Uhr
Die Bundestagswahl 2025 könnte eine Rekordbeteiligung seit der Wiedervereinigung erreichen. Professor Raj Kollmorgen analysiert, was die Wähler mobilisiert und warum niemals alle ihre Stimme abgeben werden.
- Wie sich gesellschaftliche Herausforderungen auf die Wahl auswirken.
- Wie zunehmende Polarisierung die Menschen an die Wahlurne bringt.
- Wer sind die Nichtwähler und warum bleiben sie fern?
- Es gibt einen Ost-West-Unterschied in der Wahlbeteiligung.
Bei der anstehenden Bundestagswahl dürfte es eine der höchsten Wahlbeteiligungen seit der Wiedervereinigung geben. Davon geht Sozialforscher Raj Kollmorgen aus. "Es würde mich wundern, wenn wir nicht die 80 Prozent erreichen", sagt der Professor von der Hochschule Zittau/Görlitz. Als Gründe nennt er diverse Krisen und neue Parteien. Dennoch bleibe ein signifikanter Anteil von Nichtwählern.
Den höchsten Anteil an Nichtwählern hat es bislang bei der Bundestagswahl 2009 gegeben. Fast jeder Dritte (30 Prozent) hat damals keine Stimme für eine der Parteien abgegeben. Seitdem ist dieser Anteil immer kleiner geworden. Bei der jüngsten Wahl des Parlaments vor dreieinhalb Jahren betrug der Anteil der Nichtwähler 23,4 Prozent.
Gesellschaftliche Herausforderungen und ihre Auswirkungen auf die Wahl
"Wir haben es mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu tun, die so vor zehn bis 15 Jahren noch nicht bestanden", sagt Kollmorgen. Der gebürtige Leipziger zählt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Herausforderungen der Migration und die strukturelle Wirtschaftskrise auf. Es seien Dinge, die die Menschen in ihrem Alltag spürten.
"Solange es den Menschen gut geht, können sie sich – überspitzt formuliert – in ihrem Ohrensessel zurücklehnen", sagt Kollmorgen. Sie fühlten sich nicht gezwungen zur Wahl zu gehen. Das sei inzwischen anders. "Weil sie der Überzeugung sind, dass es wirklich drängende gesellschaftliche Probleme gibt, die gelöst werden müssen."
Solange es den Menschen gut geht, können sie sich in ihrem Ohrensessel zurücklehnen.
Zunehmende Polarisierung und Wählermobilisierung
Ein weiterer Faktor für die steigende Wahlbeteiligung ist die Erweiterung des Parteienspektrums, erklärt Kollmorgen, zu dessen Schwerpunkten die Transformationsforschung gehört. Dabei nennt er etwa die AfD, das BSW oder Volt. "Es gibt neue Parteien mit alternativen Programmatiken und mit neuen Köpfen, die für viele Menschen wählbar, ja attraktiv erscheinen."
Daraus resultiere auch eine Polarisierung: "Offenkundig ist die Spanne der Diagnosen und Lösungsvorschläge der Parteien größer geworden, teils repräsentieren sie diametrale Grundorientierungen", sagt der 61-Jährige. Das gelte etwa für die Migrationsfrage, die Wirtschafts- aber auch die Sozialpolitik. "In Polarisierungsphasen steigt gewöhnlicherweise die Wahlbeteiligung. In den vergangenen Jahren hat es auch deshalb eine erhebliche Wählermobilisierung gegeben."
Nichtwähler: Wer sind sie und warum bleiben sie fern?
Andererseits: 23,4 Prozent Nichtwähler im Jahr 2021 bedeuten immer noch, dass etwa 14 Millionen Menschen von damals über 61 Millionen Berechtigten nicht ihre Stimme abgegeben hatten. Dabei gibt es unterschiedliche Gründe, dieses Recht nicht wahrzunehmen.
Eine der größten Gruppierungen dabei sind Menschen, die mit dem politischen System an sich sowie einer demokratischen Wahl nichts anfangen könnten. "Das sind fünf bis zehn Prozent der Wahlbevölkerung", so Kollmorgen.
Ein Teil davon seien etwa Verschwörungstheoretiker oder Reichsbürger, andere rechts- oder linksextremistisch, ein weiterer Teil christlich oder islamistisch fundamentalistisch. "Das sind Bevölkerungsgruppen mit oft antidemokratischen Einstellungen, die es in der Geschichte der Bundesrepublik schon immer gab. Viele von ihnen lehnen demokratische Wahlen grundsätzlich ab", sagt Kollmorgen.
Ost-West-Unterschiede in der Wahlbeteiligung
Aus der Wahlbeteiligungsforschung geht eine zweite relevante Gruppe hervor, die seltener partizipiert: "Menschen, die etwa weniger gebildet sind, in peripheren Regionen leben, länger arbeitslos waren oder sozial isoliert sind", sagt der Professor. Diese gingen deutlich seltener zur Wahl als zum Beispiel wohlhabendere, höher gebildete und sozial bestens integrierte Großstädter.
Darauf bezogen gibt es einen Art Ost-West-Unterschied. Periphere Regionen mit etwas ärmeren Menschen finden sich häufiger im Osten. "Das heißt, ein größerer Teil der ökonomisch und sozial besser Situierten lebt im Westen der Republik", erklärt Kollmorgen. Die unterschiedlich situierten Gruppen gebe es aber in beiden Teilen Deutschlands.
Dennoch lässt sich so erklären, warum etwa Sachsen-Anhalt bei der vergangenen Bundestagswahl die niedrigste Wahlbeteiligung aller Bundesländer hatte – mit knapp 68 Prozent. Auch Sachsen und Thüringen lagen unter dem Bundesschnitt von 76,6 Prozent, allerdings nur marginal. Andererseits hatte der Wahlkreis Dresden 1 eine der höchsten Beteiligungen (79 Prozent).
Wahlbeteiligung: Deutschland im internationalen Vergleich
Insgesamt ist der Unterschied bei den Nichtwählern zwischen Ost- und Westdeutschland nicht sehr groß. Laut Bundeswahlleiter waren es 2021 im Schnitt nur drei Prozent weniger in den sogenannten Neuen Bundesländern im Vergleich mit dem Alten Ländern.
Noch kleiner sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Etwas größer – aber ebenfalls nicht signifikant laut Kollmorgen – sind die Unterschiede der Anteile an Nichtwählern bei Alt und Jung. Hinzu kommt immer ein Teil, der etwa krankheitsbedingt nicht wählen geht. Aus seiner Sicht müsse man unterstreichen: "Wir haben im Unterschied zu anderen Gesellschaften auf dieser Welt keine Regionen oder sozialen Großgruppen" – in denen etwa fast niemand wählen geht.
Kollmorgens Fazit: Es gibt in Deutschland im internationalen Vergleich eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung, gerade angesichts der deutlich ausgeprägten Diversität in der Bundesrepublik. "Da müssen wir uns nicht verstecken und das schließt ausdrücklich die ostdeutschen Bundesländer ein." Eine Wahlbeteiligung von 90 oder gar 100 Prozent sei illusorisch.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 21. Februar 2025 | 19:30 Uhr