Meinung Wie "Freiheit" zulasten des Klimaschutzes instrumentalisiert wird
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19. März 2023, 15:58 Uhr
Verbrenner-Aus, Fleisch oder generisches Maskulinum – wenn bisher Gewohntes in Frage gestellt wird, argumentieren Bewahrer gern mit ihrer Freiheit. Das erscheint nicht nur als finales Totschlag-Argument. Tatsächlich findet hier eine Umdeutung des Freiheitsbegriffs statt, die an den Kern gesellschaftlicher Solidarität geht – und Anschluss an extrem rechte Diskurse herstellt.
- Freiheit wird zum Erhalt von Privilegien umgedeutet.
- Bundesverfassungsgericht stärkte Klimaschutz zugunsten der Freiheiten künftiger Generationen.
- Politikwissenschaftlerin: Wer dringliche politische Maßnahmen als Politik der Unfreiheit darstellt, bedient rechte Feindbilder.
"Freiheit statt Verbote" lautete am Mittwoch eine Aktuelle Stunde im Bundestag – auf Antrag von CDU und CSU. Zusatz im Titel dieser Veranstaltung: "Den mündigen Bürger stärken". Tatsächlich diskutieren die Abgeordneten an diesem Nachmittag über Wärme- und Verkehrswende und wie Deutschland seine selbst gesteckten Klimaziele erreichen kann. Entsprechend polarisiert die Überschrift über der Debatte: "Schon der Titel der Aktuellen Stunde wird den wirklichen Herausforderungen dieser Zeit nicht gerecht", kritisiert der SPD-Abgeordnete Esra Limbacher.
Denn was mit Freiheit überhaupt gemeint ist, davon haben Abgeordnete sehr unterschiedliche Vorstellungen. Das reicht vom Frauenwahlrecht, das in Deutschland vor immerhin über 100 Jahren errungen wurde über Freiheiten durch das 9-Euro-Ticket im vergangenen Sommer bis eben zur vermeintlichen Freiheit, mit einem Verbrenner-Auto zu fahren oder mit Öl und Gas zu heizen.
"Sie haben sich in den letzten 16 Jahren die Freiheit genommen, in dem Bereich ganz wenig zu machen. Das ist formal nicht verboten, aber es war für den Klimaschutz nicht gerade hilfreich", richtet sich etwa der FDP-Abgeordnete Michael Kruse an die Union. Doch immer wieder ziehen sich Begriffe wie "Ampelverbotspolitik", "Verbotspläne" und – in Richtung Grüne – "Verbotspartei" durch verschiedene Redebeiträge.
Kampf um Privilegien statt für Freiheit
Problematisch findet das auch die Politikwissenschaftlerin Janine Patz. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena und am bundesweiten Forschungsinstitut gesellschaftlicher Zusammenhalt. Wenn die Erzählung "Freiheit statt Verbote" eine Debatte zu Klimaschutzmaßnahmen präge, sei das eine klare Instrumentalisierung des Begriffs, sagt Patz im Gespräch mit MDR AKTUELL. Zugleich werde "Freiheit" damit ad absurdum geführt.
Freiheit meint selbstverständlich nicht das Recht, durch das eigene Verhalten wissentlich andere in ihrer Würde, Unversehrtheit oder in ihren Rechten verletzen zu dürfen.
"Denn Freiheit meint selbstverständlich nicht das Recht, durch das eigene Verhalten wissentlich andere in ihrer Würde, Unversehrtheit oder in ihren Rechten verletzen zu dürfen", betont sie. Wenn sich Politiker gegen Klimaschutzmaßnahmen stellten, gehe es tatsächlich weniger um Freiheit als um die Verteidigung von Privilegien und von bestimmten Formen des Konsumverhaltens. Eine solche Umdeutung von Freiheit richte sich aber gegen den Grundgedanken gesellschaftlicher Solidarität und Verantwortung und gefährde letztlich den demokratischen Zusammenhalt.
Entscheidungs-"Freiheit" folgt auch Zwängen
So sehr es bei Freiheit immer auch um ein Abwägen verschiedener Interessen geht: Wer Freiheiten fordert, verrät implizit viel über den eigenen Standpunkt. Das veranschaulicht etwa die Debatte um ein Ende von Verbrenner-Autos, das derzeit die FDP EU-weit blockiert. Fachleute sehen dadurch den europäischen Green Deal gefährdet. FDP-Politiker wie Bundesfinanzminister Christian Lindner verteidigen auch hier den eigenen Standpunkt mit Freiheit.
Tatsächlich ist eine Mehrheit der Deutschen gegen ein Ende des Verbrenner-Motors 2035, wie Infratest Dimap erst diese Woche für den ARD-Deutschlandtrend erfragte. Wenn sich allerdings einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher für ein Verbrenner-Auto statt für ein deutlich teureres E-Auto entscheiden, dürfte das in den meisten Fällen mehr mit ökonomischen Zwängen als mit tatsächlicher Freiheit zu tun haben. Wer sich nur ein gebrauchtes Auto leisten kann, muss also keineswegs überzeugter Anhänger von Verbrenner-Motoren sein. Ebenso kann ein schlecht ausgebauter öffentlicher Nahverkehr die Abhängigkeit vom eigenen Auto verstärken und die "Liebe" zum Verbrenner begünstigen.
Politik kann in solchen Konflikten nach klimaschonenden Lösungen suchen, um eine sozial verträgliche Umsetzung ringen und den Menschen erklären, welche Kompromisse angesichts der Klimakrise notwendig sind. Ein reines Beharren auf vermeintliche Freiheit drängt allerdings Klimaaspekte in den Hintergrund.
Argumentative Hilflosigkeit in Klimadebatte
Eine ähnliche argumentative Hilflosigkeit zeigt sich, wenn Freiheit in Diskussionen gegen Tempolimits ins Feld geführt wird. Die Freiheit einzelner Raser ist nicht nur eine akute Gefahr für andere Verkehrsteilnehmerinnen. Auch durch höhere CO2-Emissionen schaden sie dem Klima langfristig. Zwar verkaufte die FDP als Verfechter der "freien Fahrt für freie Bürger" kürzlich eine Studie als Erfolg, wonach eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf Autobahnen höchstens 1,1 Millionen Tonnen CO2 einsparen würde. Das Umweltbundesamt hatte zuvor noch Einsparungen von 6,7 Millionen Tonnen errechnet.
Doch selbst wenn die Ergebnisse des Umweltbundesamtes zu optimistisch wären: Dass das Tempolimit ein möglicher Baustein ist, um klimaschädliche Emissionen zu reduzieren, ist unstrittig. Irgendwo muss man schließlich anfangen – und gerade in den Bereichen Verkehr und Gebäude verpasste Deutschland vergangenes Jahr erneut die selbst gesteckten Klimaziele.
Freiheit gilt auch für künftige Generationen
Die Dringlichkeit des Klimaschutzes hat bereits vor zwei Jahren das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben – gerade mit Verweis auf die Freiheiten künftiger Generationen. Die Politik muss demnach beim Klimaschutzgesetz von 2019 nachbessern, um etwa die Treibhausgasemissionen tatsächlich effektiv zu begrenzen. In der Entscheidung betonten die Richterinnen und Richter nicht nur, Klimaschutz müsse freiheitsschonend umgesetzt werden. Mit Verweis auf eine zunehmende Dringlichkeit heißt es etwa: "Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein."
Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
Heißt: Je später die Politik reagiert, desto drastischer die notwendigen Maßnahmen – oder die Folgen des Klimawandels. Denn die begrenzten Ressourcen des Planeten interessieren sich wenig für politische Aushandlungsprozesse.
Grundgesetz Art. 20a Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Grüne Politik zum Feindbild stilisiert
In der Bundestagsdebatte mit der Überschrift "Freiheit statt Verbote" ist letztlich der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse der einzige Redner, der die Klimakrise grundsätzlich und offensiv anzweifelt. Abgeordnete aller anderen Parteien betonen, die Klimaziele einhalten zu wollen – es gehe lediglich um den Weg, wie das erreicht werde, heißt es mehrfach. Doch zwischen den Bekenntnissen zu Klimazielen findet sich immer wieder ein Spiel mit Angst, Falschinformationen und Verleumdungen.
Politikwissenschaftlerin Patz findet es etwa bedenklich, wenn Menschen suggeriert wird, die Reform des Gebäudeenergiegesetzes bedeute, dass sie ihre Gas- und Ölheizung morgen aus dem Haus reißen oder im Kalten sitzen müssen. Die Aufgeregtheit der Debatte kann sie auch mit Verweis auf ein anderes Beispiel nicht nachvollziehen: "Die Entscheidung vor 30 Jahren, kein Asbest mehr zu verbauen, hatte auch nicht zur Folge, dass alle Häuser abgerissen werden mussten." Tatsächlich sieht die Bundesregierung aktuell beim Umstieg von einer fossilen zu einer erneuerbaren Wärmeversorgung Übergangsfristen, Ausnahme- und Härtefallregeln vor.
Trotz Unterschieden in Rhetorik und Vokabular sieht Janine Patz demokratiefeindliche Argumentationen und Deutungsmuster auch bei parteipolitisch Verantwortlichen jenseits des extrem rechten Spektrums. "Wer die über Jahrzehnte ausgebremsten, verschleppten und nun dringlichen Klimaschutzmaßnahmen als Politik der Unfreiheit und Verbote und sozial-ökologische Politik als unsachlich verblendet beziehungsweise 'ohne Menschenverstand' darstellt, schürt Hand in Hand mit (extrem) rechten Akteur:innen das Feindbild 'Grüne Politik'", kritisiert Patz.
Anschlussfähigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung
Eine besondere Gefahr sieht die Politikwissenschaftlerin in der hohen Anschlussfähigkeit solcher Diskurse. Die Grünen als Verbotspartei darzustellen, erscheint zwar als alter Hut. Doch bereits in der Corona-Pandemie gewannen rechte Umdeutungsversuche von Freiheit erheblich an Aufwind. Patz verweist auf Schlagworte wie "Freiheit statt Corona-Diktatur" oder "Freiheit statt Angst", die häufig reproduziert worden seien. "Die Maske wurde zum Symbol der Unfreiheit, obwohl sie doch gewisse Freiheiten für alle ermöglichen sollte."
Der Klimawandel und die Folgen konfrontieren vor allem die Gesellschaften des industrialisierten "globalen Nordens" mit den Folgen der Ausbeutung, auf der die Wohlstandsproduktion fußt.
Das Narrativ einer angeblich drohenden Öko- oder Klimadiktatur folgte quasi nahtlos auf das einer vermeintlichen Corona-Diktatur und gewinnt laut Patz wachsende Deutungsmacht. Das liege auch daran, dass der Klimawandel die Gesellschaften des industrialisierten "globalen Nordens" mit den Folgen der Ausbeutung konfrontiere, auf der die Wohlstandsproduktion fußt. "Das macht Deutungsangebote besonders attraktiv, mit der sich die Abwehr der Verantwortung, aber auch die Ablehnung der Notwendigkeit weitreichender Veränderungen legitimieren lassen."
Freiheit ist eben nicht das rücksichtslose Weiter-So, sondern auch die Wahrnehmung von Verantwortung, mit der Ausbeutung des Planeten und ärmerer Weltregionen aufzuhören.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. März 2023 | 07:30 Uhr
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