Gesetzesänderungen ab 18. November Warum das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz nicht den Durchbruch bringt
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14. November 2023, 12:57 Uhr
Ab 18. November tritt stufenweise das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz in Kraft. Die Gesetzesreform der Ampel-Koalition soll ausländischen Fachkräften die Einwanderung nach Deutschland erleichtern. Arbeitsmarktexperten haben allerdings Zweifel an der Durchschlagkraft.
Inhalt des Artikels:
- Experte stellt nachhaltigen Nutzen von Chancenkarte infrage
- Bürokratie rund um Chancenkarte könnte ausländische Fachkräfte abschrecken
- Erwerbszuwanderung auch mit alternativem Berufsabschluss möglich
- Weiterhin bürokratische Hürden bei der Anerkennung von Qualifikationen
- Langwierige Visaverfahren machen Erwerbszuwanderung kompliziert
Neues Fachkräfte-Einwanderungsgesetz soll Zuwanderung von Erwerbsmigranten vereinfachen
Menschen aus Drittstaaten, also Ländern außerhalb der Europäischen Union, sehen sich mit vielen Hürden konfrontiert, wenn sie in Deutschland arbeiten wollen. Um ihnen die Zuwanderung zu erleichtern, hat die Bundesregierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformiert. Ziel ist es, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, der das Wirtschaftswachstum in Deutschland weiter auszubremsen droht. Die Änderungen im Gesetz werden in mehreren Stufen ab dem 18. November dieses Jahres bis zum Juli 2024 wirksam.
Arbeitsmarktexperten wie Holger Bonin bezweifeln allerdings, dass das neue Gesetz die Fachkräftezuwanderung ausreichend ankurbeln wird. Er hält das deutsche System immer noch für zu kompliziert. "Das neue Maßnahmenpaket wird den großen Ruck nicht bringen", sagt der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Höhere Studien in Wien und Mitglied des Expertenbeirats zum Fachkräfte-Monitoring des Bundesarbeitsministeriums. Bonin zufolge werden auch durch die neuen Reglungen bürokratische Hindernisse nicht maßgeblich abgebaut und Arbeitgebern zu wenig Vertrauen entgegengebracht.
Das neue Maßnahmenpaket wird den großen Ruck nicht bringen.
Experte stellt nachhaltigen Nutzen von Chancenkarte infrage
Jobsuchende aus Nicht-EU-Staaten, die hinreichend Potential für den hiesigen Arbeitsmarkt mitbringen, sollen über eine sogenannte Chancenkarte als Fachkraft in die Bundesrepublik kommen können. Abhängig von Deutsch- und Englischkenntnissen, Berufserfahrung, Alter und persönlichem Bezug zu Deutschland können Jobinteressenten, basierend auf einem Punktesystem, eine einjährige Aufenthaltserlaubnis erhalten. In dieser Zeit können Inhaber der Chancenkarte dann auf Arbeitssuche gehen.
Wido Geis-Thöne vom Institut der Deutschen Wirtschaft hat jedoch Zweifel an der durchschlagenden Wirkung der Chancenkarte. Grundsätzlich begrüßt er einen alternativen Zugangsweg für Erwerbszuwanderer, die bisher nur mit der konkreten Aussicht auf eine Stelle einreisen konnten.
"Länder wie Kanada, Australien und Neuseeland verfahren bereits ähnlich. Jedoch wird dort mit den Punktesystemen ein dauerhafter Aufenthaltstitel vergeben, wohingegen in Deutschland in diesem Kontext nur ein Visum zur Arbeitsplatzsuche ausgestellt werden soll", erläutert der Experte, der unter anderem zum Schwerpunkt Migration arbeitet. Da ein begrenzter Aufenthaltstitel für zuwanderungsinteressierte Fachkräfte weit weniger interessant ist, so Geis-Thöne, sei damit zu rechnen, dass über die Chancenkarte letztlich nur sehr wenige Personen ins Land kommen werden.
Bürokratie rund um Chancenkarte könnte ausländische Fachkräfte abschrecken
Ein häufig genannter Kritikpunkt ist der hohe bürokratische Aufwand, der anfällt, wenn Erwerbsmigranten für ein Arbeitsvisum ihre Qualifikationen nachweisen müssen. Allerdings, so die Feststellung von Arbeitsmarktexperte Bonin, müssen Bewerber auch bei der Chancenkarte Nachweise erbringen. "Es wird also weiterhin relativ bürokratische Anerkennungsverfahren geben, die die Zuwanderung für Menschen, die nicht mit den bürokratischen Prozessen in Deutschland vertraut sind, verkomplizieren und Interessenten mehr abschrecken als anziehen", sagt der Ökonom. Klar sei, dass kein Land komplett auf Anerkennungsverfahren verzichten könne, wenn es bei der Einwanderung auf Fachkräfte abziele. Jedoch bleibe es fraglich, ob ein junger Mensch aus Indien mit entsprechender Qualifikation oder genügend Potential motiviert sei, sich auf die deutschen Spielregeln einzulassen, zumal Qualifizierte aus Nicht-EU-Ländern in vielen Ländern gute Jobaussichten hätten.
Außerdem hegt Bonin Zweifel, ob alle Kriterien, die für die Chancenkarte eine Rolle spielen, auch für deutsche Arbeitgeber entscheidend sind: "Es ist für ein internationales Unternehmen, welches hauptsächlich auf Englisch kommuniziert, relativ egal, ob die Bewerber Deutsch sprechen oder irgendwann einmal in Deutschland gelebt haben."
Erwerbszuwanderung auch mit alternativem Berufsabschluss möglich
Das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz sieht vor, dass Erwerbszuwanderer auch qualifizierte Tätigkeiten in Deutschland ausüben können, für die sie nicht ausgebildet wurden. Voraussetzung dafür ist, dass sie einen im Herkunftsland staatlich anerkannten anderweitigen Abschluss vorweisen können. Außerdem müssen sie eine zweijährige Berufserfahrung nachweisen – eben genau in dem Job, für den sie sich in Deutschland interessieren. Ausgenommen sind sogenannte reglementierte Berufe, wie z. B. solche im medizinischen Bereich. So könnten beispielsweise auch IT-Fachkräfte ohne berufsspezifischen Hochschulabschluss hier arbeiten. Weniger Bürokratie und kürzere Verfahrensdauern sollen erreicht werden, weil die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse in Deutschland für nicht-reglementierte Tätigkeiten überflüssig wird.
Dazu Migrationsexperte Wido Geis-Thöne: "Dass Personen ohne einen bestimmten Abschluss der Zugang ermöglicht werden soll, ist ein richtiger Schritt, da gerade im IT- und technischen Bereich in anderen Ländern viele Qualifikationen 'on the job' erworben werden. Wie gut der entsprechende Zugangsweg funktioniert, muss sich allerdings zeigen."
Weiterhin bürokratische Hürden bei der Anerkennung von Qualifikationen
Dass Deutschland im Falle von nicht-reglementierten Berufen in Zukunft auf die Anerkennung eines Abschlusses nach deutschem Standard verzichtet, spart laut Arbeitsmarktexperte Bonin tatsächlich Verwaltungsaufwand. Gleichzeitig gibt er zu bedenken: "Allerdings werden gleich wieder neue bürokratische Hürden aufgemacht. Denn nun gilt es zu prüfen, ob der Berufs- oder Hochschulabschluss im Ausbildungsstaat anerkannt ist. Das kann zumindest auf der beruflichen Ausbildungsebene schwierig sein." Des Weiteren mache die Prüfung, ob mindestens zwei Jahre Erfahrung im "angestrebten Beruf" vorliegen, bürokratischen Aufwand. Dieser scheint, so Bonin, unnötig, wenn man die Aufenthaltserlaubnis an eine Jobzusage für eine qualifizierte Tätigkeit koppelt. Die Logik dahinter: Wenn der Arbeitgeber dem Bewerber die Tätigkeit nicht zutrauen würde, gäbe es das Jobangebot gar nicht.
Abgesehen davon sieht Bonin immer noch eine zu starke Einengung der Zugangsmöglichkeiten für Drittstaatler: "Nach wie vor braucht man eine mindestens zweijährige in einem Drittstaat staatlich anerkannte Berufsausbildung. Das ist eine willkürliche Grenze, denn relevante staatlich anerkannte Ausbildungen mit kürzerer Dauer werden so ausgeschlossen."
Langwierige Visaverfahren machen Erwerbszuwanderung kompliziert
Große Schwierigkeiten bereitet Erwerbszuwanderern aus Ländern außerhalb der EU die lange Bearbeitungsdauer für ein Arbeitsvisum. Mit diesem Problem beschäftigt sich das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht.
Nicht zuletzt hier sieht Wido Geis-Thöne vom Institut der Deutschen Wirtschaft ein zentrales Hemmnis für die Fachkräftezuwanderung aus dem Nicht-EU-Ausland. "Ein deutscher Arbeitgeber, der in Drittstaaten Personal rekrutiert, will eine vakante Stelle in spätestens drei Monaten besetzen. Wenn aber der Jobinteressent ein Visum zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit stellt, dauert es mehrere Monate bis ein Jahr, weil jeder Antrag eine Einzelfallprüfung darstellt. Das passt nicht zu den praktischen Bedürfnissen der Arbeitgeber, die sich ungern einem unkalkulierbaren Prozess aussetzen wollen", erklärt der Wirtschaftswissenschaftler.
Im Normalfall läuft der Antrag für ein Arbeitsvisum über die deutschen Botschaften in den jeweiligen Heimatländern. Für das sogenannte beschleunigte Fachkräfteverfahren kann das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) in Anspruch genommen werden. In diesem Fall bekommt ein zukünftiger Arbeitgeber die Vollmacht einer ausländischen Fachkraft für alle notwendigen Verwaltungsvorgänge. "Das beschleunigte Verfahren klappt in der Praxis nicht richtig", meint Arbeitsmarktexperte Bonin. Weil die Verfahrensvorgaben nicht spezifiziert seien, habe der Arbeitgeber keine Möglichkeit, auf die Beschleunigung zu bestehen.
Arbeitsagentur-Chef: Deutschland braucht pro Jahr 400.000 Zuwanderer
Ohne Zuwanderung kann der zukünftige Fachkräftebedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gedeckt werden. 400.000 Zuwanderer, so hat es der damalige Arbeitsagentur-Chef Detlef Scheele 2021 festgestellt, braucht Deutschland jährlich. So könnte ein Kollaps von Arbeitsmarkt und Sozialsystemen infolge des demografischen Wandels abgewendet werden.
MDR (cbr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 31. Oktober 2023 | 17:45 Uhr